Neue Zielstruktur für Wirkstoffe in der Psychiatrie

© Max Delbrück Center
Wissenschaftler*innen haben ein Zwischenprodukt eines Serotoninrezeptors 5-HT3A identifiziert (blau). In der engültigen Form kommt eine fünfte Untereinheit dazu (grün). Das Zwischenprodukt könnte eine neue Zielstruktur für Medikamente sein.

Das Team um Misha Kudryashev am Max Delbrück Center hat ein molekulares Zwischenprodukt eines Serotoninrezeptors identifiziert. Es ist an Krankheiten wie Depressionen und Schizophrenie beteiligt und könnte ein Hinweis auf neue Therapieansätze sein, schreiben die Forscher*innen im „EMBO Journal“.

Quelle: Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin

Veröffentlicht: 04.09.2024

Eine neue, im „EMBO Journal“ veröffentlichte Studie könnte potenziell neue Therapiestrategien für psychiatrische und gastrointestinale Leiden ermöglichen, die mit den derzeit verfügbaren Medikamenten nicht gut behandelbar sind. Dr. Bianca Introini und ihre Kolleg*innen der Arbeitsgruppe „In situ Strukturbiologie“ von Professor Misha Kudryashev haben ein stabiles Zwischenprodukt des pentameren Serotonin-Rezeptors 5-HT3A identifiziert. Dass sie überhaupt eine solche Struktur in einem zellulären Membranprotein isolieren konnten, sei bemerkenswert, sagt Kudryashev. Denn solche Zwischenprodukte lassen sich generell schwer extrahieren. Es könnte als Angriffspunkt für neue Wirkstoffe dienen.

Serotonin ist als Neurotransmitter bekannt, der die Aktivität von Nervenzellen und eine Vielzahl neuropsychologischer Prozesse reguliert. Medikamente, die auf Serotoninrezeptoren abzielen, werden in der Psychiatrie und Neurologie häufig verschrieben. Patienten*innen, die aufgrund einer Chemo- oder Strahlentherapie unter Übelkeit oder Erbrechen leiden, bekommen sie ebenfalls. Diese Medikamente haben jedoch oft Nebenwirkungen, die ihren Einsatz beschränken.

Von den sieben bekannten Serotoninrezeptoren ist nur 5-HT3A ein Ionenkanal. Ionenkanäle sind porenbildende Transmembranproteine, die als Pförtner fungieren und den Fluss ausgewählter Ionen durch die Zellmembranen ermöglichen. Zellen mit 5HT3A-Ionenkanälen befinden sich im Hirnstamm und im Magen-Darm-Trakt. Diese Zellen sind Teil eines Nervennetzwerks, das die Bewegung der Nahrung durch den Darm reguliert, sensorische Informationen übermittelt und den Brechreflex auslöst.

Serotonin

Serotonin/-/serotonin

Ein Neurotransmitter, der bei der Informationsübertragung zwischen Neuronen an deren Synapsen als Botenstoff dient. Er wird primär in den Raphé-​Kernen des Mesencephalons produziert und spielt eine maßgebliche Rolle bei Schlaf und Wachsamkeit, sowie der emotionalen Befindlichkeit.

Neurotransmitter

Neurotransmitter/-/neurotransmitter

Ein Neurotransmitter ist ein chemischer Botenstoff, eine Mittlersubstanz. An den Orten der Zell-​Zellkommunikation wird er vom Senderneuron ausgeschüttet und wirkt auf das Empfängerneuron erregend oder hemmend.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Ionenkanal

Ionenkanal/-/ion channel

Ionenkanäle sind in die Zellmembran von Nervenzellen und auch allen anderen Zellen im Körper eingelagert. Sie ermöglichen den Übertritt elektrisch geladener Teilchen, den Ionen, über die Zellmembran ins Zellinnere und nach draußen. Sie können somit das Membranpotenzial einer Zelle beeinflussen, und ein Aktionspotenzial hervorrufen. Eine Vielzahl verschiedener Ionenkanäle ist bekannt. Normalerweise weisen Ionenkanäle eine spezifische Durchlässigkeit nur für eine Art von Ionen auf, z.B. für Natriumionen oder für Kaliumionen. Diese werden entsprechend als Natriumkanäle oder Kaliumkanäle bezeichnet.

Hirnstamm

Hirnstamm/Truncus cerebri/brainstem

Der „Stamm“ des Gehirns, an dem alle anderen Gehirnstrukturen sozusagen „aufgehängt“ sind. Er umfasst – von unten nach oben – die Medulla oblongata, die Pons und das Mesencephalon. Nach unten geht er in das Rückenmark über.

