Der Hippocampus

© dasGehirn.info

Sieht er wirklich aus wie ein Seepferdchen? Über das Aussehen mag man streiten, über die Funktion nicht: Bei der Einspeicherung neuer Gedächtnisinhalte spielt der Hippocampus die entscheidende Rolle – wem er fehlt, der kann sich nichts Neues merken.

Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Horst-Werner Korf

Veröffentlicht: 23.08.2011

Niveau: schwer

Das Wichtigste in Kürze

Der Hippocampus ist ein „eingerolltes“ Stück Cortex, das – einem Wurm nicht unähnlich – innen am Temporallappen, am Boden der Seitenventrikel liegt. Er ist ein Teil des limbischen Systems, das mit der „Erzeugung“, der „Archivierung“ und dem „Abruf“ von Inhalten des Langzeitgedächtnisses zu tun hat. Und er ist einer der wenigen Orte im Gehirn, an dem zeitlebens neue Nervenzellen geboren werden.

Hippocampus – das heißt wörtlich „Seepferdchen“. Gemeint ist tatsächlich der allbekannte Fisch. Wenn Sie sich die Bilder mal anschauen: Sieht so ein Seepferd aus? – Doch eher nicht. Vielleicht aus diesem Grund hat der Erstbeschreiber dieser Struktur, der venezianische Anatom Julius Caesar Arantius, als Alternativbezeichnung den Seidenwurm vorgeschlagen. Doch das Seepferd setzte sich durch, es begleitet uns nun seit dem 16. Jahrhundert. Und dieses Seepferd, dieser Hippocampus, ist eine der zentralen Strukturen des limbischen Systems, dient der Steuerung unserer Affekte und vor allem unserem Gedächtnis.

Lage und Gestalt

Schneidet man das Großhirn horizontal – etwa auf der Höhe der Augen – durch und hebt den „Deckel“ ab, so zeigen sich die Hippocampi als gebogene, wurmartige Gebilde, die beiderseits am Boden der Seitenventrikel des Temporallappens liegen. Sie enden jeweils in einer plumpen, mit „Knubbbeln“ versehenen Struktur, die man als Pes hippocampi bezeichnet – den Fuß des Seepferdes. Nun ja, auch ein Seidenwurm hätte keine Füße gehabt. In einem weiteren Überschwang anatomischer Ausdrucksstärke wurden besagte Knubbel als Digitationes pedis hippocampi, als Seepferdchenfußzehen bezeichnet. Zum Hinterhaupt hin geht der Hippocampus in elegantem Schwung in den Fornix über. Der bündelt nicht alle, aber die meisten Fasersysteme, über die der Hippocampus mit anderen Hirngebieten in Verbindung steht.

Der Hippocampus ist eine corticale Struktur. Seine verschiedenen Untereinheiten – Subiculum, Cornu ammonis und Fascia dentata – bestehen wie der übrige Cortex sämtlich aus plattenartigen Schichten von Nervenzellen. Allerdings hat der Cortex des Hippocampus nicht die typische sechsfache Schichtung des Isocortex, weswegen man ihn auch als Allocortex (also „Anders-​Cortex“) bezeichnet. Typisch für den Hippocampus ist zudem die „Einrollung“ dieser plattenartigen Cortices. Kurzum, er erinnert quergeschnitten unter der Lupe betrachtet ein wenig an einen längs liegenden Topfenpalatschinken.

Die Haupteingänge zum Hippocampus stammen aus dem entorhinalen Cortex, der ihm unmittelbar anliegt. Sie verlaufen im Tractus perforans. Der entorhinale Cortex ist seinerseits mit allen Assoziationsgebieten des Neocortex verbunden. Salopp gesagt bekommt der Hippocampus auf diese Weise stets mit, was im Bewusstsein gerade vor sich geht. Die Hauptausgänge des Hippocampus sind über den bereits genannten Fornix zum gegenüberliegenden Hippocampus und zu den Corpora mamillaria gerichtet.

Cornu ammonis

Ammonshorn/Cornu ammonis/ammon´s horn

Hirnabschnitt im Großhirn, und zwar das vordere Ende des Hippocampus, auch als Rindenband bekannt. Das Cornu Ammonis wird in die Felder CA1 bis CA4 unterteilt. Den Namen verdankt es seiner Form: Es erinnert an das Horn eines Ammonschafes.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Cortex bezeichnet eine Ansammlung von Neuronen, typischerweise in Form einer dünnen Oberfläche. Meist ist allerdings der Cortex cerebri gemeint, die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2

Allocortex

Allocortex/-/allocortex

Eine stammesgeschichtlich alte Region des Cortex (Großhirnrinde), die im Gegensatz zum Isocortex (auch genannt Neocortex) nicht sechs, sondern weniger Zellschichten aufweist – im Hippocampus zum Beispiel nur drei. Der Allocortex wird unterteilt in Paleo– und Archicortex sowie Periallocortex, der eine Übergangsform zwischen Allocortex und Isocortex darstellt.

