Kreativ und krank im Kopf
Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander – so das Klischee. Doch auch Forschung zeigt: Zwischen psychischer Krankheit und Kreativität gibt es einen Zusammenhang. Inzwischen haben Wissenschaftler auch eine Theorie, warum das so ist.
Wissenschaftliche Betreuung: Dr. Pascal Nicklas
Veröffentlicht: 26.02.2013
Niveau: mittel
Die Auswertung der Biographien von Berühmtheiten zeigt: Sie leiden überdurchschnittlich häufig an psychischen Krankheiten.
Eine umfassende schwedische Bevölkerungsstudie zeigt: Menschen, die an bipolarer Störung oder Schizophrenie leiden, sind überdurchschnittlich häufig als Künstler tätig.
Für das Gen Neuregulin 1 haben Forscher einen Zusammenhang mit psychischen Krankheiten gefunden. Dieses Gen scheint auch die Kreativität zu beeinflussen.
Psychologen vermuten, dass eine geschwächte Filterfunktion im Gehirn verantwortlich für psychische Krankheiten ist. Ein solch unscharfer Filter könnte aber auch für besonders inspiriertes Denken sorgen.
Gen
Gen/-/gene
Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.
“So wie die Verrücktheit, in einem höheren Sinn, der Anfang aller Weisheit ist, so ist Schizophrenie der Anfang aller Kunst, aller Phantasie.” Das schreibt Hermann Hesse in seinem Roman “Steppenwolf”. Hat er recht? Muss man irre sein, um kreativ zu sein? Mindestens seit der Antike gibt es diesen Mythos, dass Genie und Wahnsinn dicht beieinander liegen, verbreitet etwa von Aristoteles und Seneca. Auch in der heutigen öffentlichen Wahrnehmung hält sich das Klischee vom genialischen, aber verrückten Wissenschaftler oder vom Schriftsteller, der zwischen Schwermut und wahnwitzigem Arbeitseifer schwankt.
Wer einmal psychisch kranke Menschen in einer Klinik erlebt hat, der könnte diese Idee von den kreativen Verrückten leicht bezweifeln. Oft sind sie antriebslos oder so verwirrt, dass sie sich nicht einmal auf die einfachsten Dinge konzentrieren können. Wie soll so ein kreatives Werk entstehen? Und dennoch hat sich hartnäckig über all die Jahrhunderte die Idee erhalten, dass Genie und Wahnsinn in irgendeiner Form zusammengehören.
Wahrnehmung
Wahrnehmung/Perceptio/perception
Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.
Genies mit psychischen Problemen
Es ist für viele ein faszinierendes Thema: Das Genie und sein Wahn. Etwa der Komponist Robert Schumann, der in seinen manischen Phasen seine schönsten Werke kreiert hat und unglaublich produktiv war, der aber auch melancholische Phasen hatte, in denen er fast nichts schuf. Oder – als Paradebeispiel – der Maler Vincent van Gogh, der in seinem Wahn sich das Ohr abschnitt. Die einen sind gefesselt von den exzentrischen Marotten der Künstler, die anderen wollen ihren eigenen seelischen Nöten einen Sinn verleihen. Entsprechend haben auch viele Wissenschaftler in den letzten Jahrzehnten nach Belegen für die Genie-Wahnsinn-These gesucht – und sind vielfach fündig geworden.
Besonders beliebt ist das Rätseln, welcher berühmte Mensch der vergangenen Epochen welche psychische Krankheit gehabt hat. In den 1990er Jahren gab es zwei umfangreiche Studien, eine von dem Briten Felix Post, die andere von dem US-Amerikaner Arnold Ludwig. Beide konnten zeigen, dass Berühmtheiten – Wissenschaftler, Maler, Schauspieler – überdurchschnittlich oft an seelischen Krankheiten litten.
Allerdings ist Hermann Hesses rigorose These, dass man unbedingt verrückt sein muss, um als Kreativer erfolgreich zu sein, so nicht haltbar. Denn selbst bei der am stärksten gebeutelten Gruppe, den erfolgreichen Schriftstellern, hatten nicht alle ein psychisches Leiden: Zwar waren bis zu 46 Prozent betroffen. Aber da gab es ja noch die fehlenden 54 Prozent ohne bekannte seelische Erkrankung.
