Question to the brain
Psychosomatik - wie genau geht das?
Published: 10.09.2024
Können körperliche Beschwerden auf rein psychischen Ursachen beruhen?
The editor's reply is:
Dr. Eva Reininghaus, Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Medizinische Universität Graz, Österreich: Ja, das ist möglich. In vielen Fällen gibt es jedoch auch körperliche Ursachen für die Beschwerden, aber diese sind oft nicht ausreichend, um die Symptomatik zu erklären. Das heißt, körperliche Beschwerden können durch psychische Ursachen ausgelöst oder verstärkt werden. Dies trifft besonders dann zu, wenn keine ausreichenden körperlichen Ursachen gefunden werden können. Ein klassisches Beispiel sind Rückenschmerzen: Obwohl ein körperliches Problem vorliegt, lassen sich die empfundenen Schmerzen oft nicht allein dadurch erklären.
Es gibt aber Symptome, bei denen sich auch nach intensiver Untersuchung gar keine körperlichen Beschwerden finden lassen. Ein Beispiel dafür kann Bauchweh bei Kindern sein. Oft stecken psychische Belastungen wie Wut, Traurigkeit oder ungelöste Konflikte dahinter, also eine Situation und ein damit verbundenes Gefühl, mit dem das Kind nicht zurechtkommt. Das äußert sich dann in körperlichen Beschwerden, obwohl beim Bauch oder Darm keine Erkrankung vorliegt. Dieses Phänomen, das auch bei Erwachsenen auftreten kann, wird als „psychosomatische Beschwerden“ oder „Somatisierung“ bezeichnet. Der Begriff „Soma“ bedeutet Körper, und er weist darauf hin, dass diese Beschwerden tatsächlich körperlich empfunden werden, jedoch keine ausreichende organische Ursache gefunden wird.
Ob Kind oder Erwachsener – die Betroffenen erleben die Symptome als reale Schmerzen. Oft fühlen sich Betroffene missverstanden, wenn ihre Beschwerden als „nur psychosomatisch“ abgetan werden. Sie suchen dann häufig zahlreiche Ärzte auf, in der Hoffnung auf eine Diagnose und Behandlung. Dabei liegt der Fokus auf den körperlichen Symptomen, während mögliche psychische Ursachen in den Hintergrund treten.
Im Falle des Bauchwehs wird also alles Richtung Bauchweh interpretiert. Selbst kleine Unpässlichkeiten des Verdauungstrakts, wie sie jeder kennt, werden dem Bauchweh und der Bestätigung einer schweren Erkrankung zugeschrieben und viele Betroffene fixieren sich somit immer mehr auf die Beschwerde.
Der Körper reagiert auf psychischen Stress oft mit Beschwerden wie Bauchschmerzen, Herzklopfen oder Kopfschmerzen. Diese Symptome entstehen häufig, wenn emotionale Konflikte nicht verarbeitet oder ausgedrückt werden können. Zum Beispiel kann ungelöster Stress in der Partnerschaft zu anhaltendem Herzrasen führen, obwohl körperlich keine Herzkrankheit vorliegt. Wird der zugrunde liegende Konflikt nicht thematisiert, bleibt das Herzklopfen bestehen, und die Betroffenen vermuten fälschlicherweise eine ernsthafte Erkrankung. Eigentlich ist die Symptomatik daher oft eine Beeinträchtigung bei sich selbst Gefühle zu erkennen, zu erleben und auszusprechen. Sobald das Herzklopfen mit dem Ehekonflikt verbunden werden und man den Konflikt beim Partner oder bei der Partnerin ansprechen kann, ist man bereits in der Aufarbeitung und häufig reduzieren sich dann in weiterer Folge auch die körperlichen Beschwerden.
Für eine Behandlung müssen Betroffene einsehen, dass keine körperlichen, sondern psychische Beschwerden vorliegen. Suchen die Betroffenen medizinischen Rat, besteht das Problem oft schon sehr lang. Im Falle des Herzklopfens würden sie selbstverständlich auf alle möglichen Herzerkrankungen untersucht werden. Für die Betroffenen ist es dann natürlich auch oft schwer zu akzeptieren, dass ihre Beschwerden möglicherweise psychische Ursachen haben. Der Weg zu dieser Erkenntnis ist häufig lang, da Ärztinnen und Ärzte verständlicherweise zunächst nach körperlichen Ursachen suchen. Häufig haben Betroffene bereits viele eine Spezialisten und Spezialistinnen konsultiert, ohne eine klare Diagnose zu erhalten. Dieser wiederholte Prozess, bei dem die Beschwerden ernsthaft untersucht, aber keine körperlichen Ursachen gefunden werden, führt oft zu Frustration.
Zusätzlich recherchieren Betroffene sehr genau, welche Diagnose auf ihr Herzklopfen passen könnte und sie tauschen sich mit anderen Patientinnen und Patienten aus. Gedanklich sind sie dadurch nicht mehr bei ihrem eigentlichen Problem, dass sie wütend oder traurig durch den Ehekonflikt sind, sondern sie denken über mögliche Herzerkrankungen und ihr zukünftiges Leben mit der Erkrankung nach und sind in dieses Thema sehr vertieft.
Die Herausforderung besteht darin, den Betroffenen zu vermitteln, dass ihre körperlichen Symptome Ausdruck unbewältigter emotionaler Konflikte sind. Doch da Ärztinnen und Ärzte selten über eine psychologische Ausbildung verfügen, bleibt dieser Zusammenhang häufig unerkannt. Hier liegt ein strukturelles Problem unseres Gesundheitssystems: Körperliche und psychische Erkrankungen sind eng miteinander verwoben, doch die Medizin ist darauf oft nicht ausreichend vorbereitet.
Aufgezeichnet von Stefanie Flunkert
Psychosomatik
Psychosomatik/-/psychosomatic medicine
Die Psychosomatik untersucht die Auswirkungen von emotionalen und kognitiven Prozessen auf den Körper, insbesondere auf das subjektive Krankheitsempfinden. Hierzu zählen seelische Probleme mit physischen Folgen wie etwa Essstörungen genauso wie Hypochondrie. Nachdem Psychologen zunächst theoretische Modelle zur Erklärung psychosomatischer Phänomene herangezogen hatten, ist das Fachgebiet seit Mitte des 20. Jahrhunderts auch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Seit 2003 gibt es offiziell Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.