Angst beherrscht man nicht, ohne Furcht zu kennen

Graphik: MW
Gefühle Pape

Wo viel Gefühl ist, da ist auch viel Leid. Nirgends gilt Leonardo da Vincis Wort so unmittelbar wie bei der konkreten Furcht und der diffusen Angst. Die Hirnforschung ist den Wurzeln dieser Emotionen immer näher gerückt. Doch die Befunde sind so unvollendet wie die Therapien. Vor allem wenn es um die Kontrolle über unsere Ängste geht, stehen wir noch am Anfang.

Veröffentlicht: 24.02.2015

Niveau: schwer

Das Wichtigste in Kürze
  • Aus biologischer Sicht sind Furcht und Angst wichtige Komponenten unseres Verhaltens: Sie schützen uns vor potenziell unangenehmen oder sogar schädlichen Einflüssen.
  • Allerdings können extreme Einflüsse zu exzessiven und in Bezug auf die Situation unangemessenen Reaktionen führen, die durch den Betroffenen kaum kontrollierbar sind: zum Beispiel ein Wiedererleben von Erfahrungen mit extremer Angst, Panikattacken oder eine für den Außenstehenden kaum erklärliche basale Ängstlichkeit – Alterationen, die zu Angsterkrankungen führen können.
  • Die Hirnforschung deckt mit zunehmender Detailschärfe die Grundlagen dieser Emotionen auf. Doch die Befundlage weist Lücken auf, es gilt die Therapien zu verbessern, und wenn es um die Kontrolle unsere Ängste geht, stehen wir noch am Anfang.
Über den Autor

Prof. Dr. Hans-Christian Pape ist seit 2004 Professor für Physiologie an der Medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er ist Mitglied des Wissenschaftsrats und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, und er war als Senator der Deutschen Forschungsgemeinschaft tätig. Nach dem Studium in Bochum führten Forschungstätigkeiten ihn nach New York, Stanford und Yale. Seine Forschungsinteressen sind Furcht, Angst und Angsterkrankungen, die er in einem Sonderforschungsbereich als Sprecher vertritt.

Freude und Traurigkeit, Liebe und Hass, Wut und Angst gehören zu den Grundgefühlen, die das Wesen jeder menschlichen Existenz bestimmen. Derartige Gefühle oder Emotionen üben einen starken Einfluss auf unser Verhalten aus, sie sind interessant und wichtig. Doch was genau ist eine Emotion oder ein Gefühl? Können physiologische oder neurobiologische Grundlagen identifiziert werden? Wie kommt es zu einer wenig kontrollierbaren Emotion, unter Umständen gar zu einer psychischen Störung? Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehrten sich Hinweise, dass an Emotionen spezialisierte Schaltkreise des Gehirns beteiligt sind, die in der stammesgeschichtlichen Entwicklung der Säugetiere weitgehend erhalten blieben. Allerdings litt das Thema Emotion jahrzehntelang unter dem Vorwurf der Subjektivität, insofern als die Mehrzahl der wissenschaftlichen Ansätze nur unzureichend zwischen den Reaktionen unterschied, die auftreten, wenn unser Gehirn für unser Leben oder Wohlergehen bedeutsame Reize detektiert (unserer Emotion), und den Prozessen der bewussten Wahrnehmung dieser Vorgänge (unserem Gefühl). Eine konzeptuelle Trennung, die zum Beispiel die Kognitionswissenschaft von Anfang an vollzog. Auch waren trotz zunehmender Zahl untersuchter emotionaler Leistungen die zugrundeliegenden neurobiologischen Prinzipien kaum ableitbar. Einen Paradigmenwechsel markiert die Fokussierung auf das sogenannte „Furchtsystem“ im abklingenden 20. Jahrhundert, als mit der Operationalisierung von Furcht diese Emotion systematisch experimentell fassbar wurde.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Wahrnehmung

Wahrnehmung/Perceptio/perception

Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.