Die Struktur der Serotoninrezeptoren

Lebende Zellen sind von einer Membran umhüllt. Eingebettet in diese Zellhüllen sind oft Proteine, die dabei helfen, Signale weiterzuleiten und Substanzen durch die Membran zu transportieren. Membranproteine sind daher für die Zellgesundheit essenziell – werden sie in ihrer Funktion gestört, trägt das zu verschiedenen Krankheiten bei.

Membranproteine können multimere Strukturen bilden: Sie setzen mehrere Kopien desselben Moleküls zu einer endgültigen, funktionsfähigen Struktur zusammen. Die Synthese und der Zusammenbau dieser multimeren Membranproteine finden jedoch tief im Inneren der Zellen statt, was die Analyse der Zwischenprodukte im Laufe dieses Vorgangs erschwert.

Seit Jahren untersucht Kudryashevs Arbeitsgruppe auf atomarer Ebene, wie sich der Ionenkanal des Serotoninrezeptors öffnet und schließt, wenn Serotonin daran bindet. Um die Struktur des Proteins aufzuklären, verwendet das Forschungsteam die Kryo-Elektronenmikroskopie. Diese Technologie ermöglicht es, eine dünne Schicht gefrorener Proteine oder Zellen mithilfe von Elektronen zu betrachten.

Ionenkanal

Ionenkanal/-/ion channel

Ionenkanäle sind in die Zellmembran von Nervenzellen und auch allen anderen Zellen im Körper eingelagert. Sie ermöglichen den Übertritt elektrisch geladener Teilchen, den Ionen, über die Zellmembran ins Zellinnere und nach draußen. Sie können somit das Membranpotenzial einer Zelle beeinflussen, und ein Aktionspotenzial hervorrufen. Eine Vielzahl verschiedener Ionenkanäle ist bekannt. Normalerweise weisen Ionenkanäle eine spezifische Durchlässigkeit nur für eine Art von Ionen auf, z.B. für Natriumionen oder für Kaliumionen. Diese werden entsprechend als Natriumkanäle oder Kaliumkanäle bezeichnet.

Serotonin

Serotonin/-/serotonin

Ein Neurotransmitter, der bei der Informationsübertragung zwischen Neuronen an deren Synapsen als Botenstoff dient. Er wird primär in den Raphé-​Kernen des Mesencephalons produziert und spielt eine maßgebliche Rolle bei Schlaf und Wachsamkeit, sowie der emotionalen Befindlichkeit.

Nicht die klassischen Fünf

Als sie Struktur des 5-HT3A-Rezeptors analysierte, stellte Introini fest, dass einige Moleküle aus vier Untereinheiten bestanden, also in einem Tetramer-Komplex gebunden waren, statt sich aus klassischerweise fünf Untereinheiten zusammenzusetzen. „Das war eigenartig“, sagt Introini, „denn Cys-Loop-Rezeptoren bestehen aus fünf Protein-Untereinheiten.“ Diese fünf Untereinheiten bilden normalerweise einen pentameren Komplex.

Um tiefere Einblicke in die Funktion der Tetramere zu gewinnen, arbeiteten die Forscher*innen mit Wissenschaftler*innen vom Forschungszentrum für computergestützte Arzneimittelforschung am Institut für Biomedizin und Biotechnologie in Shenzhen, China, zusammen. Aufgrund von Computersimulationen gingen sie davon aus, dass das Tetramer eine Zwischenverbindung ist, die gebildet wird, um die endgültige pentamere Struktur zu erzeugen.

Interessanterweise existieren die Tetramere in zwei unterschiedlichen Varianten. Eine trägt eine teilweise offene extrazelluläre Domäne, die es ermöglicht, die fünften Einheit einzubinden. Das zeigten Molekulardynamik-Simulationen, erklärt Kudryashev und liefert damit den Nachweis, dass das Tetramer tatsächlich ein Übergangsmolekül darstellt.

„Die Ergebnisse der Studie erweitern nicht nur unser Wissen, wie sich diese und andere multimere Proteine in Membranen bilden und anordnen“, sagt Kudryashev, „sie deuten auch auf eine potenziell alternative Strategie zur Regulierung des Serotoninspiegels in Zellen hin, bei der man auf dieses Zwischenprotein abzielt.“

Originalpublikation

Bianca Introini, Wenqiang Cui, Xiaofeng Chu, et al. (2024): “Structure of Tetrameric Forms of the Serotonin-gated 5HT3A Receptor Ion Channel.” The EMBO Journal, DOI: 10.1038/s44318-024-00191-5.

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