Die Untersuchung von Berühmtheiten birgt überdies mehrere methodische Probleme. Es handelt sich fast immer um Ferndiagnosen, basierend auf Beschreibungen von Zeitgenossen und auf autobiografischen Texten. Auch sind die Kriterien, nach denen die Berühmtheiten ausgewählt wurden, bei den Studien nicht immer vergleichbar.
Ohr
Ohr/Auris/ear
Das Ohr ist nicht nur das Organ des Hörens, sondern auch des Gleichgewichts. Unterschieden werden das äußere Ohr mit Ohrmuschel und äußerem Gehörgang, das Mittelohr mit Trommelfell und den Gehörknöchelchen sowie das eigentliche Hör– und Gleichgewichtsorgan, das Innenohr mit der Gehörschnecke (Cochlea) und den Bogengängen.
Ein Blick nach Schweden
Stichhaltiger sind bevölkerungsübergreifende Studien. Eine besonders umfangreiche Untersuchung aus dem Jahr 2011 kommt aus Schweden, einem Land, in dem Informationen zur Gesundheit der Einwohner leicht zugänglich sind. Wissenschaftler vom Stockholmer Karolinska Institutet ermittelten bei 300.000 psychisch Kranken, ob sie verstärkt kreativen Berufen – künstlerischen und wissenschaftlichen – nachgingen.
Es zeigte sich, dass man nicht alle seelischen Leiden in einen Topf werfen kann. Menschen, die im Laufe ihres Lebens wegen einer einfachen (unipolaren) Depression behandelt wurden, hatten keine auffällige Berufswahl: Ihre Vorliebe für Kreativ-Berufe war nicht größer als in der durchschnittlichen Bevölkerung.
Ganz anders die Patienten mit bipolarer Störung, bei der sich Phasen der Manie und der Depression abwechseln: Sie waren überdurchschnittlich häufig als Künstler oder Wissenschaftler tätig. Schizophrene zeigten ein differenziertes Ergebnis: Wenn man alle kreativen Berufe zusammengerechnet betrachtete, besaßen sie eine ähnliche Quote wie der Bevölkerungsdurchschnitt. Bei genauerer Analyse wurde deutlich: Es waren ungewöhnlich wenig Forscher unter ihnen – und auffällig viele bildende Künstler.
Depression
Depression/-/depression
Phasenhaft auftretende psychische Erkrankung, deren Hauptsymptome die traurige Verstimmung sowie der Verlust von Freude, Antrieb und Interesse sind.
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Ein verdächtiges Gen
Einen Hinweis, woher dieser Zusammenhang zwischen psychischen Krankheiten und Kreativität kommt, liefert die Genetik. Man weiß, unter anderem aus Familienstudien, dass die Neigung zur Schizophrenie auch vom Erbgut beeinflusst wird. 2002 haben Wissenschaftler ein Gen ausgemacht, von dem sie vermuten, dass es im Zusammenhang mit der psychischen Krankheit steht: Neuregulin 1. In der Bevölkerung sind vor allem zwei Varianten dieses Gens verbreitet: C und T. Menschen, die auf beiden Chromosomen-Kopien die T-Variante tragen, haben ein deutlich erhöhtes Risiko für Psychosen.
Der Psychiater Szabolcs Kéri von der ungarischen Semmelweis-Universität untersuchte 2009 an 200 Probanden, welche Varianten des Neuregulin 1-Gens trugen. Zudem stellte er ihnen Fragen, die die Fantasie anregen sollten, etwa: “Stellen Sie sich vor, dass von Wolken Fäden bis zur Erde herabhingen. Was würde passieren?” Viele antworteten erwartbar, etwa: “Ich würde das Wetter ändern” oder “Ich würde an den Fäden zu den Wolken hochklettern”. Andere Probanden hatten überraschende Ideen. Einer sagte zum Beispiel: “Ich würde eine Decke stricken, um die Erde zu bedecken und zu schützen”. Die Antworten sortierte der Forscher nach Originalität und erstellte so für jeden Probanden einen Kreativitätsindex. Er stellte fest, dass die Träger von zwei T-Varianten sehr viel kreativer waren als die Träger von zwei C-Varianten. Dazwischen lagen die Menschen, die auf einem Chromosom T trugen und auf dem anderen C. Das bedeutet: Ein Gen, das mit psychischen Erkrankungen in Verbindung gebracht wird, kann auch die Kreativität beeinflussen. ( Im Kopf des Künstlers)
Gen
Gen/-/gene
Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.
