Erinnern mit Gefühl

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Lernen mit Gefühl
Author: Leonie Seng

Die Hochzeit des besten Freundes, die Beerdigung der geliebten Oma – als wäre es gestern passiert. Während die Tage davor und danach längst verblasst sind, bleiben Ereignisse, die mit starken Emotionen verbunden sind, im Gedächtnis hängen.

Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Axel Mecklinger

Veröffentlicht: 06.02.2018

Niveau: mittel

Das Wichtigste in Kürze
  • Ereignisse, die mit starkem emotionalen Empfinden verknüpft sind, prägen sich besonders tief ins Gedächtnis ein.
  • Dies liegt unter anderem daran, dass zwischen der für die emotionale Bewertung von Reizen verantwortlichen Amygdala und dem für die Gedächtnisbildung zentralen Hippocampus enge Verbindungen bestehen.
  • Studien zeigen, dass bei emotionalen Ereignissen ausgeschüttete Botenstoffe, insbesondere das Noradrenalin, die Neubildung und Stärkung von Nervenzellverbindungen fördern – und so einen für die Gedächtnisbildung zentralen Prozess beeinflussen.

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Darüber hinaus ist sie an der Verknüpfung von Emotionen mit Erinnerungen, der emotionalen Lernfähigkeit sowie an sozialem Verhalten beteiligt. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt. 

Konstruierte Vergangenheit

Erinnerungen an Kindheit und Jugend sind oft besonders intensiv. Vieles passiert zum ersten Mal und ist daher besonders aufregend und mit starken Emotionen verbunden. Später wiederholt sich vieles und erscheint daher oft weniger interessant. Doch längst nicht alles, was wir erinnern, entspricht dem tatsächlichen Geschehen in der Vergangenheit. Studien zeigen, dass viele Erwachsene sich ihre Kindheitserinnerungen nicht nur verschönen, sondern zum Teil auch neu erfinden. Ältere Menschen bewerten außerdem unangenehme Ereignisse nicht mehr so negativ. Der Grund dafür: Selbstschutz. “Mit schönen Erinnerungen lässt es sich besser leben”, meint Hans J. Markowitsch.

Ohne Emotionen keine Erinnerung

Wie sehr das Gedächtnis von der Bewertung der Gefühle in der Amygdala abhängt, zeigt sich anhand einer seltenen Krankheit, dem Urbach-Wiethe-Syndrom. Menschen, die an dieser genetisch bedingten Verkalkung der Amygdala leiden, sind nicht nur in ihrem Gefühls- und Sozialverhalten eingeschränkt, sondern verfügen darüber hinaus auch noch über ein schlechtes Gedächtnis. Besonders schwer tun sich Betroffene dabei, die emotionale Bedeutung von Gesichtsausdrücken zu erkennen.

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Darüber hinaus ist sie an der Verknüpfung von Emotionen mit Erinnerungen, der emotionalen Lernfähigkeit sowie an sozialem Verhalten beteiligt. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt. 

… und dann trafen sich ihre Lippen und sie küssten sich zum ersten Mal. An seinen ersten Kuss erinnert sich jeder, selbst wenn er schon Jahrzehnte zurückliegt. Die Umgebung: blühende Frühlingswiese, das Wetter: blauer Himmel mit Schäfchenwolken, selbst die Sockenfarbe des Gegenübers: rot – können meist bis ins kleinste Detail beschrieben werden. Aber was war eigentlich am Tag danach? Oder eine Woche davor? Keinen blassen Schimmer mehr!

