Frage an das Gehirn
Wieso nimmt die Reaktionsfähigkeit im Alter ab?
Veröffentlicht: 04.07.2021
Wenn wir älter werden, können wir oft nicht mehr so schnell auf neue Reize oder Situationen reagieren. Woran liegt das eigentlich?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Anja Ophey, Psychologin an der Uniklinik Köln: Diese Frage können wir aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten und viele Faktoren haben einen Einfluss. Schauen wir zunächst auf die Ursache im Gehirn: Unsere Nervenleitbahnen sind umhüllt von sogenannten Myelinscheiden, die für eine schnelle Weiterleitung der Reize im Gehirn und im peripheren Nervensystem sorgen. Im Alter werden diese Myelinscheiden jedoch abgebaut, was die Reizweiterleitung verlangsamt.
Dazu kommt, dass altersbedingt im ganzen Gehirn Nervenzellen absterben. Die graue Substanz und die Verbindungen zwischen den Zellen nehmen ab, und die Verarbeitungsprozesse verändern sich. Bei manchen Prozessen muss das Gehirn kompensieren, was wiederum mehr Energie kostet. Auch dadurch führen wir dann komplexere Aufgaben langsamer oder mit schlechteren Ergebnissen aus.
Oft ist es schwierig, normale Alterungsprozesse von pathologischen abzugrenzen. Denn nicht nur neurodegenerative Erkrankungen beeinträchtigen unsere Reaktionszeit. Auch beispielsweise Diabetes und Bluthochdruck spielen eine Rolle für den Stoffwechsel des Gehirns. Stimmt etwa die Durchblutung nicht, wird es nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt und wir reagieren ebenfalls langsamer.
Um auf Reize oder Situationen zu reagieren, müssen wir zudem mehrere Dinge tun: Erst einmal einen Reiz wahrnehmen, dann eine entsprechende Reaktion auswählen und sie daraufhin ausführen. Dabei kann uns auch unsere Sinneswahrnehmung bremsen. Wer nicht gut sieht oder hört, reagiert im Straßenverkehr langsamer (oder gar nicht), selbst wenn die Person sonst noch sehr fit ist. Umgekehrt können kognitive Fähigkeiten wie die Aufmerksamkeit oder das Gedächtnis abnehmen und unsere Handlungen verlangsamen, obwohl die Augen und Ohren einwandfrei funktionieren. Oder es hängt an der Motorik, wenn sich der Körper nicht mehr so schnell zu bewegen vermag, wie wir es gerne hätten.
Welche Faktoren eine Rolle spielen, ist also individuell sehr verschieden. Die gute Nachricht ist: Wir können tatsächlich etwas gegen den Abbau unternehmen. Das fängt ganz einfach an mit einem aktiven Lebensstil. Für manche mag das bedeuten, jeden Tag eine Stunde lang spazieren zu gehen. Andere bevorzugen es vielleicht, sich oft mit Freund*innen zu treffen oder Bücher zu lesen. Alle Arten von Stimulation sind hilfreich, ob kognitiv oder motorisch. Dazu kommt eine gesunde Ernährung und Stress-Resilienz – alles, was unserer Gesundheit zuträglich ist.
Wir können aber auch weiter gehen, denn es gibt mittlerweile Interventionen, etwa in Form von gezieltem Aufmerksamkeits- und Gedächtnistraining, mit deren Hilfe sich die kognitive Leistungsfähigkeit trainieren lässt. Das klappt sowohl bei gesunden Menschen als auch bei verschiedenen Patient*innen-Gruppen. Praktisch ist, dass es einige digitale Angebote gibt, die wir uns teils sogar als Privatperson nach Hause holen können. In Studien hat sich gezeigt, dass die positiven Effekte selbst noch nach fünf bis zehn Jahren anhalten.
Aufgezeichnet von Stefanie Uhrig.