Operationalisierung von Furcht – ein Erfolgsmodell

Im täglichen Sprachgebrauch wird oft nicht zwischen Furcht und Angst unterschieden, obwohl es sich um zwei Entitäten handelt. Angst ist ein unbestimmtes Gefühl der Beklemmung oder Besorgnis, ausgehend von wenig spezifizierbaren Einflüssen, die als potentiell bedrohlich wahrgenommen werden. Furcht hingegen wird durch konkrete Reize, Objekte oder Situationen, ausgelöst und resultiert in einer Furcht oder Alarmreaktion. Demzufolge wurden Studien entwickelt, die sich neben Äußerungen über den (subjektiv empfundenen) Gemütszustand auf die Messung quantifizierbarer Größen kaprizierten. Steigerung von Blutdruck und Atemfrequenz, Freisetzung von Stresshormonen, Kampf oder Flucht sind bekannte Beispiele. Aus biologischer Sicht sind diese Reaktionen wichtige Komponenten unseres Verhaltens: Sie schützen uns vor Einflüssen, die unangenehm oder sogar schädlich sind. So lernt jeder durch Beobachtung, Instruktion oder schmerzvolle Erfahrung, bestimmte Verhaltensweisen zu vermeiden, aus Angst davor, verletzt zu werden. Der stammesgeschichtlich alte Ursprung dieser Reaktionen und deren positive Selektion im Verlauf der Evolution sind leicht nachvollziehbar: Individuen, die in einer gefährlichen Umwelt furchtsam reagieren, überleben besser. So ist der bei uns negativ konnotierte Angsthase in der chinesischen Mythologie das Sinnbild der Langlebigkeit. Oder andersherum: Die Mutigen sterben zuerst.

Aus wissenschaftlich-​konzeptueller Sicht erwies sich die stammesgeschichtliche Konservierung dieser Reaktionen in Säugetieren, einschließlich des Menschen, als Vorteil. Zum einen werden speziesübergreifende Ansätze und Interpretationen erleichtert und damit die Prinzipien deutlich, die diese Emotion begründen. Zum anderen können Teilergebnisse, die auf den verschiedenen Ebenen der wissenschaftlichen Analyse erzielt werden, verknüpft und daraus Kenntnisse der Systemzusammenhänge („vom Molekül zum Verhalten“) entwickelt werden, wobei die konzeptuelle Verbindung der Ebenen eine fortwährende Herausforderung darstellt und nicht immer gelingt.

Individuelle Unterschiede von Furcht und Angst resultieren aus einem Wechselspiel zwischen genetischer Veranlagung, autobiographischen Spezifika und neurobiologischen Prozessen. Dabei können extreme Erfahrungen exzessive Reaktionen zur Folge haben. Die Erfahrung eines gewalttätigen Angriffs oder eines schweren Unfalls kann zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) führen, verbunden mit Phasen des Wiedererlebens des problematischen Ereignisses und Gefühlen extremer Angst. Andere Beispiele sind Phobien und Panikstörungen, die durch Vermeidung bestimmter Situationen oder Objekte beziehungsweise plötzliche Attacken intensiver Angst gekennzeichnet sind. Für den Betroffenen sind diese Zustände kaum erträglich, für den Außenstehenden sind sie kaum erklärlich.

Die Zahl Angsterkrankter ist besorgniserregend. Die Wahrscheinlichkeit, im Verlaufe des Lebens an einer Angststörung zu erkranken, liegt bei etwa zwanzig Prozent. Der durchschnittliche Beginn der Erkrankung liegt bei elf Jahren. Damit zählen Angsterkrankungen nicht nur zu den häufigsten psychischen Störungen, sondern auch zu denjenigen mit frühestem Krankheitsbeginn. Die Krankheit führt zu erheblichen Beeinträchtigungen von Lebensqualität, Lernvermögen, Arbeits– und Berufstätigkeit. Aus klinischer Sicht ist die Entwicklung von verbesserten Therapien und Maßnahmen zur Vorbeugung von herausragender Bedeutung. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Aufklärung des Wechselspiels von Genen, Umwelt und neurobiologischen Prozessen die entscheidende Grundlage.

