Frage an das Gehirn
Gibt es eine Sucht nach Anerkennung?
Veröffentlicht: 17.03.2024
Kann man süchtig sein nach Anerkennung? Wie macht sich das bemerkbar?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Dr. Hans-Jürgen Wirth, Außerplanmäßiger Professor für Sozialpsychologie, Goethe Universität Frankfurt am Main und Gründer des Psychosozial-Verlags: Es ist durchaus möglich, zwischen einem Bedürfnis nach Anerkennung und einem süchtigen Verlangen nach Anerkennung zu unterscheiden.
Ein ursprüngliches Grundbedürfnis nach Anerkennung ist anthropologisch im Menschen verankert. Es gehört zur Natur des Menschen, und wir alle brauchen es. Im Kindesalter ist das Bedürfnis nach Anerkennung besonders groß, weil sich die Psyche erst noch entwickeln muss. Ein Erwachsener kann sich von der Anerkennung durch andere ein Stück weit unabhängig machen, indem er sich selbst Anerkennung verschafft. Letztlich bleibt man aber immer auf die Anerkennung durch andere angewiesen. Dabei handelt es sich nicht um ein Suchtverhalten, sondern um ein Grundbedürfnis wie Trinken oder Essen.
Das Bedürfnis nach Anerkennung kann jedoch verzerrt werden und suchtartigen Charakter annehmen. Nun könnte man annehmen, dass übermäßige Anerkennung zu einer Verzerrung des Anerkennungsbedürfnisses führt. Diese Sichtweise wirft jedoch das Problem auf, übermäßig und angemessen zu definieren.
Ich ziehe es daher vor, die Qualität der Anerkennung in den Mittelpunkt zu stellen: Wenn die Anerkennung, die ein Kind von seinen Eltern erfährt, nicht echt oder nicht uneigennützig ist, sondern von den Eltern instrumentell und damit berechnend und in gewisser Weise „missbräuchlich“ gegeben wird, entstehen beim Kind berechtigte Zweifel, ob diese Anerkennung wirklich echt und ernst gemeint ist und es selbst betrifft. Oder wird das Kind nur geliebt und anerkannt, wenn es sich mit einem bestimmten Teil seiner Persönlichkeit präsentiert? Der Psychoanalytiker Donald Winnicott spricht in solchen Fällen von einem falschen Selbst. Eine solche instrumentalisierende Anerkennung ist gewissermaßen vergiftet und daher nicht befriedigend. Es entsteht eine Sucht nach Anerkennung, weil das Kind nur etwas bekommt, was sein Bedürfnis nach Anerkennung nicht im Kern trifft. Deshalb will es immer mehr davon, um den Mangel an Qualität durch Quantität auszugleichen.
Aus psychologischer Sicht ist die Sucht nach Anerkennung mit anderen Süchten vergleichbar. Aktuell wird das Suchtverhalten von Jugendlichen bei der Nutzung von Social Media viel diskutiert und es gibt bereits einige empirische Daten dazu. Dabei geht es vor allem um Anerkennung in Form von Likes. Über die Ursachen geben die Studien noch wenig Aufschluss, aber die Zusammenhänge sind recht eindeutig: Exzessive Social-Media-Nutzung korreliert mit anderen auffälligen und hochproblematischen Verhaltensweisen wie Depression oder sozialer Isolation. Das Verhältnis von Ursache und Wirkung ist jedoch noch nicht geklärt. Klar ist jedoch, dass es sich um eine Art Suchtverhalten handelt. Die kurzfristige Befriedigung, die man erhält, wenn man etwas postet oder sich mit etwas Persönlichem im Internet präsentiert und viele Likes oder Reaktionen erhält, ist eine unmittelbare Anerkennung und Aufmerksamkeit. Selbst wenn die Resonanz negativ ist, kann dies von manchen als Bestätigung empfunden werden, nach dem Motto: Besser eine heftige negative Resonanz als völlig unbeachtet zu bleiben.
Aufgezeichnet von Stefanie Flunkert
Kern
Kern/-/nucleus
Der Kern ist in einer Zelle der Zellkern, der unter anderem die Chromosomen enthält. Im Nervensystem ist der Kern eine Ansammlung von Zellkörpern – im zentralen Nervensystem als graue Masse, ansonsten als Ganglien bezeichnet.
Depression
Depression/-/depression
Phasenhaft auftretende psychische Erkrankung, deren Hauptsymptome die traurige Verstimmung sowie der Verlust von Freude, Antrieb und Interesse sind.
Aufmerksamkeit
Aufmerksamkeit/-/attention
Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.