Weniger Smartphone, mehr Wohlbefinden

© RUB, Marquard
Mehr als drei Stunden lang klebt unser Blick pro Tag durchschnittlich am Smartphonedispla

Wie viel digital Detox ist nötig, um besser zu leben? Die gute Nachricht: Komplett verzichten müssen wir nicht.

Quelle: Ruhr-Universität Bochum

Veröffentlicht: 20.04.2022

Von Nackenschmerz bis Suchtverhalten reichen die negativen Folgen, die wir der Nutzung des Smartphones vorwerfen. Privatdozentin Dr. Julia Brailovskaia und ihr Team wollten wissen, ob unser Leben ohne Smartphone tatsächlich besser ist oder vielmehr: Wie viel weniger Smartphone am Tag uns guttut. Die Psychologin vom Forschungs- und Behandlungszentrum für psychische Gesundheit der RUB ließ je rund 200 Testpersonen eine Woche komplett aufs Handy verzichten, die tägliche Nutzung um eine Stunde reduzieren oder das Smartphone genauso nutzen wie bisher. Ergebnis: Langfristig am besten ging es denen, die die Nutzung reduziert hatten. Die Forschenden berichten in der Zeitschrift Journal of Experimental Psychology: Applied vom 7. April 2022.

Wie viel Smartphone tut gut?

Mehr als drei Stunden täglich klebt unser Blick im Schnitt am Display des Smartphones. Wir googlen, suchen Wege, checken Mails oder das Wetter, shoppen, lesen Nachrichten, schauen Filme, tummeln uns in Sozialen Medien. Es drängt sich der Verdacht auf, dass uns das nicht nur guttut. Studien haben belegt, dass Smartphone-Nutzung mit weniger körperlicher Aktivität, Fettleibigkeit, Nackenschmerz, eingeschränkter Leistungsfähigkeit und suchtähnlichem Verhalten in Verbindung steht – um nur einige Probleme zu nennen. „Das Smartphone ist zugleich Segen und Fluch“, sagt Julia Brailovskaia.

Ihr Team wollte wissen: Wie viel Smartphone tut gut? Dazu verglichen die Forschenden, wie sich die komplette Smartphone-Abstinenz gegenüber einer Reduktion der täglichen Zeit am Display und der unbeeinflussten Weiternutzung auswirkt. Sie gewannen 619 Personen für ihre Studie und teilten sie in drei Gruppen ein. 200 Personen legten ihr Smartphone für eine Woche komplett beiseite. 226 reduzierten in dieser Zeit ihre Nutzung des Geräts um täglich eine Stunde. 193 Personen änderten nichts an ihrem bisherigen Verhalten.

Bewegung, Zigaretten, Angst, Depressivität

Direkt im Anschluss an diese Maßnahme sowie einen und vier Monate später befragten die Forschenden alle Teilnehmenden mit Blick auf ihre Lebensgewohnheiten und ihr Befinden. Wie viel bewegten sie sich? Wie viele Zigaretten rauchten sie täglich? Wie zufrieden fühlten sie sich? Zeigten sie Anzeichen für Angst oder Depressivität? „Wir konnten zeigen, dass sowohl der komplette Verzicht auf das Smartphone, aber auch die einstündige Reduktion seiner täglichen Nutzung positive Effekte auf den Lebensstil und das Wohlbefinden der Teilnehmenden hatte“, fasst Julia Brailovskaia zusammen. „In der Gruppe derer, die die Nutzung reduziert haben, hielten sich diese Effekte sogar länger und waren somit stabiler als in der Abstinenzgruppe.“

Komplettverzicht ist nicht nötig

Die einwöchige Intervention änderte die Nutzungsgewohnheiten bei den Versuchspersonen langfristig: Noch vier Monate nach dem Ende des Experiments nutzten die Mitglieder der Abstinenzgruppe ihr Smartphone durchschnittlich 38 Minuten pro Tag weniger als zuvor. Die Gruppe derer, die im Experiment täglich eine Stunde weniger mit dem Smartphone verbracht hatten, nutzten es nach vier Monaten sogar 45 Minuten weniger pro Tag als zuvor. Zugleich stiegen die Lebenszufriedenheit sowie die Zeit körperlicher Aktivität. Depressions- und Angstsymptome sowie der Nikotinkonsum gingen zurück. „Es ist nicht nötig, komplett aufs Smartphone zu verzichten, um sich besser zu fühlen“, folgert Brailovskaia. „Möglicherweise gibt es eine optimale tägliche Nutzungsdauer.“

Originalpublikation

Julia Brailovskaia, Jasmin Delveaux, Julia John, Vanessa Wicker, Alina Noveski, Seokyoung Kim, Holger Schillack, Jürgen Margraf: Finding the “sweet spot” of smartphone use: Reduction or abstinence to increase well-being and healthy lifestyle?! An experimental intervention study, in: Journal of Experimental Psychology: Applied, 2022, DOI: 10.1037/xap0000430

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