Frage an das Gehirn
Warum heißt das Gehirn „Gehirn“?
Veröffentlicht: 23.04.2016
Wie kam das Gehirn eigentlich zu seinem Namen? Weiß man darüber etwas?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Prof. Dr. Ulrike Haß, Professorin für Linguistik der deutschen Sprache an der Universität Duisburg-Essen: Wie Dinge zu ihrem Wort kamen, beschäftigt Menschen schon seit sehr langer Zeit. Und es gab verschiedene Erklärungsansätze: Im Zeitalter des Barock, also ungefähr im Zeitraum von 1600 bis 1770, glaubte man beispielsweise, Gott habe den Dingen ihren Namen gegeben. Oder man nahm an, dass es eine verborgene logische Erklärung für die Wahl des Namens geben müsse.
Von diesen Vorstellungen kam man in der anschließenden Epoche der Aufklärung (circa 1720 bis 1800) ab. Es leuchtet wohl jedem ein, der schon einmal eine Fremdsprache gelernt hat: Vokabeln muss man pauken, man kann sie sich in der Regel nicht logisch herleiten. Seit der Aufklärung ist man sich daher darüber einig, dass es keine einfache Erklärung dafür gibt, warum ein Ding einen bestimmten Namen hat. Warum das Gehirn „Gehirn“ heißt, kann also niemand sagen.
Aber Etymologen, also Wissenschaftler, die sich mit der Herkunft und der Geschichte von Wörtern beschäftigen, können beispielsweise erforschen, wie alt eine Bezeichnung ist, um so mehr über ihre Herkunft zu erfahren. Bei „Gehirn“ wissen wir, dass es sich um ein vergleichsweise junges Wort handelt. Es ist erst im 15. Jahrhundert entstanden – in einer Zeit, aus der viele Wortschöpfungen mit der Vorsilbe „Ge-“ stammen, etwa „Gebeine“, „Gebäude“ oder „Gebilde“. Möglicherweise galt das zu dieser Zeit als besonders gute Sprache.
Viel älter ist die kürzere Variante „Hirn“, die heute noch in anatomischen Bezeichnungen üblich ist, aber auch in Wörtern wie „Hirngespinst“ oder „hirnrissig“ vorkommt. Wir wissen sicher, dass dieses Wort ursprünglich aus der urindogermanischen, oder, wie man heute besser sagt, der urindoeuropäischen Sprache stammt. Dabei handelt es sich um die gemeinsame Vorstufe aller Sprachen, die heute von Island im Westen über den Iran bis Indien im Osten gesprochen werden. Die Urindoeuropäer lebten vermutlich vor 6000 bis 9000 Jahren im heutigen Anatolien, möglicherweise auch nördlich von Schwarzem und Kaspischem Meer. Durch Völkerwanderungen verbreitete sich diese Ursprache und wurde stark abgewandelt. Von Indien bis Island entstanden so rund 400 unterschiedliche Sprachen, die alle zur indogermanischen Wurzel gezählt werden. Demnach sind etwa „Gehirn“, die englische Bezeichnung „brain“ oder das schwedische „hjärna“ alle aus demselben Wort entstanden.
Um mehr darüber zu erfahren, was das Wort ursprünglich bedeutete, kann man nun hingehen und „Hirn“ mit verwandten Wörtern vergleichen – in der deutschen, aber auch in den vielen anderen indoeuropäischen Sprachen. Dazu zählt etwa „Horn“, etwas, das am Kopf getragen wird. Nun ist es leicht vorstellbar, dass Menschen auch schon vor tausenden von Jahren erlegte Tiere geöffnet haben, um sie zu verwerten. Daher kann man annehmen: Horn bezeichnet etwas, das sich oben am Kopf befindet und Hirn steht für das, was im Kopf ist.
Aufgezeichnet von Stefanie Reinberger