Pädophilie: Neurobiologie einer außergewöhnlichen Neigung

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Pädophilie

„Warum ausgerechnet ich?“ Das fragen sich Erwachsene, die sich zu Kindern oder Jugendlichen hingezogen fühlen. Niemand kann sich seine sexuelle Neigung aussuchen. Deutsche Forscher untersuchen, was im Kopf von Pädophilen vorgeht – ganz neurobiologisch.

Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Harald Dreßing

Veröffentlicht: 27.03.2013

Niveau: mittel

Das Wichtigste in Kürze
  • Erwachsene, die sich zu Kindern oder Jugendlichen sexuell hingezogen fühlen, werden stigmatisiert: Sie seien Kinderschänder und krank im Kopf. Dabei sind die meisten verurteilten Kindesmissbraucher gar nicht pädophil.
  • Für seine sexuelle Neigung kann niemand etwas. Deswegen ist die Neigung an sich noch nicht krankhaft.
  • Das Gehirn von Pädophilen tickt aber durchaus etwas anders als üblich. Wenn Menschen mit einer sexuellen Vorliebe für Kinder oder Jugendliche erotische Bilder von Erwachsenen sehen, wird der Reiz nicht als sexuell erregend eingestuft. Wenn sie aber Bilder von nackten Kindern oder Jugendlichen sehen, so reagiert ihr Gehirn wie das eines Nicht-Pädophilen, der erotische Bilder von nackten Erwachsenen anschaut.
  • Nicht jeder Pädophile vergeht sich an den Objekten seiner Begierde. Die Trieb-Kontrolle wird ebenfalls im Gehirn gesteuert.
  • Das deutsche Forschungsprojekt „NeMUP“ untersucht deswegen nun die neurobiologischen Grundlagen von Pädophilie und sexuellem Kindesmissbrauch.

exzitatorisch

exzitatorisch/-/excitatory

Als exzitatorisch werden erregende Synapsen bezeichnet, die die nachfolgende Zellmembran depolarisieren und so zur Bildung eines Aktionspotenzials führen können. Eine exzitatorische Wirkung wird meist über einen erregenden Transmitter (Botenstoff), wie z.B. Glutamat, erzeugt. Das Gegenteil ist eine inhibitorische, hemmende Synapse.

Diagnose Pädophilie

Pädophile Personen fühlen sich sexuell hingezogen zu Kindern, die noch nicht in der Pubertät sind, also zum Beispiel noch keine Schamhaare haben. Menschen, die hingegen Pubertierende sexuell anziehend finden, werden als hebephil bezeichnet. Die sexuelle Neigung entwickelt sich wahrscheinlich während der eigenen Pubertät. Wie genau das abläuft, ist wissenschaftlich noch nicht eindeutig geklärt.

Im medizinischen Sinne ist Pädophilie eine Störung der Sexualpräferenz. Die Definitionen sind jedoch nicht eindeutig. So gilt als Pädophilie laut der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (ICD-10) die „sexuelle Präferenz für Kinder, Jungen oder Mädchen oder Kinder beiderlei Geschlechts, die sich meist in der Vorpubertät oder in einem frühen Stadium der Pubertät befinden“. Hier wird die Hebephilie also mit einbezogen. Die der Klassifikation der US-amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung berücksichtigt die Hebephilie nicht. Bei diesen beiden gängigen Klassifikationssystemen spielt ferner auch der Leidensdruck eine Rolle, also ob die Betroffenen sich in ihrem Leben wegen ihrer sexuellen Präferenz stark belastet fühlen.

Meilensteine

2003 gab es erstmals einen Hinweis darauf, dass Pädophilie neurobiologisch auffällig ist: In der Fachliteratur wurde von einem Mann berichtet, der mit 40 Jahren plötzlich pädophile Neigungen zeigte. Das ist untypisch, weil sich die sexuelle Neigung eigentlich während der Pubertät ausbildet und ein Leben lang bestehen bleibt. Bei einer Computertomographie stellte sich dann heraus, dass der Mann einen Hirntumor hatte. Dieser wurde herausoperiert, und die pädophilen Symptome verschwanden – bis sich wieder ein Tumor bildete.

