„Zone der Ungewissheit“ im Gehirn beeinflusst Bildung von Erinnerungen

© AG Letzkus

Forschende der Universität Freiburg entdecken, wie die „Zona Incerta“ mit dem Neokortex kommuniziert

Quelle: Max-Planck-Institut für Hirnforschung

Veröffentlicht: 12.01.2023

Der Neokortex ist der größte und komplexeste Teil des Gehirns und gilt seit langem als Speicher für Langzeiterinnerungen. Aber wie werden dort Spuren vergangener Ereignisse und Erfahrungen niedergelegt? Forschende der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg um Prof. Dr. Johannes Letzkus und des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung haben entdeckt, dass ein wenig erforschtes Gehirnareal, die „Zone der Ungewissheit“ oder „Zona Incerta“, auf unkonventionelle Weise mit dem Neokortex kommuniziert, um die Gedächtnisbildung schnell zu steuern. Ihre Arbeit liefert die erste funktionelle Analyse, wie langreichweitige Hemmung die Informationsverarbeitung des Neokortex prägt. Die in dieser Studie identifizierten Signale sind wahrscheinlich nicht nur für das Gedächtnis, sondern auch für eine Reihe zusätzlicher Gehirnfunktionen wie zum Beispiel für Aufmerksamkeit von entscheidender Bedeutung. Die Ergebnisse wurden soeben in der Fachzeitschrift Neuron veröffentlicht.

Hemmung

Hemmung/-/inhibition

Die neuronale Inhibition, oder auch Hemmung umschreibt das Phänomen, dass ein Senderneuron einen Impuls zum Empfängerneuron sendet, der bei diesem dazu führt, dass seine Aktivität herabgesetzt wird. Der wichtigste hemmende Botenstoff ist GABA.

Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit/-/attention

Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

„Top-Down-Signale“ im Zentrum der Forschung

Das Gedächtnis ist eine der grundlegendsten Funktionen des Gehirns, die Menschen ermöglicht, aus Erfahrungen zu lernen und sich an Vergangenes zu erinnern. Darüber hinaus hat ein mechanistisches Verständnis des Gedächtnisses Implikationen, die von der Behandlung von Gedächtnis- und Angststörungen bis hin zur Entwicklung künstlicher Intelligenz und effizientem Hard- und Softwaredesign reichen können. Um Erinnerungen zu bilden, muss das Gehirn Verbindungen herstellen zwischen sensorischen „Bottom-up“-Signalen aus der Umgebung und intern generierten „Top-Down“-Signalen, die Informationen über vergangene Erfahrungen und aktuelle Ziele vermitteln. Diese Top-Down-Signale stehen im Mittelpunkt aktueller Forschung.

In den vergangenen Jahren haben Forschende begonnen, eine Reihe solcher Top-Down-Projektionssysteme zu identifizieren, die alle eine Reihe von Gemeinsamkeiten aufweisen: Sie signalisieren durch synaptische Erregung, dem Standardformat zum Senden von Informationen zwischen kortikalen Regionen, und sie zeigen auch ein gemeinsames Regime für die Gedächtniscodierung. Ein Reiz mit erlernter Relevanz ruft in diesen Systemen eine stärkere Antwort hervor, was darauf hindeutet, dass diese positive Potenzierung ein Teil des Puzzles darstellt, das die Gedächtnisspur ist.

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Intelligenz

Intelligenz/-/intelligence

Sammelbegriff für die kognitive Leistungsfähigkeit des Menschen. Dem britischen Psychologen Charles Spearman zufolge sind kognitive Leistungen, die Menschen auf unterschiedlichen Gebieten erbringen, mit einem Generalfaktor (g-​Faktor) der Intelligenz korreliert. Demnach lasse sich die Intelligenz durch einen einzigen Wert ausdrücken. Hierzu hat u.a. der US-​Amerikaner Howard Gardner ein Gegenkonzept entwickelt, die „Theorie der multiplen Intelligenzen“. Dieser Theorie zufolge entfaltet sich die Intelligenz unabhängig voneinander auf folgenden acht Gebieten: sprachlich-​linguistisch, logisch-​mathematisch, musikalisch-​rhythmisch, bildlich-​räumlich, körperlich-​kinästhetisch, naturalistisch, intrapersonal und interpersonal.

Engramm

Engramm/-/engram

Ein Engramm, auch als Gedächtnisspur bezeichnet, ist eine neuronale Entsprechung von Gedächtnisinhalten. Es wird vermutet, dass Lernprozesse auf strukturellen Veränderungen in synaptischen Verbindung von Neuronen beruhen.