In der Domäné Furcht zeigt sich ein hohes Maß an Homologie beteiligter Hirnregionen im Menschen und in verschiedenen Säugetierspezies, insbesondere in den gutuntersuchten Nagetieren. Dieser Hinweis ist in Anbetracht der stammesgeschichtlichen Konservierung dieser Reaktionen nicht überraschend. Er unterstreicht andererseits den Wert artübergreifender Ansätze. So kartieren Methoden der nichtinvasiven Bildgebung im menschlichen Gehirn die großen Organisationseinheiten und Verbindungen. Sie zeigen, dass eine Trias von Hirnregionen unsere Furchtreaktionen reguliert. Der Mandelkern (Amygdala) ist von zentraler Bedeutung für die emotionalen Komponenten unserer Erinnerung an ein unangenehmes Ereignis, das sogenannte Furchtgedächtnis. Der Hippocampus steuert komplexe Informationen über den Kontext bei, in dem das Ereignis stattfindet. Der Präfrontalcortex fungiert als eine Art übergeordnete Instanz, die das Ereignis bewertet, mit Erfahrungswerten abstimmt und gegebenenfalls ein Umlernen vermittelt, wodurch das Furchtgedächtnis aktiv unterdrückt werden kann. Dieser Prozess wird als Extinktion von Furcht bezeichnet. Aus dem gemeinsamen Beitrag dieser Regionen resultiert die individuelle Ausprägung einer Furchtreaktion. Allerdings fungieren die genannten Regionen nicht als Entitäten – eine Einsicht, die mit modernen hochauflösenden Analysen in tierexperimentellen Ansätzen erreicht wurde. Methoden der Elektrophysiologie und Optogenetik erlauben heute die Registrierung der Aktivität einzelner Nervenzellen (Neuronen) und deren Bedeutung für Furchtreaktionen. Die Ergebnisse dokumentieren eine unerwartet hohe Diversität von Neuronen, ihrer Botenstoffe (Transmitter) und ihrer Kontakte (Synapsen), mit zum Teil hoher funktioneller Spezialisierung. So wurden „Furchtneuronen“ und „Extinktionsneuronen“ identifiziert. Diese Neuronen bilden räumlich verteilte Netzwerke in den relevanten Hirnregionen. Die Zusammensetzung dieser Ensembles variiert funktionsabhängig, und die Einbindung der einzelnen Mitglieder erfolgt durch die zeitlich-​rhythmische Taktung ihrer elektrischen Aktivität.

Die neuronale Furchtmatrix besteht demzufolge aus zeitlich getakteten Aktivitätsmustern räumlich verteilter Neuronen im Gehirn, wobei die genannte Trias von Regionen zwar notwendige, aber nicht alle Knotenpunkte der Netzwerke darstellt. Kritisch wird es, wenn diese Hirnregionen fehlreguliert werden. Zum Beispiel zeigen Traumapatienten hyperaktive Antworten der Amygdala bei gleichzeitig reduzierter Aktivität im Präfrontalcortex. Die hieraus resultierende Dysbalance der Hirntrias geht mit extremen Furchtreaktionen einher. Während klinische Befunde demzufolge „hot spots“ der Erkrankung im Gehirn auf makroskopischer Ebene anzeigen, weisen neurobiologische Erkenntnisse auf kleinere pathophysiologische Einheiten im Bereich der involvierten Netzwerke hin. Sie zeigen zum einen Veränderungen in erregenden und hemmenden Botensystemen, die Furcht– und Extinktionsneurone kontrollieren, zum anderen charakteristisch veränderte Zeitstrukturen der Aktivität neuronaler Ensembles der Furchtmatrix. Mit derartig verbesserter Detailkenntnis gelingt es zunehmend, die pathophysiologischen Einzelbefunde in die klinisch identifizierten „hot spots“ im Gehirn zu integrieren und damit ein wertvolles Potential für Vorhersagen einer gezielten therapeutischen Intervention zu schaffen.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Belastungsstörung

Belastungsstörung/-/stress disorder

Als Belastungsstörung wird in der Psychologie die pathologische Reaktion auf dauerhaften oder kurzfristig sehr hohen Stress bezeichnet. Unterschieden werden die akute Belastungsstörung – oft als Nervenzusammenbruch bezeichnet – und die posttraumatische Belastungsstörung nach einem traumatischen Erlebnis. Sie kann noch lange Zeit nach dem eigentlichen Stressereignis schwerwiegende Folgen haben.

