Frage an das Gehirn
Was dämpft essentiellen Tremor? Und warum?
Veröffentlicht: 09.10.2013
Wenn man einen essentiellen Tremor hat: In welchen Hirnbereichen treten die Störungen auf und warum? Und wie bewirken die verschiedenen Medikamente, Alkohol und die Tiefe Hirnstimulation, dass das Zittern gedämpft wird?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Prof. Dr. Günther Deuschl, Direktor der Klinik für Neurologie, Christian-Albrechts Universität Kiel:
Man unterscheidet verschiedene Tremor-Formen: Ein Mensch, der an Parkinson erkrankt ist, zittert, wenn er oder sie in Ruhe ist. Deswegen nennt man das Ruhe-Tremor. Ein essentieller Tremor tritt hingegen dann auf, wenn man etwas tut: Typisch ist zum Beispiel, dass die Hand zittert, wenn man etwas unterschreiben, ein Glas Wasser greifen oder einen Schlüssel ins Haustürschloss stecken möchte. Der essentielle Tremor beeinträchtigt also die motorischen Fähigkeiten.
Wie dieser essentielle Tremor im Gehirn genau entsteht, das weiß man noch nicht. Man weiß aber schon, welche Areale beteiligt sind: der Thalamus, das Kleinhirn und der Cortex. Bildgebende Verfahren haben gezeigt: Diese drei Hirnstrukturen sind aktiv, wenn das Zittern gerade auftritt. Man vermutet also: Diese Areale sind miteinander verbunden und aktivieren sich im Kreis. Diese Kreisläufe sind im Gehirn angelegt, aber das Oszillieren ist normalerweise unterdrückt. Beim essentiellen Tremor fällt diese Unterdrückung weg, und so kommt es zum Zittern.
Zu einem gewissen Teil sind diese aktivierten Kreisläufe aber wohl nicht nur Ursache des Zitterns, sondern auch Folge. Immerhin erzeugt jede Bewegung „draußen“ eine Empfindung „drinnen“. Und im Cortex liegen die Bereiche für die Sensorik und Motorik nun einmal nebeneinander.
Die Tiefe Hirnstimulation, mit der manche Patienten behandelt werden, zielt auf einen anderen Bereich im Gehirn ab: auf den Nucleus ventralis intermedius, kurz VIM. Das ist ein Kern im Thalamus, der wiederum zum Zwischenhirn gehört. Im VIM kommen verschiedene Bahnen zusammen, die wie Hauptstraßen durch das Gehirn verlaufen. Für die Tiefe Hirnstimulation werden Elektroden millimetergenau im VIM platziert. Dafür bohrt man in einer Operation zwei kleine Löcher in den Schädel und schiebt dann vorsichtig dünne Drähte zur der Stelle. Die Elektroden übertragen Stromimpulse zum VIM. Dadurch werden die rhythmischen Schwingungen an dieser Stelle gestört. Und das kann das Zittern verbessern.
Bevor man derart ins Gehirn eingreift, sollte man versuchen, das Zittern mit Medikamenten zu behandeln. Üblich sind bestimmte Beta-Blocker und Antikonvulsiva: Beta-Blocker sind eigentlich Medikamente gegen Bluthochdruck und Antikonvulsiva sind Präparate gegen Epilepsie. Warum ausgerechnet diese Medikamente wirken und wie genau, das weiß man leider nicht. Denn dass diese Medikamente wirken, wurde immer zufällig entdeckt: Ein Patient hatte Epilepsie und einen essentiellen Tremor, dann wurde ihm Topiramat gegen die Epilepsie gegeben, und daraufhin wurde auch das Zittern besser. Das Gleiche passierte bei dem Krampflöser Primidon und beim Beta-Blocker Propranolol. Selbst der Ort, an dem die Tiefe Hirnstimulation gegen den essenziellen Tremor wirkt, wurde zufällig entdeckt: Ein Patient mit dem Zittern hatte einen Schlaganfall im VIM und war danach für die gegenüberliegende Körperseite vom Tremor geheilt.
Manchmal heißt es auch: Alkohol sei gut gegen essentiellen Tremor. Aber medizinisch ist das völlig inakzeptabel. Zumal: Alkohol mag den Tremor für ein paar Stunden beruhigen, aber am nächsten Tag ist er nur umso schlimmer. Ich hatte schon Patienten, die drei Tage lang gezittert haben, weil sie mal einen über den Durst getrunken haben.
Aufgezeichnet von Franziska Badenschier
zum Weiterlesen:
Leitlinie „Tremor“: URL: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030 – 011.html [Stand 09.10.2013]; zur Webseite.
Cerebellum
Kleinhirn/Cerebellum/cerebellum
Das Cerebellum (Kleinhirn) ist ein wichtiger Teil des Gehirns, an der Hinterseite des Hirnstamms und unterhalb des Okzipitallappens gelegen. Es besteht aus zwei Kleinhirnhemisphären, die vom Kleinhirncortex (Kleinhirnrinde) bedeckt werden und spielt unter anderem eine wichtige Rolle bei automatisierten motorischen Prozessen.
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.
Nucleus
Nucleus/Nucleus/nucleus
Nucleus, Plural Nuclei, bezeichnet zweierlei: Zum einen den Kern einer Zelle, den Zellkern. Zum zweiten eine Ansammlung von Zellkörpern im Gehirn.
Kern
Kern/-/nucleus
Der Kern ist in einer Zelle der Zellkern, der unter anderem die Chromosomen enthält. Im Nervensystem ist der Kern eine Ansammlung von Zellkörpern – im zentralen Nervensystem als graue Masse, ansonsten als Ganglien bezeichnet.
Diencephalon
Zwischenhirn/Diencephalon/diencephalon
Zum Diencephalon (Zwischenhirn) gehören unter anderem der Thalamus und der Hypothalamus. Gemeinsam mit dem Großhirn bildet es das Vorderhirn. Im Diencephalon finden sich Zentren für Sensorik, Emotion und zur Steuerung lebenswichtiger Funktionen wie Hunger und Durst.
Schlaganfall
Schlaganfall/Apoplexia cerebri/stroke
Bei einem Schlaganfall werden das Gehirn oder Teile davon zeitweilig nicht mehr richtig mit Blut versorgt. Dadurch kommt es zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff und dem Energieträger Glukose. Häufigster Auslöser des Schlafanfalls ist eine Verengung der Arterien. Zu den häufigsten Symptomen zählen plötzliche Sehstörungen, Schwindel sowie Lähmungserscheinungen. Als Langzeitfolgen können verschiedene Arten von Gefühls– und Bewegungsstörungen auftreten. In Deutschland ging 2006 jeder dritte Todesfall auf einen Schlaganfall zurück.