Offensichtlich ist die Erinnerung nicht bei allen Ereignissen gleichermaßen ausgeprägt. Besonders bewegende Erlebnisse wie die erste Beziehung, der Tod eines geliebten Menschen oder der kapitale Sturz mit dem neuen Fahrrad am zehnten Geburtstag bleiben gewöhnlich besser im Gedächtnis hängen als triviale Alltagsmomente. Ein Grund dafür sind die starken Emotionen, die einen Mensch in solchen Situationen überfluten. Nie gekannte Liebesgefühle, große Trauer oder der Schreck beim Fall vom Fahrrad veranlassen, dass eine sehr umfangreiche Momentaufnahme dieser Situation im Gedächtnis gespeichert wird. Wie ein besonders farbenfroh gemaltes Bild sind solche Ereignisse später aus dem großen Archiv der Erinnerungen leichter wieder abrufbar.

Emotionen als Gedächtnisstütze

Fragen Sie eine Person nach dem 11. September 2001, so wird sie ihnen Ort und Umstände, an denen sie die Nachricht von den schrecklichen Terroranschlägen erreichte, mit großer Wahrscheinlichkeit ziemlich detailliert beschreiben können. Und mit ähnlich großer Wahrscheinlichkeit wird sich diese Person an den 10. September 2001 nicht mehr erinnern. Solche Beispiele machen jedem deutlich, wie eng Gefühle und Gedächtnis bei uns Menschen miteinander verbunden sind.

Einer der ersten, der diesen Zusammenhang auch neurowissenschaftlich unter die Lupe genommen hat, war Larry Cahill von der School of Biological Sciences an der University of California in Irvine. Bereits 1996 bat der Psychobiologe eine Gruppe von Probanden, sich jeweils zwölf neutrale und zwölf emotional aufwühlende Filmszenen anzusehen. Mittels Positronen-Emissions-Tomographie untersuchte der Forscher währenddessen deren Gehirnaktivitäten. Drei Wochen später sollten sich die Versuchsteilnehmer dann wieder an die Sequenzen erinnern.

Wie Cahill vermutet hatte, reagierte das Gehirn schon beim Betrachten der Filmszenen stärker auf die emotional erregenden Filme als die neutralen. Besonders aktiv war die Amygdala, ein Teil des limbischen Systems, der unter anderem für die emotionale Bewertung von Reizen und die Verknüpfung von Ereignissen mit Emotionen zuständig ist. Je stärker die Amygdala beim Betrachten der emotional aufwühlenden Filmszenen aktiviert war, desto besser konnten die Probanden diese Filmszenen drei Wochen später erinnern. Bei neutralen Filmszenen hingegen fand sich dieser Zusammenhang nicht.

Die Amygdala steht in Verbindung mit dem Hippocampus, der auch als “Wächter der Erinnerung” bezeichnet wird. Diese Hirnregion spielt bei Überführung von Inhalten aus dem Kurz– ins Langzeitgedächtnis die entscheidende Rolle.Gedächtnisse für emotional aufwühlende Ereignisse, die durch eine Kopplung von Amygdala und Hippocampus zustande kommen unterliegen einem besonderen Bindungsgeschehen (emotional binding) und werden demzufolge langsamer vergessen als emotionsfreie Gedächtnisinhalte. Emotionen und Gedächtnis stehen also auch auf Hirnebene in Zusammenhang. Wie eng diese Verbindung ist, zeigt sich auch daran, dass Menschen mit Schädigungen der Amygdala oft unter einem schlechten Emotionsgedächtnis leiden (siehe Info-Kasten).

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Darüber hinaus ist sie an der Verknüpfung von Emotionen mit Erinnerungen, der emotionalen Lernfähigkeit sowie an sozialem Verhalten beteiligt. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt. 

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Noradrenalin hilft beim Erinnern

“Ohne Gefühle gibt es keine Erinnerung”, sagt der Psychologe Hans J. Markowitsch von der Universität Bielefeld. Wird ein Reiz vom “Gefühlszentrum” im limbischen System als besonders positiv oder negativ bewertet, werden vermehrt Botenstoffe wie Dopamin, Serotonin oder Noradrenalin freigesetzt. Diese Neurotransmitter beeinflussen die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen. So konnte die Arbeitsgruppe von Larry Cahill zeigen, dass der Betablocker Propranolol, der Noradrenalinrezeptoren in der Amygdala blockiert, die besseren Erinnerungen an emotionale Ereignisse eliminieren kann. Durch die Blockade des Noradrenalins wird also die Fähigkeit von Emotionen, das Gedächtnis zu verbessern wieder zunichte gemacht.

