Frage an das Gehirn
Warum fesseln manche Filme mehr als andere?
Veröffentlicht: 20.08.2023
Wie kommt es, dass ich bei manchen Filmen vertieft bin und bei anderen nicht?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Antwort von Prof. Dr. Thorsten Fehr, Psychologe, Dozent und Neurowissenschaftler des Instituts für Psychologie und des Centers for Advanced Imaging der Universität Bremen: Ein entscheidender Faktor dafür, wie sehr uns ein Film fesselt, ist seine empfundene Authentizität. Beim Film haben wir es mit einem komplexen Medium mit naturalistischen Darstellungen zu tun. Grundsätzlich hat das Medium ideale Voraussetzungen dafür, authentisch zu wirken. Das Mikro ist nah am Schauspieler, die Kamera auch. Anders als im Theater, wo unterschiedliche Sitzplätze einen Einfluss auf das Erlebnis haben, bekommt jeder Zuschauer sozusagen dasselbe Gericht vorgesetzt. Wie authentisch ein Film wirkt, hat aber auch mit der schauspielerischen Leistung zu tun. Die emotionale Färbung der Stimme, die Klarheit des Ausdrucks, die Mimik: Das alles darf weder aufgesetzt und übertrieben, noch lieblos abgehandelt wirken – unter beidem leidet die Authentizität.
Man könnte also sagen: Je authentischer ein Film auf uns wirkt, desto eher werden wir uns in ihn vertiefen. Das ist aber nicht allein entscheidend. Denn jeder Mensch ist individuell und hat eine hochgradig komplexe Lerngeschichte. Von seiner Sozialisation hängt ab, wie ein Mensch mit Situationen umgeht, wie er Entscheidungen trifft und die Welt wahrnimmt. Dazu kommt, dass manche Menschen die Welt maximal auf sich einwirken lassen, andere schotten sich eher ab. Das gilt ebenso für ihre Wahrnehmung von Filmen.
Jeder Mensch verfügt über ein individuelles neuronales Netzwerk. Ob ein Film in unserem neuronalen System Resonanz erzeugt, hängt davon ab, wie vertraut wir mit seinen Inhalten sind, ob sie uns angehen – oder ob sie für uns inhaltlich und darstellerisch abstrakt bleiben. Im Gehirn passiert dabei Folgendes: Wir bekommen beim Filmschauen zumeist visuellen und auditorischen Input. Dieser kommt nach verschiedenen Zwischenstationen im primären auditorischen und im primären visuellen Kortex an. Von dort aus werden die Informationen je nach Hirngeschichte in sekundären und heteromodalen Cortices weiterverarbeitet. Stehen sie mit Infos, die dort gespeichert sind in Bezug, löst das eine Resonanz in uns aus – wie bei Akkordtönen im Klangkörper einer Gitarre. Der Film ist für unser Gehirn leicht zu verarbeiten und hallt sozusagen in uns wider. Wir träumen dann häufig auch davon, verarbeiten das Gesehene im Tag- und Nachtraum. Dinge, die uns vertraut sind, können wir uns auch viel leichter merken. An Filme, die uns wirklich gebannt haben, erinnern wir uns oft noch Jahre später.
Welche Themen in uns Resonanz auslösen, hat auch mit dem Kontext und dem Zeitgeist zu tun, mit dem wir konfrontiert sind. Vor dem russischen Angriff auf die Ukraine beispielsweise haben Informationen im Zusammenhang mit Krieg uns ganz anders angesprochen. Sehen wir häufiger reale Gewalt in den Medien, macht das etwas mit unseren Gehirnen. Viele Menschen vermeiden jetzt Kriegsfilme – andere schauen sie sich bewusst an, weil sie etwas über Krieg lernen oder sich mit dem Phänomen vertraut machen wollen, damit die Angst in ihnen beherrschbar wird. Generell gilt: Je eher ich bei einem Film das Gefühl habe, die emotionalen oder geistigen Inhalte betreffen mich persönlich oder sie können mir helfen, mich oder mein geschätztes soziales Umfeld weiterzuentwickeln, desto eher sitze ich senkrecht auf dem Sofa.
Ein Beispiel: Wer technisch am Thema Raumfahrt interessiert ist und bereits eine solide Wissensbasis in diesem Bereich hat, wird sich eher für Stanley Kubricks Filme interessieren, die mit einem sehr hohen Authentizitätsniveau aufwarten können. Wer weniger an den physikalischen Grundlagen und der grundsätzlichen Machbarkeit in der Raumfahrt interessiert ist, wird sich möglicherweise eher für Weltraummärchen wie Star Trek und Star Wars interessieren, in denen es mehr um soziale Beziehungen im All oder um spektakuläre Animationseffekte geht. Natürlich gibt es auch jene Menschen, die eine neuronale Lerngeschichte beider Interessenfelder haben oder sich für keines von beiden interessieren.
Ein eher jüngeres Phänomen ist der Einfluss von computertechnisch realisierten Animationen auf unsere Aufmerksamkeit – sei es in Krimis oder Actionfilmen. Explosionen zum Beispiel sind oft außerordentlich gut animiert. Aber man weiß: Diese Straße haben die nicht wirklich gesprengt. Das war früher noch anders, als bei Drehs zu MacGyver reale Pyrotechnik zum Einsatz kam. Bei neueren Filmen gibt es oft ein Wahnsinnsspektakel, es wirkt aber nicht mehr authentisch. Dann kann es passieren, dass wir während Action-Szenen eben nicht gebannt hinschauen, sondern lieber mal zum Kühlschrank gehen.
Mimik
Mimik/-/facial expression
Fünf Muskelgruppen kontrollieren die sichtbaren Bewegungen an unserer Gesichtsoberfläche – und das gilt für alle Menschen auf der Welt. Aus diesem Grund hinterlassen die Basisemotionen Angst, Wut, Ekel, Trauer, Überraschung und Freude überall ähnliche Spuren im Gesicht, die wir in der Regel auch bei Fremden zuverlässig identifizieren können. Neurowissenschaftler vermuten, dass diese Fähigkeit dadurch zustande kommt, dass wir unbewusst den Gesichtsausdruck unseres Gegenübers nachahmen.
Wahrnehmung
Wahrnehmung/Perceptio/perception
Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.
Emotionen
Emotionen/-/emotions
Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.
Aufmerksamkeit
Aufmerksamkeit/-/attention
Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.