Einfluss auf die Funktion von Netzwerken

„Im Gegensatz zu diesen Systemen sind langreichweitige Hemmungswege im Kortex viel schwächer und weniger zahlreich, aber es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass sie dennoch überraschend robuste Auswirkungen auf die Funktion und das Verhalten von Netzwerken haben können“, sagt Letzkus, Professor am Physiologischen Institut der Universität Freiburg und ehemaliger Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Hirnforschung. „Wir wollten herausfinden, ob solche Eingänge im Neokortex vorhanden sind und wenn ja, ob und wie sie auf einzigartige Weise zum Gedächtnis beitragen könnten.“

Dr. Anna Schroeder, Erstautorin der Studie und Postdoktorandin in Letzkus’ Labor, konzentrierte sich zur Beantwortung dieser Frage auf einen überwiegend hemmenden subthalamischen Kern, die Zona Incerta. Während die Funktion dieser Gehirnregion so mysteriös bleibt, wie der Name vermuten lässt, deuteten die vorläufigen Ergebnisse darauf hin, dass die Zona Incerta hemmende Projektionen sendet, die selektiv Regionen des Neocortex innervieren, die bekanntermaßen für das Lernen wichtig sind. Um die Plastizität in diesem System über alle Lernphasen hinweg zu untersuchen, implementierte Schroeder einen innovativen Ansatz, der es ihr ermöglichte, die Aktivität einzelner Zona-Incerta-Synapsen im Neokortex vor, während und nach einem Lernparadigma zu verfolgen.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Neocortex

Neocortex/-/neocortex

Der Neocortex ist der stammesgeschichtlich jüngste Teil der Großhirnrinde. Da er relativ gleichförmig in sechs Schichten aufgebaut ist, spricht man auch vom Isocortex.

Plastizität

Plastizität/-/neuroplasticity

Der Begriff beschreibt die Fähigkeit von Synapsen, Nervenzellen und ganzen Hirnarealen, sich abhängig vom Grad ihrer Nutzung zu verändern. Mit synaptischer Plastizität ist die Eigenschaft von Synapsen gemeint, ihre Erregbarkeit auf die Intensität der Reize einzustellen, die sie erreichen. Daneben unterliegen auch Größe und Vernetzungsgrad unterschiedlicher Hirnbereiche einem Wandel, der von ihrer jeweiligen Aktivität abhängt. Dieses Phänomen bezeichnen Neurowissenschaftler als corticale Plastizität.

Umverteilung innerhalb des Systems beim Lernen

„Die Ergebnisse waren beeindruckend“, sagt sie. „Während etwa die Hälfte der Synapsen beim Lernen stärkere positive Antworten entwickelte, tat die andere Hälfte genau das Gegenteil. Was wir beobachteten, war also eine vollständige Umverteilung der Hemmung innerhalb des Systems aufgrund des Lernens.“ Dies deutet darauf hin, dass Zona-Incerta-Synapsen frühere Erfahrungen auf einzigartige, bidirektionale Weise kodieren. Das wurde besonders deutlich, als die Wissenschaftler*innen das Ausmaß der Plastizität mit der Stärke des erworbenen Gedächtnisses verglichen. Sie fanden eine positive Korrelation, die zeigt, dass Zona-Incerta-Projektionen die erlernte Relevanz sensorischer Reize kodieren.

In separaten Experimenten entdeckte Schroeder, dass das Abschalten dieser Projektionen während der Lernphase die spätere Gedächtnisspur beeinträchtigt. Das deutet darauf hin, dass die in diesen Projektionen auftretende bidirektionale Plastizität für das Lernen notwendig ist. Sie fand auch heraus, dass diese hemmenden Projektionen vorzugsweise funktionelle Verbindungen mit anderen, lokal-hemmenden Neuronen im Neokortex bilden, wodurch im Endeffekt ein langreichweitiger enthemmender Kreislauf entsteht. „Diese Konnektivität impliziert, dass eine Aktivierung der Zona Incerta zu einer Nettoerregung neokortikaler Schaltkreise führen sollte“, erklärt Schroeder. „Die Umverteilung der Hemmung, die wir beim Lernen beobachten, zeigt jedoch, dass dieser Weg wahrscheinlich noch weitreichendere Konsequenzen für die neokortikale Verarbeitung hat.“

Synapse

Synapse/-/synapse

Eine Synapse ist eine Verbindung zwischen zwei Neuronen und dient deren Kommunikation. Sie besteht aus einem präsynaptischen Bereich – dem Endknöpfchen des Senderneurons – und einem postsynaptischen Bereich – dem Bereich des Empfängerneurons mit seinen Rezeptoren. Dazwischen liegt der sogenannte synaptische Spalt.