Gen
Gen/-/gene
Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.
Gen
Gen/-/gene
Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.
Schwächere Filter
Damit ist selbstverständlich nicht das gesamte Rätsel gelöst, wie auf DNA-Ebene der Zusammenhang zwischen Genie und Wahnsinn entsteht. Denn es sind extrem komplexe Prozesse, die von sehr vielen verschiedenen Genen gesteuert werden. Aber dennoch gibt Neuregulin 1 einen Hinweis, warum psychisches Leid und Inspiration nah beieinanderliegen.
Man weiß, dass dieses Gen die Funktion des präfrontalen Cortex beeinträchtigen kann. Das ist einer der Orte, an denen das Gehirn eine wichtige Filterfunktion übernimmt: Ständig erreichen uns unzählige Eindrücke. Wenn wir etwa im Restaurant sitzen, nehmen wir auch alle Menschen an den Nachbartischen wahr. Um uns mit dem Gegenüber unterhalten zu können, müssen wir aussieben. Unwichtiges wird ausgeblendet, wir konzentrieren uns auf das Wesentliche. “Latente Inhibition” nennen Psychologen diese Fähigkeit.
Aus zahlreichen Untersuchungen weiß man, dass bei vielen psychisch Kranken dieser Filter nicht gut funktioniert. Ihr Gehirn wird bombardiert mit Informationen – ein Effekt, der mitverantwortlich für ihr Leiden sein dürfte. Inzwischen ist auch bekannt, dass Menschen mit geringer latenter Inhibition besonders kreativ sind.
Kreative Menschen können gut assoziieren, sie funktionieren nicht nach Schema F und sind bereit, über Grenzen zu gehen. Mit anderen Worten: Sie denken weniger gefiltert. Es scheint also, dass der Mechanismus, der psychisch Gesunde davor bewahrt, verrückt zu werden, gleichzeitig auch die Kreativität einschränkt. Viele Forscher vermuten, dass für künstlerische Leistungen der Filter weder zu eng noch zu weit eingestellt sein darf. Denn wenn etwa ein Schizophrenie-Patient einen Krankheitsschub hat, dann kann er kaum malen oder dichten. Aber bei einer milden Ausprägung kann er seine Gedanken freier fliegen lassen, als es den Normalen möglich ist.
Dafür gibt es auch einen Hinweis in der bereits erwähnten Bevölkerungsstudie vom Karolinska Institutet: Bei Schizophrenen und Menschen mit bipolarer Störung waren auch ihre nicht erkrankten Geschwister und Eltern deutlich häufiger Künstler oder Wissenschaftler. Die Verwandten trugen ähnliche Gene, sie hatten also möglicherweise eine ähnlich geringe latente Inhibition. Sie waren aber in der Lage, damit klarzukommen, ohne krank zu werden – und konnten die Kreativität ohne Einschränkung ausleben.
Gen
Gen/-/gene
Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.
Gen
Gen/-/gene
Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.
Präfrontaler Cortex
Präfrontaler Cortex/-/prefrontal cortex
Der vordere Teil des Frontallappens, kurz PFC ist ein wichtiges Integrationszentrum des Cortex (Großhirnrinde): Hier laufen sensorische Informationen zusammen, werden entsprechende Reaktionen entworfen und Emotionen reguliert. Der PFC gilt als Sitz der exekutiven Funktionen (die das eigene Verhalten unter Berücksichtigung der Bedingungen der Umwelt steuern) und des Arbeitsgedächtnisses. Auch spielt er bei der Bewertung des Schmerzreizes eine entscheidende Rolle.
Hemmung
Hemmung/-/inhibition
Die neuronale Inhibition, oder auch Hemmung umschreibt das Phänomen, dass ein Senderneuron einen Impuls zum Empfängerneuron sendet, der bei diesem dazu führt, dass seine Aktivität herabgesetzt wird. Der wichtigste hemmende Botenstoff ist GABA.
zum Weiterlesen:
- Kyaga S et al: Creativity and mental disorder: family study of 300.000 people with severe mental disorder. In: The British Journal of Psychiatry. 2011; Nov, 199(5):373 – 9 (zum Text).
- Kéry S: Genes for Psychosis and Creativity: a promoter polymorphism of the neuregulin 1 gene is related to creativity in people with high intellectual achievement. In: Psychological Science, 2009 Sep, 20(9):1070 – 3 (zum Text).