Ebenfalls 2003 berichteten kanadische Sexualforscher: Pädophile hätten doppelt so häufig eine Kopfverletzung vor ihrem 13. Geburtstag erlitten wie Nicht-Pädophile. Martin Walter von Leibniz-Institut für Neurobiologie vermutet: „Deren Amygdala konnte sich wohl nicht richtig weiterentwickeln und so blieben diese Menschen in ihrer sexuellen Reife stecken. Die in dieser Phase durchaus normale Präferenz gegenüber Kindern blieb bestehen, statt dass sie sich später auf Erwachsene verschob.“

2012 berichtete der Sexual-Psychotherapeut Jorge Ponseti von der Universität Kiel: Anhand von Hirn-Scans könne er mit bis zu 95-prozentiger Treffsicherheit sagen, ob ein Mensch pädophil ist oder nicht. Die Scans seien genauer als die gängigen Standard-Fragenbögen. Und sie seien weniger aufdringlich und intim als die übliche Phallometrie. Dabei muss ein Mann ein Gerät über seinen Penis ziehen, das die Erektion nach verschiedenen Reizen misst. Nur drei Männer fielen in Ponsetis Studie durchs Raster – wahrscheinlich, weil sie nicht ausschließlich auf Kinder fixiert waren.

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt.

„Wenn ich ein Kind auf der Straße gesehen habe, das mir gefiel, dann ging sofort das Kopfkino an: Wie wäre es mit diesem Kind im Bett? Um die Erregung abzubauen, bin ich dann ins Internet und habe mir Pornos mit Kindern angeschaut.“ Der Mann – nennen wir ihn Markus – ist offen und direkt. Markus erzählt, wie zweimal die Polizei frühmorgens zur Hausdurchsuchung kam. Wie er beim ersten Mal seiner Familie gestehen musste, dass er Kinderpornos schaue. Wie seine Frau aufgeregt die drei Töchter und den Sohn fragte, ob sie vom Vater missbraucht worden waren. „Meine Kinder habe ich nicht angefasst“, versichert er. Aber der Versuchung im Internet konnte er nicht widerstehen. Manchmal sei er stundenlang durchs Netz gesurft, auf der Suche nach neuen Videos. „Danach bekam ich Schuldgefühle. Ich dachte: Ich bin ein Monster.“ Die breite Bevölkerung sieht das wohl auch so.

Doch zumindest Sexualmediziner und Psychologen sind überzeugt: Pädophile sind keine Monster. Als Markus in das Präventionsprojekt „Kein Täter werden“ aufgenommen wurde, das kostenlos und anonym an der Charité in Berlin durchgeführt wird, erkannte er: „Niemand kann etwas für seine sexuelle Neigung, auch ich nicht. Aber ich kann etwas für meine Handlungen.“ Diese Einsicht habe ihn psychisch entlastet.

In den vergangenen Jahren haben einige neurowissenschaftliche Studien offenbart: Bilder von nackten Frauen, nackten Männern, nackten Kindern – darauf reagiert das Gehirn von Pädophilen anders, als es für Nicht-​Pädophile typisch ist. Es wäre also ein Leichtes zu sagen: Ich muss mit Kindern ins Bett, ich kann nichts dafür, mein Gehirn ist schuld. „Aber das wäre doch nur eine Ausrede“, sagt der, der diese vermeintliche Ausrede gut hätte gebrauchen können, damals, als er zweimal Bußgeld zahlen musste. Aber der Mann weiß: „Ich bin doch selbst für das verantwortlich, was ich tue!“

Hirn reagiert anders auf Bilder von nackten Kindern oder Jugendlichen

Indes deuten neurowissenschaftliche Studien an: So mancher Pädophiler kann seinen Trieb durchaus schlechter kontrollieren als jemand, der sich zu gleichaltrigen Menschen hingezogen fühlt.

Martin Walter untersucht seit fast zehn Jahren, wie sexuelle Reize im Gehirn verarbeitet werden, bei Gesunden wie bei Kranken. In seinem kleinen Büro auf dem Gelände der Uniklinik Magdeburg klickt er sich durch ein paar Hirn-​Scans, um zu zeigen, wie das Gehirn eines Pädophilen auf das Bild eines nackten Kindes reagiert: Vom Auge geht der Reiz zunächst über die Sehbahn zum visuellen Cortex am Hinterkopf. Sofort wird kategorisiert: Aha, da ist jemand nackt. Währenddessen werden die Nervenimpulse weitergeleitet zum Hypothalamus. Nicht einmal eine drittel Sekunde dauere es, bis das Gehirn erkennt: Der Reiz ist sexuell und er passt ins bevorzugte Schema. Bei sexueller Erregung wird im Hypothalamus dann zum Beispiel das Hormon Oxytocin ausgeschüttet.