Über welche Mechanismen der Botenstoff Noradrenalin auf die Gedächtnisbildung einwirkt, hat der US-amerikanische Neurobiologe Robert Malinow kürzlich beschrieben. Der an der University of California tätige Malinow setzte Mäuse dem Geruch von Fuchs-Urin aus, um so die Ausschüttung des Stresshormons Noradrenalin auszulösen. Als er die Gehirne der von einem potenziellen Feind geängstigten Mäuse näher untersuchte, stellte der Neurobiologe eine größere Anzahl von so genannten GluR1-Rezeptoren an den Nervenzellendigungen (Synapsen) der Neurone im Hippocampus fest. Noradrenalin bindet an diese Rezeptoren und bewirkt dadurch eine Veränderung der Zellaktivität. Auf diese Weise werden bereits vorhandene Nervenzellverbindungen gestärkt und neue Synapsen gebildet – was als zentraler Mechanismus der Gedächtnisbildung gilt. Anders formuliert: Je mehr GluR1-Rezeptoren in einer Zellmembran vorhanden sind, desto besser können die Zellen miteinander kommunizieren, das heißt Signale übertragen — und ein bestimmtes Aktivitätsmuster langfristig speichern.

Dies gelte allerdings nur für einmalige Stresssituationen, betont Hans J. Markowitsch. Bei chronischem negativen Stress sterben langfristig Nervenzellen im Hippocampus ab. Besser ist also, über die an positiven Emotionen beteiligten Botenstoffe wie Dopamin und Serotonin das Erinnerungsvermögen zu stärken. Sie können bei einem Lob ausgeschüttet werden, das nicht nur die Motivation fördert, sondern eben auch den für die dauerhafte Gedächtnisbildung so zentralen Aus– und Umbau der synaptischen Verbindungen zwischen Nervenzellen.

Gefühle und Emotionen sind also ein maßgeblicher Indikator dafür, ob Ereignisse es wert sind, langfristig gespeichert zu werden, oder nicht. Sie helfen uns dabei, die unzähligen Reize und Informationen, die täglich auf uns einströmen, nach ihrer Relevanz zu sortieren - und machen so das Leben nicht nur leichter, sondern auch lebenswerter. Vor allem an emotional positiv verknüpfte Erlebnisse denkt man schließlich immer wieder gerne zurück und hält damit diese wichtigen Erinnerungen wach. Auch wenn das Bild aus dem Gedächtnis dabei nicht immer den Tatsachen entspricht (siehe Info-Kasten).

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Darüber hinaus ist sie an der Verknüpfung von Emotionen mit Erinnerungen, der emotionalen Lernfähigkeit sowie an sozialem Verhalten beteiligt. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt. 

Dopamin

Dopamin/-/dopamine

Dopamin ist ein wichtiger Botenstoff des zentralen Nervensystems, der in die Gruppe der Catecholamine gehört. Es spielt eine Rolle bei Motorik, Motivation, Emotion und kognitiven Prozessen. Störungen in der Funktion dieses Transmitters spielen eine Rolle bei vielen Erkrankungen des Gehirns, wie Schizophrenie, Depression, Parkinsonsche Krankheit, oder Substanzabhängigkeit.

zum Weiterlesen:

  • Yonelinas, A.P. & Ritchey, M. (2015). The slow forgetting of emotional episodic memories: an emotional binding account. Trends in Cognitive Science, 19-5, 259-267.
  • Cahill, L., Prin, B., Weber, M., McGaugh, J (1994). Beta-adrenergic activation and memory for emotional events. Nature, 371, 702-704

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