Question to the brain
Wie entstehen Vorurteile?
Published: 09.01.2013
Blonde Frauen sind dumm, Schwaben kleinbürgerlich und geizig: Niemand von uns ist frei von Vorurteilen. Doch wie entstehen sie überhaupt?
The editor's reply is:
Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit, Mannheim:
Fast jeder hat mehr Vorurteile als man von sich glaubt und an sich merkt. Kaum jemand würde sagen, dass er Rassen-Vorurteile hat. Solche Tendenzen lassen sich aber doch oft nachweisen. Zum Beispiel mit einer Abwandlung eines Tests, bei dem man sagen soll, in welcher Farbe Wörter wie „grün“ und „gelb“ geschrieben sind. Das fällt uns leichter und gelingt uns schneller, wenn etwa das Wort „grün“ auch tatsächlich in grüner Schrift geschrieben ist. Für den abgewandelten Test zeigt man jemandem Fotos von Menschen verschiedener Herkunft und nennt positive Eigenschaften. Es hat sich gezeigt: Das Hirn reagiert schneller, wenn eine Person der eigenen ethnischen Gruppe dargestellt wird.
Solche – unbewussten – Vorentscheidungen haben zunächst eine durchaus sinnvolle und vernünftige Komponente: Der Mensch ist eine soziale Spezies – man vertraut der eigenen Gruppe mehr, den Fremden eher weniger. Das wird aber gefährlich, wenn Menschen anderer Ethnien schlechtgemacht oder gar angegriffen werden. Dann ist aus einem Stereotyp Rassismus geworden.
Ein anderer Klassiker: Man zeigt Bilder von Mitgliedern der eigenen Ethnie und von Menschen anderer Ethnien. Bei den Fremden wird im Gehirn besonders jenes System stark aktiviert, das mit Furcht und Flucht zusammenhängt: die Amygdala. Sieht man Menschen der eigenen ethnischen Gruppe, dann dämpft der präfrontale Cortex die Reaktion der Amygdala. Diese regulatorische Kontrolle geschieht so schnell, dass wir sie nicht wahrnehmen – aber in Experimenten eben messen können.
Wie genau sich Vorurteile im Gehirn festsetzen, ist unklar. Erst im Vorschulalter sind Kinder alt genug, um sie für entsprechende Forschungsfragen zu untersuchen. Doch da haben sich die Vorurteile schon festgesetzt.
Bei einer Studie mit älteren Kindern haben wir belegt: Hinter der Furcht vor Fremden steckt auch eine soziale Angstreaktion. Einige der Versuchsteilnehmer hatten das Williams-Beuren-Syndrom. Normalerweise fremdeln Kinder ja – aber Kinder mit dem Williams-Beuren-Syndrom freuen sich über jedes neue Gesicht. Sie können schon von Geburt an keine sozialen Bedrohungen erkennen und sind überfreundlich. Das Syndrom wird durch eine genetische Störung verursacht und kommt bei etwa einer von 7.500 Geburten vor.
Mit Kollegen in Frankreich haben wir also Kindern mit dem Williams-Beuren-Syndrom und gesunden Kindern Zeichnungen vorgelegt: Darauf waren zwei Menschen, die exakt identisch aussehen. Nur waren sie einmal weiß und einmal braun koloriert. Dann wurde den Kindern zum Beispiel gesagt: „Katharina hat viele Freunde. Wer von beiden auf dem Bild ist Katharina?“ Die französischen Kinder haben eher auf die Figur mit der weißen Hautfarbe gezeigt: Der eigenen Ethnie wurden die guten Eigenschaften zugeschrieben. So reagiert man in allen ethnischen Gruppen auf der ganzen Welt. Aber die Kinder mit Williams-Beuren-Syndrom haben ihre eigene Ethnie nicht bevorzugt! Das passt zur Neurobiologie von Betroffenen des Syndroms: Bei Drohreizen zeigt deren Amygdala keine Aktivierung – sie haben keine soziale Furcht. Dabei haben die Kinder mit dem Williams-Beuren-Syndrom durchaus Geschlechter-Stereotype wie „Frauen bügeln und Männer reparieren Autos“. Hier muss also ein anderer Teil des Gehirns fürs Vorurteil zuständig sein.
Aufgezeichnet von Franziska Badenschier
Amygdala
Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala
Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt.
Präfrontaler Cortex
Präfrontaler Cortex/-/prefrontal cortex
Der vordere Teil des Frontallappens, kurz PFC ist ein wichtiges Integrationszentrum des Cortex (Großhirnrinde): Hier laufen sensorische Informationen zusammen, werden entsprechende Reaktionen entworfen und Emotionen reguliert. Der PFC gilt als Sitz der exekutiven Funktionen (die das eigene Verhalten unter Berücksichtigung der Bedingungen der Umwelt steuern) und des Arbeitsgedächtnisses. Auch spielt er bei der Bewertung des Schmerzreizes eine entscheidende Rolle.