Als nächstes schaltet sich die Amygdala, der Mandelkern, ein: Dort wird festgestellt, ob die Erregung positiv oder negativ ist. Auch das Belohnungszentrum, der Nucleus accumbens, wird aktiv – und zwar umso mehr, je sexueller und je positiver ein Bild ist. Parallel schalten sich nun Regionen dazu, die sich weiter oben oder an der Außenseite des Gehirns befinden, zum Beispiel der anteriore cinguläre Cortex (ACC, auch Gyrus cinguli anterior genannt). Dieses Hirn-​Areal war in Experimenten bei manchen Pädophilen aktiver als gewöhnlich. Damit werde die Aufmerksamkeit willentlich, sagt Walter. „Der Betroffene denkt sich dann: Ich möchte da nicht hingucken – oder ich versuche, möglichst unauffällig hinzuschauen.“

Wer vermutet, dass vor allem jene Pädophile übergriffig werden, die besonders stark von Kindern angezogen werden, der irre womöglich, sagt Walter: „Ob ein Pädophiler zum Straftäter wird, hängt mitunter nicht vom Ausmaß ab, wie sehr den Pädophilen etwas sexuell stimuliert – sondern vom Ausmaß, wie sehr er in den kognitiven Hirn-​Arealen sein Verhalten unterdrücken kann.“

Nicht alle Mediziner und Psychologen sind von solchen Forschungsergebnissen begeistert. Als Walter im Jahr 2007 als einer der ersten Wissenschaftler überhaupt nachwies, dass das Hirn von Pädophilen unnormal auf erotische Bilder von Erwachsenen reagierte, da hätten vor allem die Kollegen in den USA ablehnend reagiert. Walter erinnert sich: „Die Kollegen warfen uns vor: ‚Was ihr da macht, ist keine gute Forschung. Wir wollen keinen biologischen Nachweis, dass Menschen nichts für ihre Pädophilie können.‘„ Walter hatte das zunächst irritiert: „Es ist doch wichtig zu verstehen, was im Gehirn von diesen kranken Menschen passiert.“ Zumal er als Arzt sehe, wie Pädophile unter ihrer Neigung litten – mit all der Scham, den Schuldgefühlen und der frustrierenden Aussicht, wohl nie ein sexuell erfülltes Leben führen zu können. Schnell wurde ihm jedoch klar: „Im US-​amerikanischen Rechtssystem ist es durchaus relevant, ob jemand aufgrund einer Veränderung im Gehirn ein bestimmtes Verhalten zeigt oder ob das Gehirn intakt ist.“

Da war sie: die Befürchtung, eine biologische Ursache für Pädophilie könnte als Schutzbehauptung missbraucht werden, um sich vor der Welt und auch vor sich selbst zu rechtfertigen.

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Sehbahn

Sehbahn/-/visual pathway

Als Sehbahn wird die Verschaltung der an der visuellen Wahrnehmung beteiligten Nervenzellen bezeichnet. Bei Säugetieren zieht sie von den retinalen Ganglienzellen im Auge – als Sehnerv zum Chiasma opticum, dann als Sehtrakt – über die einzige Umschaltstelle im Corpus geniculatum laterale zum primären visuellen Cortex.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

Hypothalamus

Hypothalamus/-/hypothalamus

Der Hypothalamus gilt als das Zentrum des autonomen Nervensystems, er steuert also viele motivationale Zustände und kontrolliert vegetative Aspekte wie Hunger, Durst oder Sexualverhalten. Als endokrine Drüse (die – im Gegensatz zu einer exokrinen Drüse – ihre Hormone ohne Ausführungsgang direkt ins Blut abgibt) produziert er zahlreiche Hormone, die teilweise die Hypophyse hemmen oder anregen, ihrerseits Hormone ins Blut abzugeben. In dieser Funktion spielt er auch bei der Reaktion auf Schmerz eine wichtige Rolle und ist in die Schmerzmodulation involviert.

Hormon

Hormon/-/hormone

Hormone sind chemische Botenstoffe im Körper. Sie dienen der meist langsamen Übermittlung von Informationen, in der Regel zwischen dem Gehirn und dem Körper, z.B. der Regulation des Blutzuckerspiegels. Viele Hormone werden in Drüsenzellen gebildet und in das Blut abgegeben. Am Zielort, z.B einem Organ, docken sie an Bindestellen an und lösen Prozesse im Inneren der Zelle aus. Hormone haben eine breitere Wirkung als Neurotransmitter, sie können verschiedene Funktionen in vielen Zellen des Körpers beeinflussen.