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt.

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Hippocampus

Hippocampus/Hippocampus/hippocampual formatio

Der Hippocampus ist der größte Teil des Archicortex und ein Areal im Temporallappen. Er ist zudem ein wichtiger Teil des limbischen Systems. Funktional ist er an Gedächtnisprozessen, aber auch an räumlicher Orientierung beteiligt. Er umfasst das Subiculum, den Gyrus dentatus und das Ammonshorn mit seinen vier Feldern CA1-​CA4.

Veränderungen in der Struktur des Hippocampus durch Stress werden mit Schmerzchronifizierung in Zusammenhang gebracht. Der Hippocampus spielt auch eine wichtige Rolle bei der Verstärkung von Schmerz durch Angst.

Extinktion

Extinktion/-/extinction

Bei der Extinktion wird ein Reiz mehrfach im selben Kontext präsentiert, bis eine Gewöhnung, d.h. eine Habituation, eingetreten ist. Vgl. auch die klassische Konditionierung. Beispielsweise lernt eine Schnecke, dass eine bestimmte Berührung nicht bedrohlich ist. Diese Desensibilisierung schlägt sich auch auf Ebene der Synapsen nieder.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Empfohlene Artikel

Erbe und Umwelt – vom Genom zur Ursache?

Angsterkrankungen entstehen durch das komplexe Zusammenwirken von genetischen Faktoren und Faktoren der Umwelt. Genomweite Assoziationsstudien haben risikoerhöhende genetische Faktoren identifiziert. Vielversprechende Kandidaten sind Gene der Signalwege und Transmittersysteme der neuronalen Furchtmatrix. Dabei wäre es naiv, anzunehmen, dass die Veränderung eines einzelnen genetischen Faktors oder eine Handvoll Gene die Ursachen der Krankheit erklärt. Vielmehr scheint sich der Verhaltensphänotyp – gesund oder krank – durch die Akkumulation kleiner Effekte aus zahlreichen Variablen zu manifestieren. Diese Wechselwirkungen und das Zusammenspiel mit risikoerhöhenden Lebensereignissen sind allenfalls im Ansatz verstanden. Dabei können kritische Lebensereignisse sowohl in frühen Phasen der Entwicklung als auch in späteren Lebensphasen das Erkrankungsrisiko erhöhen.

Wichtig sind dabei die Stresshormone (etwa Kortisol) und deren Einfluss auf die neuronale Furchtmatrix. Eine extreme Stressexposition kann die Transmitterbalance beeinflussen, mit der Folge veränderter Teilfunktionen in Amygdala sowie Präfrontalcortex und den Konsequenzen einer verschlechterten Furchtkontrolle. Zum Beispiel wurde ein interaktiver Effekt zwischen belastenden Lebensereignissen und einer Genvariante des Transporters für den Botenstoff Serotonin mit Bedeutung für die Entstehung von Angsterkrankungen im Menschen gefunden und in nichthumanen Primaten und Nagetieren bestätigt.

Trotz solcher vielversprechender Befunde ist zu konstatieren, dass die bislang identifizierten Faktoren den Anteil der Vererbung, der bei 30 bis 60 Prozent liegt, nur zu wenigen Prozentpunkten erklären können. Diese Nachweislücke wird in Teilen der Existenz epigenetischer Prozesse zugeschrieben. Derartige Prozesse wirken direkt an der Schnittstelle von Genen und Umwelt, indem sie die Aktivität von Genen oder ganzen Chromosomenabschnitten in Folge von Umwelteinflüssen verändern. Die Aufklärung dieser Mechanismen bei der Entstehung von komplexgenetischen Erkrankungen ist eine der faszinierenden Aufgaben der Grundlagenforschung. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die aktuell vorliegenden genetischen Befunde zu Angsterkrankungen punktuell sind. Ihr diagnostischer Wert ist gering, ebenso wie die Möglichkeit, krankhaft ängstliches Verhalten vorhersagen zu können.

