Frage an das Gehirn

Wie lässt sich Synästhesie erklären?

Fragesteller/in: Petra aus Waiblingen

Veröffentlicht: 13.10.2024

Stimmt es, dass sich bei manchen Menschen Sinneseindrücke vermischen? Wie kommt es dazu?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Dr. Christopher Sinke, Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover: Ja, es gibt sogenannte Synästhetiker, bei denen sich bestimmte Sinneseindrücke vermischen. Die am besten untersuchte und häufigste Form der Synästhesie ist die Grapheme-Farb-Synästhesie, Also eine Verknüpfung von Buchtsaben, Zahlen oder Zeichen mit Farben. Sie tritt in etwa 1-4 % der Bevölkerung auf. Andere Formen sind deutlich seltener. Allgemein werden Synästhesien nach ihrem Auslöser (inducer) und dem Ausgelösten (concurrent) kategorisiert. In diesem Fall lösen Buchstaben eine Farbwahrnehmung aus, das heißt die Menschen sehen farbige Buchstaben, obwohl sie eigentlich in schwarzer Farbe gedruckt sind.

Zur Definition der Synästhesie zählt, dass die Wahrnehmungen automatisch ausgelöst werden und dass es eine stabile Kopplung zwischen Auslöser und Ausgelöstem gibt. Ein bestimmter Buchstabe löst daher immer die gleiche Farbwahrnehmung aus. Zusätzlich sind die Verknüpfungen zwischen Buchstaben und Farben idiokratisch, jeder Synästhetiker hat also eine individuelle Kopplung und verbindet die Buchstaben mit anderen Farben.

Ein Synästhesie-Test oder eine Verifizierung der Synästhesie wird durchgeführt, indem man sich die Farbwahrnehmung für jedes Graphem des Probanden am Computer auswählen lässt und dabei die Grapheme zufällig und wiederholt präsentiert. Im Anschluss wird geschaut, wie konsistent die Auswahl für jedes Graphem ist (siehe https://synesthete.ircn.jp/home). Nicht-Synästhetiker sind normalerweise nicht in der Lage sich viele Graphem-Farb-Kombinationen zu merken und werden deshalb demselben Buchstaben unterschiedliche Farben zuordnen. Synästhetiker sind dagegen bei dieser Aufgabe viel konsistenter mit ihren Aussagen, da sie die Farbe ja ‚sehen‘. Zusätzlich werden dann Grapheme in einer bestimmten Farbe präsentiert und der Proband muss unter Zeitdruck sagen, ob das seine Farbe zu diesem Graphem ist oder nicht. Spätestens bei diesem Test brechen mögliche Gedächtnis-Eselsbrücken zusammen, weil man die Information nicht so schnell aus dem Gedächtnis abrufen kann, so dass man mit diesen Tests Synästhetiker klar von Nicht-Synästhetikern unterscheiden kann.

Es gibt zwei verschiedene Erklärungsabsätze für dieses Phänomens. Man geht grundsätzlich davon aus, dass bei einer Graphem-Farb-Synästhesie die Hirnareale für die Buchstaben- und Farbwahrnehmung zeitgleich aktiviert sind. Ein Erklärungsansatz geht davon aus, dass zwischen diesen Hirnarealen eine direkte Verbindung besteht. Das Buchstaben- und das Farbareal liegen im Gehirn recht nah beieinander. Die Idee ist daher, dass es durch die Nähe zusätzliche Verbindungen geben könnte.

Ein anderer Erklärungsansatz geht eher davon aus, dass das Phänomen durch Feedback-Prozesse entsteht, da dasselbe Zeichen, etwa ein I, je nach Kontext (zum Beispiel mit mit Buchstaben oder Zahlen präsentiert), andere Farben haben kann. Wurde ein Graphem verarbeitet, würde demnach die Information durch eine Rückkopplung vom Parietallappen an das Farbareal zurückgeleitet und dadurch aktiviert.

Synästhetiker unterscheiden sich in ihrer visuellen Vorstellungskraft von Nicht-Synästhetikern. Grundsätzlich gibt es bei der visuellen Vorstellungskraft eine große Spanne; sie reicht von Menschen, die kaum etwas sehen, wenn sie sich etwas vorstellen, bis hin zu Menschen, die eine sehr detaillierte visuelle Vorstellungskraft haben. Synästhetiker gehören eher zu den Menschen mit einer sehr ausgeprägten visuellen Vorstellungskraft.

In einer Studie haben wir die multimodale Verarbeitung verschiedener Sinne von Synästhetikern untersucht. Dabei haben wir ihnen bestimmte Wortlaute, wie ABA, vorgespielt, gleichzeitig aber eine Person präsentiert, die mit den Lippen den Wortlaut AGA bildet. Nicht-Synästhetiker verbinden das Gehörte dann mit dem Gesehenen und werden aussagen, dass die Person den Wortlaut ADA gesprochen hat, also einen Laut, der zwischen den Ausgangslauten liegt. Das ist der sogenannte McGurk Effekt.

Synästhetiker dagegen verbinden das Gesehene und Gehörte nicht so stark miteinander und sie berichten weniger häufig ein ‚ADA‘ wahrzunehmen. Ihre Sinne scheinen somit nicht so gut zusammen zu arbeiten. Es könnte daher sein, dass die Graphem-Farb Synästhesie eine Strategie darstellt, um die verschiedenen Sinneseindrücke besser miteinander zu verbinden. Denn gerade beim Lesen lernen ist eine Zusammenarbeit von Sehen und Hören fundamental. Die Verbindung eines Buchstabens mit einer Farbe bei einer starken visuellen Vorstellungskraft wäre somit beim Lesen lernen eine Eselsbrücke, die sich mit der Zeit verfestigt. So hat eine Untersuchung bei Schulkinder gezeigt, dass Synästhesie ein Prozess ist. In der ersten Klasse gab es beispielsweise Kinder mit nur drei festen Graphem-Farb-Verbindungen, während es in der zweiten Klasse schon fünf oder sechs oder 6 Verbindungen waren. Es gibt jedoch nicht sehr viele Studien in diesem Bereich.

Aufgezeichnet von Stefanie Flunkert

Synästhesie

Synästhesie/-/synesthesia

Synästhesie ist Verknüpfung zweier oder mehrerer Sinneswahrnehmungen zu einer subjektiven Empfindung. Bei Synästhetikern wird beispielsweise die Zahl sieben stets mit rot in Verbindung gebracht. Synästhesien scheinen eine erbliche Komponente zu haben, sie treten jedoch auch krankheitsbedingt (z.B. Schizophrenie) oder drogeninduziert (beispielsweise durch Halluzinogene) auf.

Synästhesie

Synästhesie/-/synesthesia

Synästhesie ist Verknüpfung zweier oder mehrerer Sinneswahrnehmungen zu einer subjektiven Empfindung. Bei Synästhetikern wird beispielsweise die Zahl sieben stets mit rot in Verbindung gebracht. Synästhesien scheinen eine erbliche Komponente zu haben, sie treten jedoch auch krankheitsbedingt (z.B. Schizophrenie) oder drogeninduziert (beispielsweise durch Halluzinogene) auf.

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Parietallappen

Parietallappen/Lobus parietalis/parietal lobe

Wird auch Scheitellappen genannt und ist einer der vier großen Lappen der Großhirnrinde. Er liegt hinter dem Frontal– und oberhalb des Occipitallappens. In seinem vorderen Bereich finden somatosensorische Prozesse statt, im hinteren werden sensorische Informationen integriert, wodurch eine Handhabung von Objekten und die Orientierung im Raum ermöglicht werden.

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