Corpora mamillaria

Brustkörperchen/corpus mamillare /mammilary bodies

Zwei Strukturen des hinteren Thalamus (größter Teil des Zwischenhirns). Auf Grund ihrer Ähnlichkeit zur weiblichen Brust auch Brustkörperchen genannt. Sie liegen am Vorderende der Fornix (Hirngewölbe) und werden dem limbischen System zugeschrieben.

Empfohlene Artikel

Funktionsausfälle

Die Funktion einer Struktur kann man am ehesten ermessen, wenn sie ausfällt. Und so weiß man heute: Das Fehlen nur eines Hippocampus ist zu verschmerzen. Fehlen allerdings beide, so kommt es zu dramatischen Ausfällen. In der Tat gab es Patienten, denen beide Hippocampi entfernt werden mussten, um ansonsten inkurable Epilepsien zu behandeln. Der bekannteste dieser Patienten ist Henry Gustav Molaison (1926−2008), der als H.M. in die Fachliteratur einging. Er wurde berühmt aufgrund einer ganz typischen Gedächtnisstörung – der anterograden Amnesie. Sie betrifft das deklarative Gedächtnis, also das Wissen, das man über sich und die Welt hat. Das motorische Gedächtnis, also die allgemeinen Finger– und Bewegungsfertigkeiten, sind nicht betroffen.

Ein anterograder Amnestiker kann durchaus – wenn auch eingeschränkt – das Welt– und autobiographische Wissen abrufen, das er bereits vor Ausfall beider Hippocampi hatte. Aber er kann kein Neugedächtnis bilden, also kein neues Wissen erwerben. Die Zeit steht ihm still, sein Körper mag altern, aber sein Geist bleibt jung. Nichts kann er sich für mehr als ein paar Sekunden oder Minuten merken. Selbst wenn solch eine Amnesie als Jungbrunnen erscheinen mag, so ist sie doch nicht wirklich zu empfehlen — denn der Amnestiker ist tatsächlich im Jetzt „eingefroren“ — er kann zum Beispiel nie in eine neue Wohnung umziehen. Er fände den Weg in sein neues Zuhause nicht, würde sich nie darin zurechtfinden. Mit wieder anderen Worten: Ab dem Zeitpunkt der Entfernung beider Hippocampi geht ihm sein Leben im Jetzt verloren.

Zu diesen klinischen Befunden passt es sehr gut, dass die Hippocampi von Tieren, die sich „gut erinnern können müssen“ – Eichhörner, die Nüsse verstecken, aber auch manche Vögel, die Vorräte anlegen – ausgesprochen groß sind im Vergleich zu anderen Arten, die „von der Hand in den Mund“ leben.

Amnesie

Amnesie/-/amnesia

Eine Form der Gedächtnisstörung, die das Gedächtnis für Fakten und Ereignisse betrifft. Das unbewusste Gedächtnis für zum Beispiel senso-​motorische Fertigkeiten wie Auto– oder Fahrradfahren bleibt erhalten. 

Lernen und die Geburt neuer Zellen

Endlich hat man im Hippocampus, genauer – im Zusammenspiel seiner Nervenzellen — den neuronalen Mechanismus entdeckt, den man für das physiologische Substrat des Lernens hält: die Langzeitpotenzierung (LTP). In Kürze: Nervenzellen, die oft zeitgleich aktiv sind, koppeln sich elektrisch inniger aneinander als solche, die nur gelegentlich synchron aktiv sind. Die zugrundeliegende LTP beruht auf einer Veränderung der Synapsen. Die Übertragung von einem Neuron zum anderen wird im Falle der Synchronisation effektiver, salopp gesprochen: Der „synaptische Widerstand“ wird verringert.

Neuerdings weiß man auch, dass der Hippocampus – seine Fascia dentata, um genau zu sein — einer der wenigen Orte im Gehirn ist, an dem zeitlebens Neurone neu geboren werden. Man nennt das Neuroneogenese. Noch verstehen wir nicht recht, wozu sie gut ist. Doch die neugeborenen Nervenzellen werden in die bestehenden, sehr komplizierten intrinsischen Schaltkreise des Hippocampus eingebaut. Es gibt Hinweise darauf, dass Störungen dieser Neuroneogenese mit Depressionen im Zusammenhang stehen könnten.

No votes have been submitted yet.

Author

Wissenschaftliche Betreuung

Lizenzbestimmungen

Dieser Inhalt ist unter folgenden Nutzungsbedingungen verfügbar.

BY-NC: Namensnennung, nicht kommerziell

Zugehörige Pressemeldungen