Frage an das Gehirn

Unterstützt Ausdauersport die Neurogenese?

Fragesteller/in: Anonym

Veröffentlicht: 04.11.2016

Stimmt es, dass aerobes Dauerlaufen die adulte Neurogenese unterstützt bzw. auslöst und dass nachhaltiges Gehirntraining die neugebildeten Neuronen und die Verbindung der Synapsen ideal fördert? 

Die Antwort der Redaktion lautet:

Professor Dr. Gerd Kempermann, Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden und Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, Dresden: Grundsätzlich ja. Wir wissen aus Tierversuchen, dass körperliche Aktivität die Neurogenese, also die Nervenzellneubildung im Hippocampus, stimuliert. Auch wenn wir das bei Menschen nicht direkt untersuchen können, wissen wir, dass es die adulte Neurogenese auch beim Menschen gibt und dass sie wahrscheinlich sogar ausgeprägter ist, als bei Mäusen und Ratten. Die bisherigen Untersuchungen zu dieser Frage beziehen sich vor allem auf akute Situationen und auf aerobes bzw. kardiovaskuläres Training. Es gibt relativ wenig Untersuchungen, die sich mit den Langzeiteffekten oder den Effekten von zum Beispiel Krafttraining auseinandersetzen (was in Tieren auch nicht leicht zu untersuchen ist). Experimente beim Menschen, die das tun, zeigen aber, dass körperliche Aktivität verschiedenster Art und auch auf lange Zeit einen positiven Effekt auf kognitive Leistung hat. Zusammengenommen scheinen alle Arten von körperlicher Aktivität sinnvoll für das Gehirn zu sein, denn alle führen zu Rückmeldungen an das Gehirn. Somit hält man nicht nur den Körper, sondern auch das Gehirn fit.

Die Wirkung auf die adulte Neurogenese ist dabei aber nur ein Effekt von vielen, wenn ein Mensch langfristig körperlich aktiv ist. Im Grunde geht es mit dem Nutzen bereits in der Kindheit los. Kinder, die körperlich aktiver sind, haben ein geringeres Risiko, metabolische Probleme zu entwickeln, was wiederum ihre Hirnentwicklung fördert. Weil alles sehr stark zusammenhängt, sind die Auswirkungen auf die gesamte Lebensspanne gigantisch. Trotzdem ist es nie zu spät, körperlich aktiv zu werden, egal wie alt man ist. Sogar in einem schwer erkrankten Zustand gibt es immer noch einen positiven Nutzen. Auch alte Menschen, die schon sehr eingeschränkt sind und durch eine bessere körperliche Fitness ihre Sturzneigung verringern, erhöhen dadurch ihre Lebensqualität. Hier erreicht man indirekt sehr viel, auch wenn objektiv der Zuwachs an körperlicher Fitness eher gering ist.

Hirntraining bzw. Hirnjogging dagegen trainieren und fördern immer nur das, was man übt. Der Effekt der Generalisierung (oder des Transfers, wie man hier sagt) ist bei diesen Übungen sehr gering. Wenn ich zum Beispiel tagein tagaus Sudokurätsel löse, dann lerne ich hinterher nicht auch besser Italienisch. Bei körperlicher Aktivität dagegen tut man allgemein was Gutes für sein Gehirn. Wenn ich viel laufen gehe und mein Gehirn über die körperliche Fitness stimuliere, dann wirkt sich das auch auf mein Italienischlernen aus. Das ist das Paradoxe.

Wir haben heute die Vorstellung, dass jeglichem Lernen eine Veränderung auf der Ebene der Synapsen zu Grunde liegt. Das ändert sich auch durch die adulte Neurogenese nicht. Aber es gibt zusätzlich zu dieser Form von Lernen oder lernabhängiger Plastizität auf der Synapsenebene ausnahmehaft noch Veränderungen auf der Ebene der ganzen Nervenzellen. Diese ist nicht unabhängig von der anderen Form, sondern mit ihr verknüpft. Beide Ebenen ergänzen sich in der konkreten Situation im Hippocampus. Das Lernen funktioniert aber plötzlich nicht ganz anders, es wird nur besonders gesteigert. Auch welche Rolle die neuen Nervenzellen spielen, wissen wir noch immer nicht ganz genau. Wir vermuten, dass sie für die Kontextualisierung von Information und unsere kognitive Flexibilität bedeutsam sind. Denn gerade für uns Menschen ist die Fähigkeit, uns in allen Lebensstufen anpassen und Informationen kontextualisieren zu können, besonders wichtig.

Aufgezeichnet von Maike Niet

Synapse

Synapse/-/synapse

Eine Synapse ist eine Verbindung zwischen zwei Neuronen und dient deren Kommunikation. Sie besteht aus einem präsynaptischen Bereich – dem Endknöpfchen des Senderneurons – und einem postsynaptischen Bereich – dem Bereich des Empfängerneurons mit seinen Rezeptoren. Dazwischen liegt der sogenannte synaptische Spalt.

Plastizität

Plastizität/-/neuroplasticity

Der Begriff beschreibt die Fähigkeit von Synapsen, Nervenzellen und ganzen Hirnarealen, sich abhängig vom Grad ihrer Nutzung zu verändern. Mit synaptischer Plastizität ist die Eigenschaft von Synapsen gemeint, ihre Erregbarkeit auf die Intensität der Reize einzustellen, die sie erreichen. Daneben unterliegen auch Größe und Vernetzungsgrad unterschiedlicher Hirnbereiche einem Wandel, der von ihrer jeweiligen Aktivität abhängt. Dieses Phänomen bezeichnen Neurowissenschaftler als corticale Plastizität.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Hippocampus

Hippocampus/Hippocampus/hippocampual formatio

Der Hippocampus ist der größte Teil des Archicortex und ein Areal im Temporallappen. Er ist zudem ein wichtiger Teil des limbischen Systems. Funktional ist er an Gedächtnisprozessen, aber auch an räumlicher Orientierung beteiligt. Er umfasst das Subiculum, den Gyrus dentatus und das Ammonshorn mit seinen vier Feldern CA1-​CA4.

Veränderungen in der Struktur des Hippocampus durch Stress werden mit Schmerzchronifizierung in Zusammenhang gebracht. Der Hippocampus spielt auch eine wichtige Rolle bei der Verstärkung von Schmerz durch Angst.

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