Oxytocin

Oxytozin/-/oxytocin

Ein im Nucleus paraventricularis und im Nucleus supraopticus des Hypothalamus gebildetes Hormon, welches aus dem Hypophysenhinterlappen ins Blut ausgeschüttet wird. Es leitet bei der Geburt die Wehen ein und wird beim Stillen sowie beim Orgasmus ausgeschüttet. Es scheint die Paarbindung zu erhöhen und Vertrauen zu schaffen. Neuere Erkenntnisse weißen darauf hin, dass das oft als Kuschelhormon bezeichnete Oxytocin jedoch weitaus komplexer ist und seine Effekte auch eine Abgrenzung zur andern Gruppen (out-​groups) beinhalten.

Nucleus

Nucleus/Nucleus/nucleus

Nucleus, Plural Nuclei, bezeichnet zweierlei: Zum einen den Kern einer Zelle, den Zellkern. Zum zweiten eine Ansammlung von Zellkörpern im Gehirn.

Anteriorer cingulärer Cortex

Anteriorer cingulärer Cortex/Cortex cingularis anterior/anterior cingulate cortex

Der vordere Bereich des cingulären Cortex (Gyrus cinguli oder cingulärer Gyrus) spielt nicht nur bei autonomen Funktionen wie Blutdruck und Herzschlag eine Rolle, sondern auch bei rationalen Vorgängen wie der Entscheidungsfindung. Zudem ist dieser Hirnbereich in emotionale Prozesse involviert, beispielweise in die Kontrolle von Impulsen. Anatomisch zeichnet sich der anteriore cinguläre Cortex (ACC) dadurch aus, dass er eine große Zahl von Spindelneuronen besitzt. Diese speziellen Nervenzellen haben eine lange, spindelförmige Struktur und wurden bisher nur bei Primaten, einigen Wal– und Delfinarten sowie bei Elefanten gefunden. Spindelneurone tragen zu der Fähigkeit dieser Arten bei, komplexe Probleme zu lösen.

Gyrus cinguli

Gyrus cinguli/Gyrus cinguli/cingulate gyrus

Der Gyrus cinguli ist ein wichtiger Teil des limbischen Systems im Großhirn. Dieser Cortexstreifen liegt an den seitlichen Rändern der Rille, die die beiden Großhirnhemisphären voneinander trennt, direkt über dem Corpus callosum. Er ist beteiligt an der Steuerung der Atem– und Pulsfrequenz und des Blutdrucks. Er übernimmt eine wichtige Rolle bei der Regulation von vitalen Vorgängen, wie Verdauung und Fortpflanzung. Speziell der anteriore (vordere) Bereich wird zudem mit Aufmerksamkeit, Konzentraion und Motivation in Verbindung gebracht.

Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit/-/attention

Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.

Hirnscans sollen Diagnose schärfen und helfen, die richtige Therapie zu finden

Doch so etwas würde Walter nicht gelten lassen. Vielmehr solle man die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse nutzen, um die Diagnose Pädophilie präziser zu stellen (siehe Infobox) – oder um Therapieempfehlungen zu geben.

Wenn ein Hirn-​Scan offenbare, dass jemand pädophil ist, aber seinen Trieb gut unter Kontrolle hat: Dann ließe sich abschätzen, dass eine Verhaltenstherapie reiche. Wenn ein Scan aber offenbare: Da ist jemand pädophil und er hat seinen Trieb nur sehr schlecht unter Kontrolle – dann wäre es vielleicht sinnvoller, Medikamente zu geben, die den Trieb dämpfen.

Ob solch ein Konzept funktioniert? Das ist eine Frage, auf die eine groß angelegte Studie seit Mitte 2012 Antworten sucht: Das Forschungsprojekt heißt „Neurobiologische Grundlagen von Pädophilie und sexuellem Missbrauchsverhalten gegen Kinder“, kurz NeMUP. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat rund zwei Millionen Euro bewilligt. Beteiligt sind Sexualmediziner und Neurowissenschaftler aus Berlin, Duisburg-​Essen, Hannover, Kiel und Magdeburg. Auch Markus, der eingangs erwähnte Mann mit der Vorliebe für Kinder in der frühen Pubertät, nimmt an NeMUP teil. Für eine Vorstudie hat er sich im Sommer 2012 freiwillig in den Scanner gelegt und musste sich unter anderem Bilder mit eindeutig sexuellen Motiven anschauen.

