Frage an das Gehirn
Können wir eigentlich auch an nichts denken?
Veröffentlicht: 10.05.2021
In meinem Kopf wirbeln permanent Gedanken herum. Lässt sich das Denken durch Meditation beruhigen oder sogar ganz abstellen?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Prof. Dr. Stefan Schmidt, Institutsleiter des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP), Freiburg: Zunächst einmal müssen wir ein Missverständnis ausräumen: Bei einer Meditation geht es nicht darum, alle Gedanken abzustellen. Wenn Sie das versuchen, laufen Sie einem Ziel hinterher, was zum einen der Meditation nicht zuträglich und zum anderen für die meisten Meditierenden unrealistisch ist.
Was genau passiert also während der Meditation? Die Forschung in den letzten Jahren beobachtet in dem Zusammenhang das sogenannte Mind-Wandering, also das Schweifen von Gedanken. Das läuft ganz automatisch ab, wenn ich mit keiner Aufgabe beschäftigt bin und mich nicht auf eine bestimmte Sache konzentriere. Der Geist denkt also praktisch autonom. Während einer Meditation kann ich diesen Gedankenstrom verfolgen und meine Aufmerksamkeit auf mein inneres Denken lenken. So beobachte ich, wie immer neue Gedanken hervorkommen – einer zieht assoziativ den nächsten nach sich, der dann auch wieder verschwindet. Im Gehirn ist währenddessen ein Netzwerk aktiv, das Default Mode Network oder Ruhezustandsnetzwerk genannt wird.
Wenn ich in einer Meditation meine Konzentration fokussiere, schwächt sich dieser assoziative Gedankenstrom unter Umständen etwas ab. Etwa, indem ich mich stark auf den Atem oder ein anderes Objekt fokussiere. Das Denken kann so in den Hintergrund treten, und auch das Ruhezustandsnetzwerk ist weniger aktiv. Das heißt aber nicht, dass das Denken ganz versiegt.
Wichtig ist auch: Um solche ruhigen Zustände zu erreichen, braucht man auch eine ruhige Umgebung, viel Zeit und gute, im besten Falle langjährige, Erfahrungen mit Meditation. So etwas funktioniert nicht einfach mal zwischendurch in einem hektischen Alltag.
Nun gibt es allerdings auch extreme Erfahrungen von Menschen, die sozusagen „hauptberuflich“ meditieren, weil sie im Kloster leben oder eine intensive Praxis haben und sich viel auf Retreats begeben. Hier finden sich durchaus Berichte von Zuständen, in denen eine absolute Ruhe einsetzt. Wir sprechen dann von „content-free awareness“: Die Meditierenden sind sich ihrer noch bewusst, aber ihr Bewusstsein hat keinen Inhalt mehr. Das könnte man vielleicht als „Nicht-Denken“ oder reines Gewahrsein bezeichnen. Einen solchen Zustand konnten wir bei uns im Labor im Hirnscanner beobachten. Und tatsächlich waren die Verbindungen des Ruhezustandsnetzwerkes weniger aktiv. Auch eine verminderte Sinneswahrnehmung zeigte sich in der Gehirnaktivität.
Solche Zustände zu untersuchen, ist allerdings nicht ganz einfach. Einerseits müssen wir uns auf die Berichte unserer Versuchspersonen verlassen, andererseits verlieren diese in solchen Zuständen unter Umständen das Zeitgefühl und auch das Gedächtnis hört ein stückweit auf. Das macht es schwierig, die Daten aus dem Scanner mit dem Erleben der Meditierenden zusammenzubringen. Zudem würde ich solche inhaltsleeren Zustände als extrem selten einschätzen, und keinesfalls sind sie bei einer normalen Meditation im Alltag erreichbar.
Aufgezeichnet von Stefanie Uhrig