Frage an das Gehirn
Lässt sich das Gehirn Gesunder mit Psychopharmaka dopen?
Veröffentlicht: 12.09.2012
Medienberichten zufolge greifen auch gesunde Menschen verstärkt zu Psychopharmaka wie Antidepressiva oder Ritalin. Doch funktioniert dieses Hirndoping überhaupt bei Gesunden?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Professorin Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité, Berlin:
Den Begriff „Hirn-Doping“ benutze ich nicht, weil Doping gleich so negativ klingt, so wie man es vom Sport kennt: Da nimmt man illegale Mittel, tut etwas Verbotenes, um besser als gut zu sein. Doch es ist nicht verboten, als Gesunder Psychopharmaka einzunehmen, die eigentlich für Kranke mit Alzheimer, Depressionen oder mit dem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) entwickelt und zugelassen wurden. Um nicht von vornherein zu verurteilen, spreche ich von Neuro-Enhancement, also von der Verbesserung der geistigen Leistung.
Genau genommen verbessert Neuro-Enhancement eigentlich nichts: Wer Psychopharmaka nimmt, bekommt deswegen keinen höheren IQ und ist auch nicht kreativer. Tatsächlich helfen diese Psychopharmaka „nur“, die Aufmerksamkeit zu fokussieren und sich länger zu konzentrieren. Das funktioniert bei kranken Menschen, etwa jenen mit ADHS, und auch bei Gesunden. In einer Meta-Analyse, für die ich mit Kollegen verschiedene Studien zu Neuro-Enhancement ausgewertet habe, kam heraus: Methylphenidat, der Wirkstoff des ADHS-Medikaments Ritalin, verbessert bei Gesunden vorübergehend die Konzentration, hat aber keine anderen leistungssteigernden Effekte.
Es verwundert also nicht, dass vor allem jene Menschen Psychopharmaka als Neuro-Enhancement nehmen, die Deadlines haben: der Journalist, der am nächsten Tag mehrere Manuskripte abzugeben hat, oder der Student, der wegen anstehender Prüfungen in kurzer Zeit viel lernen muss. Das habe ich in den 15 Jahren, die ich in der klinischen Praxis arbeite, selbst beobachtet.
Es ist jedoch eine Fehleinschätzung, dass in Deutschland alle ständig Ritalin nehmen. Eine bundesweite Umfrage im Auftrag der DAK ergab 2009: Von den 3000 befragten Versicherten, die zwischen 20 und 50 Jahre alt waren, gab nur jeder Zwanzigste an, gelegentlich Medikamente zu nehmen, um die geistige Leistung zu verbessern, ohne dass dies medizinisch notwendig gewesen wäre.
Unklar ist nach wie vor, wie der Wirkmechanismus dieser Psychopharmaka bei Gesunden ist. Grundsätzlich verstärken Neuro-Enhancer den Botenstoff Dopamin im Gehirn. Damit ist nicht gesagt, dass mehr oder schneller Dopamin transportiert wird, aber das Gehirn ist aktiver, wie uns Bilder aus funktionellen Magnetresonanztomografen zeigen. Anders wirkt Modafinil, das üblicherweise gegen Narkolepsie verabreicht wird: Es unterdrückt auch bei gesunden Menschen das Schlafbedürfnis. Es wirkt auf das Schlaf regulierende Hormon Orexin. Im Detail sind diese Vorgänge aber noch nicht verstanden.
Auch sind die Nebenwirkungen noch kaum erforscht, vor allem die Langzeitfolgen. Immerhin: Das Abhängigkeitspotenzial scheint sehr gering – anders zum Beispiel bei einem weit verbreiteten Neuro-Enhancer, dem Nikotin.
Trotz allem steht Neuro-Enhancement seit geraumer Zeit in der Diskussion: Ist es ethisch vertretbar, sein Gehirn zu verbessern? Das „höher, schneller, weiter“ ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Nur bereitet es manch einem Unbehagen, dass es reichen soll, eine Pille einzuwerfen. Viele haben halt eine recht protestantische Haltung: Sie versuchen, viel zu schlafen, wenig zu essen, viel Sport zu treiben, wenig Stress zu haben. So gut dieser Lebensstil ist: Ihn ohne Hilfsmittel zu erreichen oder zu führen, grenzt an Selbstkasteiung.
Deswegen plädiere ich für einen liberalen Umgang mit Neuro-Enhancern. Auch wenn ich selbst keine nehme – weil ich zu wenig über Langzeitfolgen weiß und zu viel Hochachtung vor dem Gehirn habe.
Aufgezeichnet von Franziska Badenschier
Depression
Depression/-/depression
Phasenhaft auftretende psychische Erkrankung, deren Hauptsymptome die traurige Verstimmung sowie der Verlust von Freude, Antrieb und Interesse sind.
Intelligenzquotient
Intelligenzquotient (IQ)/-/intelligence quotient
Kenngröße, die das intellektuelle Leistungsvermögen eines Menschen ausdrücken soll. Entsprechende Tests zur Ermittlung der Intelligenz gehen mit dem Konzept einher, dass ein allgemeiner Generalfaktor der Intelligenz existiert, der in der Bevölkerung normal verteilt ist. Die ersten IQ-Tests wurden Anfang des 20. Jahrhunderts von Alfred Binet entwickelt, der damit das relative Intelligenzalter von Schulkindern bestimmen wollte. Seiner Definition zufolge bezeichnet der IQ den Quotienten aus Intelligenzalter und Lebensalter multipliziert mit 100. Dies ist demnach auch der durchschnittliche IQ eines Menschen. 95 Prozent der Bevölkerung liegen mit ihren IQ-Werten zwischen 70 und 130. Erreicht jemand einen Wert unter 70, spricht man von Intelligenzminderung, während ein Ergebnis jenseits der 130 als Hochbegabung gilt.
Aufmerksamkeit
Aufmerksamkeit/-/attention
Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.
Dopamin
Dopamin/-/dopamine
Dopamin ist ein wichtiger Botenstoff des zentralen Nervensystems, der in die Gruppe der Catecholamine gehört. Es spielt eine Rolle bei Motorik, Motivation, Emotion und kognitiven Prozessen. Störungen in der Funktion dieses Transmitters spielen eine Rolle bei vielen Erkrankungen des Gehirns, wie Schizophrenie, Depression, Parkinsonsche Krankheit, oder Substanzabhängigkeit.
Hormon
Hormon/-/hormone
Hormone sind chemische Botenstoffe im Körper. Sie dienen der meist langsamen Übermittlung von Informationen, in der Regel zwischen dem Gehirn und dem Körper, z.B. der Regulation des Blutzuckerspiegels. Viele Hormone werden in Drüsenzellen gebildet und in das Blut abgegeben. Am Zielort, z.B einem Organ, docken sie an Bindestellen an und lösen Prozesse im Inneren der Zelle aus. Hormone haben eine breitere Wirkung als Neurotransmitter, sie können verschiedene Funktionen in vielen Zellen des Körpers beeinflussen.