Frage an das Gehirn
Warum träumen wir?
Veröffentlicht: 01.01.2012
Manche jagen Verbrecher oder kämpfen gegen zottige Monster, andere verspeisen haushohe Schokotorten oder treffen ihren heimlichen Schwarm. Im Traum ist alles möglich. Doch warum produziert das Gehirn jede Nacht die vielen bunten Filme?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Michael Schredl, Schlafforscher am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim: Es gibt keine Menschen, die nicht träumen. Auch wenn wir uns nicht erinnern, haben wir trotzdem geträumt. Das Träumen wird definiert als unser subjektives Erleben während des Schlafes. Dieses subjektive Erleben schaltet sich nie aus – genauso wie im Wachzustand. Wenn man Leute wiederholt beim Einschlafen oder während des Schlafes weckt, berichten sie fast immer irgendwelche Traumfetzen.
Ob das Träumen eine eigene Funktion hat, ist jedoch schwierig zu beantworten. Denn damit ich weiß, was jemand geträumt hat, muss er mir den Traum erzählen. Dabei kann es sein, dass er über den Traum nachdenkt und deshalb im Wachzustand eine bessere Idee hat oder besser mit einer Situation zurechtkommt. Ich weiß dann nicht, ob der Effekt von dem Traum selbst herrührt oder vom Erzählen und Nachdenken über den Traum.
Trotzdem gibt es mehrere Theorien zum Sinn des Träumens: Während des Schlafes verfestigt und bearbeitet unser Gehirn das, was wir tagsüber gelernt haben. Manche Wissenschaftler vermuten, dass das Träumen dabei eine wichtige Rolle spielt. Ihre Idee ist, dass beim Träumen das Gehirn neue Information mit alter Information mischt und dann abspeichert. Denn Versuchsteilnehmer berichten, dass sich in ihren Träumen neue mit alten Erfahrungen mischen, die beide häufig emotional miteinander verbunden sind. Der Schlafende bearbeitet Themen, die ihn beschäftigen, und findet durch die Kreativität der Träume möglicherweise Lösungen für seine aktuellen Probleme.
Eine ähnliche Theorie besagt, dass wir uns in Träumen auf Situationen vorbereiten und praktische Fähigkeiten trainieren, die wir später brauchen. Denn auch kleine Kinder erleben schon viel REM-Schlaf, den Schlaf mit den intensivsten Träumen. Dieses Schlafstadium tritt in vier bis fünf Phasen in der Nacht auf und machte ungefähr zwanzig Prozent des Gesamtschlafes bei einem Erwachsenen aus. REM steht dabei für Rapid-Eye-Movement, da sich die Augen unter den geschlossenen Augenlidern schnell hin und her bewegen. In diese Zeit ist das Gehirn am aktivsten ist, im Vergleich zum NON-REM-Schlaf oder Tiefschlaf. Man geht heute davon aus, dass wir auch in den anderen Schlafphasen träumen, aber das bildhafte intensive Erleben ist am stärksten ausgeprägt im REM-Schlaf.
Andere Wissenschaftler gehen davon aus, dass wir im Traum lernen mit Angstsituationen umzugehen. Alpträume sind dabei nur der Gipfel des Eisberges. Immer wenn man tagsüber eine brenzlige Situation erlebt, verfestigt man im Traum das Wissen, um nächstes Mal diese gefährliche Lage zu umgehen. Denn wer Gefahren vermeidet, hat eine höhere Überlebenschance.
Um Traumbilder zu erzeugen, arbeitet das ganze Gehirn mit, und es gibt viel Ähnlichkeit zum Wachzustand. Wenn man sich bewegen will, ist auch der Motorcortex aktiv. Nur die Übertragung zum Muskel wird im Hirnstamm blockiert, sonst würde sich der Träumende im Schlaf bewegen. Vor allem im REM-Schlaf fallen noch zwei Unterschiede bezüglich der Gehirnaktivität auf: Die Amygdala, die für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist, ist während des Träumens aktiver als im Wachzustand. Weniger stark als im Wachzustand feuert dagegen der Präfrontale Cortex, der vor allem für das planerische und geradlinige Denken und Handeln zuständig ist. Manche Forscher vermuten, dass wegen dieser geringeren Aktivität des Präfrontalen Cortex Träume oft bizarr sind.
aufgezeichnet von Hanna Drimalla
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Cortex bezeichnet eine Ansammlung von Neuronen, typischerweise in Form einer dünnen Oberfläche. Meist ist allerdings der Cortex cerebri gemeint, die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.