Frage an das Gehirn

Wie wirken Scheinmedikamente?

Fragesteller/in: Heike F. aus Köln

Veröffentlicht: 02.02.2025

Was passiert eigentlich beim Placebo-Effekt im Gehirn?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Dr. med. Ulrike Bingel, Professorin für Klinische Neurowissenschaften, Leiterin des Zentrums für universitäre Schmerzmedizin, Universitätsklinikum Essen: Als klassische Definition für den Placebo-Effekt wird eine positive seelische oder körperliche Reaktion verstanden, die nach der Einnahme von Scheinmedikamenten auftritt.

Mittlerweile weiß man aber, dass das, was dieser Wirkung zugrunde liegt, nicht das Placebo selbst ist, sondern die daran geknüpfte positive Erwartungshaltung. Daher begreift man Placebo-Effekte im weiteren Sinne auch als die Effekte von positiver Erwartung, die auch auftreten können, wenn gar kein Placebo gegeben wird. So lässt sich kann zum Beispiel zeigen, dass eine positive Erwartung an eine Kopfschmerztablette – nämlich, dass sie die Kopfschmerzen reduziert – den Schmerz schneller und besser lindert als ohne. Der Placebo-Effekt tritt daher auch bei echten Medikamenten auf und ist keinesfalls an Placebos gebunden, auch wenn es historisch so beschrieben wurde.

Die treibende psychologische Kraft beim Placebo-Effekt ist somit die positive Erwartung, dass eine therapeutische Maßnahme oder ein Medikament wirkt. Dieser Effekt löst komplexe Vorgänge im Gehirn und Körper aus, die für die Placebo-Analgesie, also die Wirkung von Placebos auf das Schmerzempfinden, bereits sehr gut verstanden sind. Dabei kommt es zur Aktivierung des körpereigenen absteigenden schmerzmodulierenden Systems. Es ist eine körpereigene Schmerzbremse, die in Teilen des Frontalhirns beginnt, dann Teile des Mittelhirns und des Hirnstamms mit einbezieht. Dieses System ist in der Lage, bereits im Rückenmark vom Körper ankommende nozizeptive Signale, also Schmerzsignale, zu unterdrücken. Es ist somit eine Schmerzbremse für eingehende Schmerzsignale auf Rückenmarksebene.

Außerdem ist bekannt, dass dabei komplexe Botenstoffe ausgeschüttet werden. Das körpereigene Opioid-System spielt dabei eine Rolle, aber auch das  Dopaminsystem. Zusätzlich deuten Studien darauf hin, dass auch das körpereigene Cannabinoid-System einbezogen ist. Es ist somit ein komplexer neurochemischer, neurobiologischer Vorgang, der dafür sorgt, dass Schmerzen vermindert im Gehirn ankommen und dort vermindert wahrgenommen werden. 

Beim Nocebo-Effekt kommt es dagegen zu einer Verschlimmerung oder Verstärkung von Symptomen, wie Schmerzen durch Angst und eine negative Erwartungshaltung. Hierbei werden die erwähnten Opioid- und Dopaminsysteme gehemmt und Schmerzreize im Gehirn verstärkt weitergeleitet und wahrgenommen. 

Im klinischen Alltag spielen Nocebo-Effekte vermutlich leider eine größere Rolle als Placebo-Effekte, da viele Menschen, etwa durch das Studium des Beipackzettels, Sorge und Angst vor diagnostischen Maßnahmen oder der Einnahme eines Medikaments haben. Dadurch treten unerwünschte Wirkungen (sog. Nebenwirkungen) häufiger auf. Nocebo-Effekte können auch dazu führen, dass Medikamente nicht so gut wirken, wie sie pharmakologisch könnten. Das wurde beispielsweise für Schmerzmedikamente gezeigt. 

Über den Placebo-Effekt in anderen körperlichen Systemen weiß man viel aus klinischen Placebo-kontrollierten Studien. In diesen Studien erhält eine Patientengruppe das Medikament und eine Kontrollgruppe das Placebo. Die Patienten wissen aber nicht, zu welcher Gruppe sie gehören (das nennt man Verblindung). Aus diesen Studien weiß man, dass es den Placebo-Effekt eigentlich in allen körperlichen Systemen gibt: Nicht nur bei Schmerz, Depressionen und Fatigue (Erschöpfung), sondern auch in sehr grundlegenden physiologischen Systemen wie dem Herz-Kreislauf-System, der Lunge, oder dem Magen-Darm-Trakt. Selbst im Immunsystem wirken die Effekte, die bis hin zur Veränderung von Entzündungsmediatoren nachweisbar sind. Es gibt tatsächlich kein System, bei dem es den Placebo-Effekt nicht gibt, sie sind aber unterschiedlich stark ausgeprägt und werden über unterschiedliche Mechanismen ausgelöst.

Besonders stark ausgeprägt sind die Effekte bei subjektiven Symptomen wie Schmerz, Stimmung, Müdigkeit oder Schlafqualität. Es kommt zwar auch hier zu objektivierbaren Effekten im Gehirn und Körper, aber trotzdem sind die Effekte auf die subjektiven Symptome besonders stark. Was genau beim Placebo-Effekt in diesen anderen Systemen passiert, ist noch nicht gut verstanden und Wissenschaftler beginnen erst diese Effekte detailliert zu erforschen. Es stellt sich etwa die Frage, ob es einen gemeinsamen Mechanismus im Gehirn gibt, der allen Arten von Placebo-Effekten zugrunde liegt. Man vermutet, dass der präfrontale Kortex ein Teil der Großhirnrinde hinter der Stirn, eine Rolle spielt, da er für Erwartungen und Lernen sehr wichtig ist, aber wie genau die Verbindungen sind, ist Gegenstand aktueller Forschung. 

Beim Placebo-Effekt gibt es auch starke inter-individuelle Unterschiede. Manche Menschen zeigen einen starken Placebo-Effekt, andere dagegen nur einen schwachen. Das kann sich auch von Situation zu Situation bei einem Patienten ändern. Die Gründe dafür sind noch nicht systematisch erforscht. Vermutlich spielen neben der Genetik, der Persönlichkeit und der individuellen Hirnarchitektur auch situative Aspekte wie Angst eine Rolle. Auch Krankheiten, wie Demenzen, können Placebo-Effekte beeinflussen. Die Untersuchung dieser Unterschiede ist sehr wichtig, um personalisierte Medizin unter Ausnutzung dieser Effekte durchführen zu können.

Aufgezeichnet von Stefanie Flunkert

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