Die Therapie der Wahl bei Angsterkrankungen enthält die Applikation von Pharmaka mit angstlösender (anxiolytischer) beziehungsweise antidepressiver Wirkung. Beispiele sind Benzodiazepine oder selektive Serotonin-​Wiederaufnahmehemmer. Diese Substanzen wirken über die Transmittersysteme: Aminobuttersäure und Serotonin. Sie sind Teil der Furchtmatrix des Gehirns, allerdings oft nicht mit der notwendigen Spezifität und Wirksamkeit – etwa 30 Prozent der Patienten sprechen auf die initiale Therapie nicht an. Zahlreiche Angststörungen – Phobien, Panikstörung, PTBS – sind mit übermäßigen Furchtreaktionen verbunden, deren Symptomatik mit erfahrungsabhängigen Prozessen verwoben ist. Kognitive Verhaltenstherapien setzen auf Prozesse des Wahrnehmens, der Erkenntnis und des Bewertens. In der Expositionstherapie wird der Patient nach kognitiver Vorbereitung wiederholt mit den furchtauslösenden Stimuli und Erinnerungen konfrontiert, mit dem Ziel einer Neubewertung. Ein Problem der Expositionstherapie zeigt sich in der relativ hohen Rückfallrate. Rückfälle erklären sich vor allem daraus, dass die Therapie – wie für die Extinktion von Furcht beschrieben – einen Prozess des Umlernens bewirkt, ohne dass das Furchtgedächtnis gelöscht wird. Das Extinktionsgedächtnis ist an denjenigen Kontext gebunden, in dem das Umlernen erfolgte. Dies erklärt, warum sich bei verblassender Erinnerung an diesen Kontext das Rückfallrisiko erhöht. In dieser Problematik bietet die in den vergangenen Jahren erreichte Detailkenntnis der neuronalen Furchtmatrix und ihrer kognitiven Komponenten ein wertvolles Potential für Vorhersagen von Therapien. Ein Beispiel ist D-​Cycloserin, ein Modulator an einem lernrelevanten Rezeptor des Transmitters Glutamat.

Die Applikation dieser Substanz bewirkt eine Dämpfung von Furchtantworten, allerdings nur in Verbindung mit einem Training zur Extinktion von Furcht. Nur zwei Jahre nach Beschreibung der tierexperimentellen Befunde wurde die erfolgreiche klinische Anwendung unter Beweis gestellt. Der oft schwierige Schritt vom Tierexperiment zur klinischen Anwendung wurde hier durch die bereits etablierte Verwendung von D-​Cycloserin als Antituberkulosemittel erleichtert. Weitere Beispiele einer erfolgreichen Translation von Grundlagenergebnissen in die Anwendung stellen Beta-​Blocker und L-​Dopa dar. Eine Behandlung mit L-​Dopa, das auch bei der Parkinson-​Erkrankung angewendet wird, grenzt kontextabhängige Rückfälle des Furchtgedächtnisses ein. Beta-​Blocker wirken am ß-​Rezeptor der Transmitter Noradrenalin und Adrenalin finden in der Behandlung von Bluthochdruck Anwendung. In der Furchtmatrix beeinträchtigt diese Wirkung die Stabilisierung des Furchtgedächtnisses, mit der Folge der „Löschung“ ohne Rückfallrisiko. Dabei wird die faktische Erinnerung an das kritische Erlebnis nicht beeinträchtigt – ein wichtiger Befund, der die Existenz spezifischer Schaltkreise des Gehirns für faktische und emotionale Komponenten des Gedächtnisses verdeutlicht und die Möglichkeit eines gezielten Eingriffs andeutet. Festzustellen ist, dass diese Studien in gesunden Probanden durchgeführt wurden und der Nachweis ihrer Wirksamkeit in Angstpatienten noch aussteht.