Insgesamt sollen vier Gruppen mit jeweils rund 60 Versuchsteilnehmern untersucht werden, sagt der NeMUP-​Projektkoordinator Tillmann Krüger von der Medizinischen Hochschule Hannover: Pädophile, die schon mal übergriffig geworden sind; Pädophile, die noch keine Straftat begangen haben; Kindesmissbraucher, die nicht pädophil sind, und eine Kontrollgruppe mit Menschen, die weder pädophil sind noch ein Kind oder einen Jugendlichen sexuell missbraucht haben.

Nur wenige Pädophile vergehen sich an Kindern oder Jugendlichen

Statistiken und Hochrechnungen gehen davon aus: Etwa jeder 100. Mann in Deutschland ist pädophil. Pro Tag werden in Deutschland schätzungsweise 550 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht. Nur jeder fünfte Fall wird Schätzungen zufolge bekannt. „Doch verurteilte Kindesmissbraucher sind bei weitem nicht immer pädophil“, sagt Till Amelung, Arzt und Therapeut in dem Berliner Präventionsprojekt. „Empirische Untersuchungen haben wiederholt gezeigt, dass nur ungefähr die Hälfte der justizbekannten Taten von pädophilen Männern begangen wird.“

Pädophilie sei eben nicht dasselbe wie kriminelles pädosexuelles Verhalten, auch wenn beides in den Medien und in der Gesellschaft immer wieder gleichgesetzt wird. Amelung und seine Kollegen kämpfen seit Jahren gegen die Stigmatisierung ihrer Patienten.

Da ist es wieder, ihr Mantra: „Pädophile können nichts für ihre sexuelle Neigung. Aber sie sind verantwortlich für ihr Tun.“ Daran würden auch die Ergebnisse der NeMUP-​Studie nichts ändern. Zumal: Das Gehirn der Pädophilen mag anders reagieren – aber warum das so ist, ist noch unklar. Amelung ist überzeugt: „Man wird keinen Nucleus paedophili finden, der alles erklärt.“

Nucleus

Nucleus/Nucleus/nucleus

Nucleus, Plural Nuclei, bezeichnet zweierlei: Zum einen den Kern einer Zelle, den Zellkern. Zum zweiten eine Ansammlung von Zellkörpern im Gehirn.

zum Weiterlesen:

  • „Kein Täter werden“ — Präventionsprojekt der Charité Berlin, das auch in anderen Städten angeboten wird. URL: http://​www​.kein​-taeter​-wer​den​.de/ [Stand: 7.3.2013], zur Webseite
  • Ponseti, J et al.: Assessment of Pedophilia Using Hemodynamic Brain Response to Sexual Stimuli. Arch Gen Psychiatry 2012; 69(2), 187 – 194 (zum Text).
  • Walter, M et al. (2007): Pedophilia is Linked to Reduced Activation in Hypothalamus and Lateral Prefrontal Cortex During Visual Erotic Stimulation. Biol Psychiatry 2007; 62, 698 – 701 (zum Abstract).

Gen

Gen/-/gene

Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.

Hypothalamus

Hypothalamus/-/hypothalamus

Der Hypothalamus gilt als das Zentrum des autonomen Nervensystems, er steuert also viele motivationale Zustände und kontrolliert vegetative Aspekte wie Hunger, Durst oder Sexualverhalten. Als endokrine Drüse (die – im Gegensatz zu einer exokrinen Drüse – ihre Hormone ohne Ausführungsgang direkt ins Blut abgibt) produziert er zahlreiche Hormone, die teilweise die Hypophyse hemmen oder anregen, ihrerseits Hormone ins Blut abzugeben. In dieser Funktion spielt er auch bei der Reaktion auf Schmerz eine wichtige Rolle und ist in die Schmerzmodulation involviert.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

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One comment

Gabriella .. 20.01.2017
Von Pädophilie lese das erste mal .

Wenn Pädophilen die Vorstellung mit ein Kind Sex zu haben erregt, ist das nicht möglich, das sie es doch tun wenn sie Gelegenheit haben? Das sie sich dann doch nicht beherrschen können? Wo ist dann der Grenze zwischen Vorstellung und Tat?

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