Köpfe und Ideen
Die Erforschung des Gehirns speist einen steten Fluss an Information, der irgendwann in Lehrbüchern mündet. Doch hinter der manchmal trockenen Theorie vergessen wir oft die Menschen hinter der Entdeckung.
Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Herbert Schwegler
Veröffentlicht: 26.09.2012
Niveau: mittel
Was heute in neurowissenschaftlichen Lehrbüchern steht, ist oft kleinteilig und komplex – und daher selten, einfach zu verstehen. Was es für das Menschsein bedeutet, verschwindet ebenso hinter den vielfältigen Zusammenhängen, wie die Forscher, denen wir sie verdanken. Nur die wenigsten haben sich in anatomischen Strukturen verewigt, und auch hier vergessen wir, dass diese Namen einst Menschen trugen und der Hirnnervenkern nicht immer so hieß. Doch tatsächlich: Edinger und Westphal waren real existierende Personen, genauso wie Broca und Wernicke.
Menschen und Geschichten
Wie uns der Blick in die eigene Biographie zeigt, sind Menschen nicht ganz einfach. Sie haben große Gefühle und machen Dummheiten. Sie verrennen sich in theoretischen Sackgassen, oder sehen als einzige den Ausweg. Sie sind stur, entschlossen, verzweifelt, genial – nicht notwendigerweise immer gleichzeitig. Ihre Biographien machen Sprünge, sie beinhalten dunklere und hellere Kapitel. Und so manche richtig gute Geschichte.
Darum dreht sich das Thema Meilensteine – um wichtige Entdeckungen der Neurowissenschaften, und um die Menschen, die sie gemacht haben. Ihre Eigenheiten, ihre Erlebnisse, ihre Sicht der Dinge. Dabei vermischen sich Forscher und Forschung – wenn Rita Levi-Montalcini, als Jüdin bedrängt von italienischen Faschisten, in ihrem Schlafzimmer ein provisorisches Labor aufbaut und „unter Bedingungen wie Robinson Crusoe“ arbeitet, sagt das etwas über wissenschaftliche Neugier. Wenn Camillo Golgi sich in der Rede anlässlich seines gemeinsamen Nobelpreises mit Ramón y Cajal mit eben dem – sagen wir: „kritisch auseinandersetzt“, sagt das etwas über Überzeugung für die eigene Idee. Und wenn Roger Sperry mit seinen Studenten – Michael Gazzaniga und Joseph LeDoux, beide heute ebenfalls sehr prominente Neurowissenschaftler – bei Split-Brain-Patienten plötzlich auf ein mögliches zweites Bewusstsein stößt, während das erste sich als sehr überzeugter, aber glückloser Interpret vermeintlicher Fakten erweist, dann sagt das etwas über uns. Ganz direkt und persönlich.
Empfohlene Artikel
Unvergleichliches Spektrum
Die Wachstumsfaktoren von Rita Levi-Montalchini und die Hemisphärenforschung von Roger Sperry liegen mehrere Größenordnungen auseinander, und machen doch – in ihrem Zusammenspiel – uns aus. Nicht umsonst hat Eric Kandel einmal gesagt, dass einzig der Hirnforscher das gesamte große Feld von den Genen bis zur Psyche beforschen könne.
Und das tun die Hirnforscher, je nach Verortung auf dem Zeitstrahl mit unterschiedlichem Wissenstand, unterschiedlichen Methoden und unterschiedlichen Ergebnissen seit dem antiken Griechenland. Dort war Aristoteles noch der Meinung, das Gehirn sei wenig mehr als ein Kühlsystem fürs Blut. Alkmaion von Kroton sah dagegen bereits 300 Jahre vorher das Gehirn ganz ähnlich wie wir heute: „Das Gehirn ist es, das die Wahrnehmungen des Hörens, Sehens und Riechens gestattet; aus diesem entstehen Gedächtnis und Vorstellung, aus Gedächtnis und Vorstellung aber, wenn sie sich gesetzt haben und zur Ruhe gekommen sind, bildet sich das Wissen“, (zitiert nach Oeser, 2002).
Doch so weit reicht unsere Rückschau der Meilensteine noch nicht – wir tasten uns langsam vor und werden das Thema schrittweise ausbauen. Dabei schauen wir nicht nur auf Bekanntheit, sondern auch auf die Bedeutung. Während zum Beispiel David Hubel und Torsten Wiesel für ihre Erkenntnisse zur Organisation der Großhirnrinde in jedem Fachbuch Erwähnung finden, ist Otto D. Creutzfeld eher den Fachleuten bekannt. Dabei gehören zu seinen Schülern die bekanntesten deutschen Neurowissenschaftler. Auch jüngere Forscher sollen uns beschäftigen und so werden wir mit der Zeit ein ausgewogenes Spektrum an Köpfen und Ideen präsentieren.
Gen
Gen/-/gene
Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.
Gedächtnis
Gedächtnis/-/memory
Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.
zum Weiterlesen:
- Oeser, E.: Geschichte der Hirnforschung. Von der Antike bis zur Gegenwart. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2002.