Gen

Gen/-/gene

Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt.

Serotonin

Serotonin/-/serotonin

Ein Neurotransmitter, der bei der Informationsübertragung zwischen Neuronen an deren Synapsen als Botenstoff dient. Er wird primär in den Raphé-​Kernen des Mesencephalons produziert und spielt eine maßgebliche Rolle bei Schlaf und Wachsamkeit, sowie der emotionalen Befindlichkeit.

Gen

Gen/-/gene

Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.

Extinktion

Extinktion/-/extinction

Bei der Extinktion wird ein Reiz mehrfach im selben Kontext präsentiert, bis eine Gewöhnung, d.h. eine Habituation, eingetreten ist. Vgl. auch die klassische Konditionierung. Beispielsweise lernt eine Schnecke, dass eine bestimmte Berührung nicht bedrohlich ist. Diese Desensibilisierung schlägt sich auch auf Ebene der Synapsen nieder.

Rezeptor

Rezeptor/-/receptor

Signalempfänger in der Zellmembran. Chemisch gesehen ein Protein, das dafür verantwortlich ist, dass eine Zelle ein externes Signal mit einer bestimmten Reaktion beantwortet. Das externe Signal kann beispielsweise ein chemischer Botenstoff (Transmitter) sein, den eine aktivierte Nervenzelle in den synaptischen Spalt entlässt. Ein Rezeptor in der Membran der nachgeschalteten Zelle erkennt das Signal und sorgt dafür, dass diese Zelle ebenfalls aktiviert wird. Rezeptoren sind sowohl spezifisch für die Signalsubstanzen, auf die sie reagieren, als auch in Bezug auf die Antwortprozesse, die sie auslösen.

Glutamat

Glutamat/-/glutamate

Glutamat ist eine Aminosäure und der wichtigste erregende (exzitatorische) Neurotransmitter, der bei der Informationsübertragung zwischen Neuronen an deren Synapsen als Botenstoff dient.

Noradrenalin

Noradrenalin/-/noradranalin

Gehört neben Dopamin und Adrenalin zu den Catecholaminen. Es wird im Nebennierenmark und in Zellen des Locus coeruleus produziert und wirkt meist anregend. Noradrenalin wird oft mit Stress in Verbindung gebracht.

Adrenalin

Adrenalin/-/adrenaline

Gehört neben Dopamin und Noradrenalin zu den Catecholaminen. Adrenalin ist das klassische Stresshormon. Es wird im Nebennierenmark produziert und bewirkt eine Steigerung der Herzfrequenz sowie der Stärke des Herzschlags und bereitet so den Körper auf erhöhte Belastung vor. Im Gehirn wirkt Adrenalin auch als Neurotransmitter (Botenstoff), hier bindet es an sogenannte Adenorezeptoren.

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Gibt es künftig die personalisierte Furchttherapie?

Trotzdem sind diese Ergebnisse ermutigend, zumal sie auf die Verwendung klinisch etablierter Substanzen zurückgehen. Sie zeigen zudem die Bedeutung kombinierter, über die Einzelebene hinausgehender Behandlungsstrategien – eine in Anbetracht der Komplexität der Erkrankungen nachvollziehbare Schlussfolgerung. Jüngst zeigen auch Methoden zur Manipulation der Aktivität der neuronalen Furchtmatrix, zum Beispiel durch Tiefenhirnstimulation oder transkranielle Magnetstimulation, erste Erfolge. Festzuhalten bleibt, dass die hier beschriebenen Konzepte vorwiegend aus Modellen von Angststörungen und einem Spektrum von Krankheiten resultieren, die furchtbezogene Symptome beinhalten. In Zukunft werden diese Konzepte auf breiter Basis zu prüfen sein. Dabei wird auch zu klären sein, inwieweit genetische Profile hinsichtlich des Ansprechens der anxiolytischen Therapie einbezogen und damit eine individuell angepasste Behandlungsstrategie mit rascherem Behandlungserfolg angestrebt werden kann. Die strikte Wahrung der Grundsätze von Ethik, Vertraulichkeit und Datenschutz ist hierbei unabdingbar.