Hemmung

Hemmung/-/inhibition

Die neuronale Inhibition, oder auch Hemmung umschreibt das Phänomen, dass ein Senderneuron einen Impuls zum Empfängerneuron sendet, der bei diesem dazu führt, dass seine Aktivität herabgesetzt wird. Der wichtigste hemmende Botenstoff ist GABA.

Plastizität

Plastizität/-/neuroplasticity

Der Begriff beschreibt die Fähigkeit von Synapsen, Nervenzellen und ganzen Hirnarealen, sich abhängig vom Grad ihrer Nutzung zu verändern. Mit synaptischer Plastizität ist die Eigenschaft von Synapsen gemeint, ihre Erregbarkeit auf die Intensität der Reize einzustellen, die sie erreichen. Daneben unterliegen auch Größe und Vernetzungsgrad unterschiedlicher Hirnbereiche einem Wandel, der von ihrer jeweiligen Aktivität abhängt. Dieses Phänomen bezeichnen Neurowissenschaftler als corticale Plastizität.

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Engramm

Engramm/-/engram

Ein Engramm, auch als Gedächtnisspur bezeichnet, ist eine neuronale Entsprechung von Gedächtnisinhalten. Es wird vermutet, dass Lernprozesse auf strukturellen Veränderungen in synaptischen Verbindung von Neuronen beruhen.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Veränderungen der Reizrepräsentation

Ein besonderes Interesse der Forschenden richtete sich auf die Population von Zona-Incerta-Synapsen, die eine negative Potenzierung zeigten, weil diese Art von Plastizität in den zuvor untersuchten Top-Down-Erregungswegen bis jetzt nicht beobachtet wurde. Computeransätze lieferten wertvolle Erkenntnisse darüber, wie sich diese einzigartigen Antworten entwickeln: Weitere Analysen in Zusammenarbeit mit dem Labor von Prof. Dr. Henning Sprekeler und seinem Team an der Technischen Universität Berlin ergaben, dass die negativen Antworten bemerkenswerterweise der Haupttreiber für die Veränderungen der Reizrepräsentation sind, die während des Lernvorgangs auftreten.

Darüber hinaus gehört die Zona Incerta zu den sehr wenigen Hirnregionen, die standardmäßig für die tiefe Hirnstimulation bei menschlichen Parkinson-Patienten angesteuert werden, was für die Zukunft eine faszinierende Möglichkeit für translationale Arbeiten eröffnet. „Letztlich wird diese Studie hoffentlich auch weitere Forscher dazu inspirieren, die Rolle der langreichweitigen Hemmung bei der Regulierung der neokortikalen Funktion sowohl aus der Zona Incerta als auch aus zusätzlichen, noch zu identifizierenden Quellen zu erforschen“, sagt Letzkus.

Plastizität

Plastizität/-/neuroplasticity

Der Begriff beschreibt die Fähigkeit von Synapsen, Nervenzellen und ganzen Hirnarealen, sich abhängig vom Grad ihrer Nutzung zu verändern. Mit synaptischer Plastizität ist die Eigenschaft von Synapsen gemeint, ihre Erregbarkeit auf die Intensität der Reize einzustellen, die sie erreichen. Daneben unterliegen auch Größe und Vernetzungsgrad unterschiedlicher Hirnbereiche einem Wandel, der von ihrer jeweiligen Aktivität abhängt. Dieses Phänomen bezeichnen Neurowissenschaftler als corticale Plastizität.

Hemmung

Hemmung/-/inhibition

Die neuronale Inhibition, oder auch Hemmung umschreibt das Phänomen, dass ein Senderneuron einen Impuls zum Empfängerneuron sendet, der bei diesem dazu führt, dass seine Aktivität herabgesetzt wird. Der wichtigste hemmende Botenstoff ist GABA.

Originalpublikation

Originalpublikation: Schroeder, A., Pardi, M.B., Keijser, J., Dalmay, T., Groisman, A. I., Schuman, E. M., Sprekeler, H., Letzkus, J. J., Inhibitory top-down projections from zona incerta mediate neocortical memory. In:  Neuron. DOI: https://doi.org/10.1016/j.neuron.2022.12.010

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

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