Question to the brain

Schützt Spermidin vor Alzheimer?

Questioner: Michael S. aus O.

Published: 07.08.2022

Ich habe gelesen, dass regelmäßige Spermidin-Einnahme vor Alzheimer schützen kann. Stimmt das?

The editor's reply is:

Dr. Helena Radbruch, Fachärztin für Neuropathologie am Institut für Neuropathologie der Berliner Charité: Dazu gibt es eine zugleich einfache und schwierige Antwort: Wir wissen es nicht. Es gibt keine ausreichend großen Studien, die bei Menschen, dass Spermidin Alzheimer heilen oder davor schützen könnte. Bisher beschäftigen sich überhaupt nur wenige Studien mit der Wirkung von Spermidin bei Alzheimer-Patienten.

Die Annahme, dass die Spermidin-Einnahme vor Alzheimer schützen könnte, beruht vor allem auf Daten, die mithilfe von Tiermodellen generiert wurden. Dort hat man gesehen, dass das Gehirn durch zusätzliches Spermidin in der Nahrung geschützt wird: Durch die Verringerung schädlicher entzündlicher Vorgänge und die Stärkung schützender Abbauprozesse. Daraus erlaubt man sich den Rückschluss, dass die für Alzheimer typischen Veränderungen auch beim Menschen durch Spermidin weniger deutlich sind. Das ist absichtlich vorsichtig formuliert, denn es geht dabei meist rein um Abläufe im Gehirn, nicht um tatsächliche Gedächtnisleistung. Und ob das bei Menschen genauso ist wie bei den untersuchten Tieren, wissen wir nicht.

Spermidin ist ein Molekül, das in all unseren Zellen vorkommt. Wir nehmen es auch über die normale Nahrung auf, seine natürliche Funktion ist allerdings nicht vollkommen erforscht. Im Gehirn hilft es den Zellen dabei, alte Bestandteile zu erneuern oder abzubauen („Autophagie“). Und es kann die Aktivität von Mikrogliazellen, auch Fresszellen genannt, verstärken, die falsch gefaltete Proteine (Eiweiße) wegräumen. Bei der Alzheimer-Krankheit funktioniert dieser Mechanismus nicht richtig und es bilden sich Ansammlungen der fehlgefalteten Eiweiße. Das stört die Funktion der Nervenzellen, so dass diese dann über kurz oder lang absterben. Die Idee ist also, dass Spermidin das Aufräumen im Gehirn verbessert.

Aber selbst, wenn das auch im Menschen so funktioniert, ist ein tatsächlicher Nutzen bei der Alzheimer-Erkrankung recht unwahrscheinlich. Denn die Erkrankung entwickelt sich über viele Jahre, der Prozess beginnt wahrscheinlich schon 30 bis 40 Jahre vorher – also in der Mitte des Lebens, wo noch niemand Beschwerden hat. Man müsste zu diesem Zeitpunkt schon anfangen, Spermidin einzunehmen, weil sich später schon sehr viele fehlgefaltete Proteine im Gehirn angesammelt haben und Nervenzellen abgestorben sind. Dann ist es schlicht zu spät, um noch die Fresszellen zu aktivieren. Wir wissen aber nicht, welche Folgen eine langfristige, zusätzliche Einnahme von Spermidin hat.

Wir haben bisher keinen Marker, um zu wissen, ob jemand Alzheimer bekommen wird. Bestimmte genetische Varianten erhöhen das Risiko, aber wir können es beispielsweise nicht mit Blut- oder Hirnwasseranalysen eindeutig bestimmen. Es müsste also praktisch jede und jeder ab der Lebensmitte Spermidin einnehmen, ohne zu wissen, ob es nötig ist oder ob es überhaupt einen Nutzen hat. Die Hersteller würde das natürlich freuen: Es gibt sehr viele Spermidin-Präparate als Nahrungsergänzungsmittel. Wenn man die Hersteller hört, ist es ein Wundermittel gegen alles. Dabei können wir das wenige Wissen, das wir über den Mechanismus haben, gar nicht mit einem nachweisbaren therapeutischen Nutzen zur Verbesserung der Gedächtnisleistung verknüpfen.

Aufgezeichnet von Stefanie Uhrig.

Morbus Alzheimer

Morbus Alzheimer, Alzheimer-Krankheit/Morbus Alzheimer/Alzheimer's desease

Bislang unheilbare Form der Demenz, erstmals beschrieben von dem deutschen Psychiater Alois Alzheimer 1906. Zu den Symptomen gehören anfangs eine milde Vergesslichkeit und Orientierungsstörungen. Später kommt es zum Beispiel zu Sprachveränderungen und Gedächtnisverlust. Die Ursache ist noch unklar, es kommt jedoch zu pathologischen Eiweißablagerungen sowohl zwischen als auch in den Zellen. Betroffen sind corticale Areale.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Subjects

License Terms

No user license granted: View only allowed.