Der Hirnforschung ist es in den vergangenen Dekaden also gelungen, wichtige Prinzipien der Furchtmatrix im Gehirn sowie Mechanismen einzelner Gen-​Umwelt-​Interaktionen zu charakterisieren. Die Therapieentwicklungen sind ermutigend. Trotz dieser Erfolge ist zu konstatieren, dass unser heutiges Verständnis zum überwiegenden Teil auf reduktionistischen Modellen basiert, die den Begriff Furcht auf die bewusste Erfahrung der Konfrontation mit einer Bedrohung reduzieren. Wenig verstanden bleiben die Prozesse, die verschiedene Arten der Furcht (vor der Spinne, dem öffentlichen Vortrag, der Fahrt mit der U-​Bahn, der Panikattacke, dem Tod), die Einbeziehung reflexiver und kognitiver Komponenten sowie schlussendlich das subjektive Gefühl Angst bestimmen. Hier wirken Funktionskreise unseres Gehirns und Teilsysteme unseres Organismus zusammen – einschließlich Furchtmatrix, Aufmerksamkeitssystemen, Systemen der Homöostase, des Gedächtnisses und der Prädiktion. Sie können nicht als ein integriertes System verstanden werden, sondern als eine Ansammlung vieler Subsysteme mit Interaktionen in wechselnden Kombinationen und Aktivitäten, in Abhängigkeit zum Beispiel von der individuellen Situation und der individuell verfolgten Strategie. Deren Kombinatorik zu erfassen, dabei nicht nur das Prinzip der Funktionen, sondern auch die Mechanismen von Variabilität und Individualität zu charakterisieren, wird eine der dringenden Aufgaben der Hirnforschung sein.

Es kommt immer mehr darauf an, einzelne Module in den Netzwerken zu verstehen und deren Bedeutung im System zu erfassen. In der Domäné Furcht, einer den Ursprung aller Phänotypen von Angst und Angststörungen markierenden Emotion, besteht eine realistische Chance, diese systemischen Ansätze zu vollziehen und psychiatrische Syndrome innerhalb der Gruppe psychischer Störungen als eine der ersten auf einer mechanistischen Ebene zu erklären. Hieraus ergeben sich vielversprechende Perspektiven für frühe therapeutische Intervention und gezieltere Maßnahmen der Prävention.

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Hinweis

Dieser Artikel erschien erstmals am 28.01.2015 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als Teil der Vortragsreihe „Hirnforschung, was kannst du? — Potenziale und Grenzen“ von Gemeinnütziger Hertie-​Stiftung und FAZ.

Hier sehen Sie das Video zum Vortrag Emotion oder Gefühl? — Furcht und Angst im Spiegel der modernen Hirnforschung

Zum Weiterlesen:

  • Dias, BG., Banerjee, SB., Goodman, JV., Ressler, KJ.: Towards new approaches to disorders of fear and anxiety. Curr Opin Neurobiol, 2013.
  • Domschke, K., Maron, E.: Genetic factors in anxiety disorders. Mod Trends Pharmacopsych, 2013.
  • LeDoux, JE.: The Emotional Brain: The Mysterious Underpinnings of Emotional Life. Phoenix, 1999.
  • Milad, MR., Quirk, GJ.: Fear extinction as a model for translational neuroscience: ten years of progress. Annu Rev Psychol., 2012.
  • Pape, HC., Pare, D.: Plastic synaptic networks of the amygdala for the acquisition, expression, and extinction of conditioned fear. Physiol Rev., 2010.
  • Pape, HC.: Themenheft: Furcht, Angst, Angsterkrankungen. ed. Neuroforum 3.13, Springer-​Spektrum, 2013.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

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