Es gibt viele Wege, die Seele zu behandeln
Viele psychische Erkrankungen sind gut zu behandeln das Angebot an möglichen Therapien ist groß. Künftig könnten virtuelle Realitäten und psychoaktive Substanzen das Behandlungsspektrum bereichern.
Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Igor Nenadić
Veröffentlicht: 01.10.2019
Niveau: leicht
- Es gibt zahlreiche Methoden, eine psychische Störung zu behandeln: Dazu gehören je nach Art des Leidens sowohl verschiedene Klassen von Medikamenten, als auch die analytische, die tiefenpsychologisch fundierte sowie die verhaltenstherapeutische Psychotherapie. Oft wird eine Kombination aus beiden Ansätzen als besonders wirksam beurteilt.
- Unter Mitwirkung des Betroffenen kann der Psychotherapeut verschiedene Methoden miteinander kombinieren und eine für den Patienten angepasste Therapie entwickeln.
- Für Erkrankungen wie die Schizophrenie, Depressionen oder Angststörungen gibt es jeweils eine Vielzahl von Medikamenten mit teils unterschiedlichen Wirkmechanismen und Nebenwirkungsprofilen.
- Während in der analytischen und tiefenpsychologischen Psychotherapie die Vergangenheit aufgearbeitet wird, konzentrieren sich die verhaltenstherapeutischen Ansätze auf das Hier und Jetzt. In einer neuen Entwicklungswelle gewinnen Prinzipien wie Akzeptanz und Achtsamkeit an Bedeutung und in einem störungsübergreifenden Ansatz rückt die scharfe Trennung zwischen den Störungsbildern in den Hintergrund. Persönlichkeit, Werte und Ziele sowie soziale Beziehungen des Patienten entscheiden mehr und mehr über den Verlauf der Therapie.
- Die Entwicklung neuer Methode schreitet weiter voran: In der Psychotherapie ist der Einsatz von virtueller Realität ein vielversprechender neuer Ansatz. Auf Seiten der Psychopharmaka rücken psychoaktive Substanzen wie Psilocybin in den Fokus der Wissenschaft.
Depression
Depression/-/depression
Phasenhaft auftretende psychische Erkrankung, deren Hauptsymptome die traurige Verstimmung sowie der Verlust von Freude, Antrieb und Interesse sind.
Der Patient liegt auf der Couch und erzählt, was ihm durch den Kopf geht. Der Therapeut sitzt im Sessel, sagt nichts, und am Ende ist der Sexualtrieb der Ursprung aller Konflikte. Soweit die Klischees über die Freudsche Psychoanalyse. Doch die sind laut Thomas Rauch, Psychoanalytiker aus Aachen, so nicht mehr gültig. Freuds Sexualtheorie wurde erweitert, im Vordergrund stehen nun die sozialen Beziehungen des Patienten von Kindheit an. „Heute interagieren Therapeut und Patient mehr miteinander und reflektieren die Dynamik dieser Beziehungen“, erklärt Rauch, „aber Traumdeutung zum Beispiel praktizieren wir immer noch, allerdings individueller und nicht standardisiert wie in den Jahren nach Freud.“ Ziel der analytischen und der daraus entstandenen tiefenpsychologischen Verfahren ist es, unbewusste Empfindungen und Motive bewusst zu machen. Der Unterschied liegt im Fokus: Während er in der Tiefenpsychologie auf den akuten Problemen liegt, zielt die analytische Psychotherapie auf eine ganzheitliche Umstrukturierung problematischer Persönlichkeitsmerkmale ab. Beide Verfahren sind wie die Verhaltenstherapie (VT) Richtlinienverfahren, das heißt, sie werden von der Krankenkasse finanziert. Im November 2018 wurde nach Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses mit der systemischen Therapie ein viertes Richtlinienverfahren hinzugefügt, dessen Grundlage die sozialen Beziehungen des Patienten bilden.
Klassische und kognitive Verhaltenstherapie
In der VT arbeiten Therapeut und Patient an den akuten Problemen im Hier und Jetzt. Verhaltensmuster, wie Vermeidungs- oder Schonverhalten, sollen umgelernt und in ein der Situation angemessenes Verhalten umgewandelt werden. Im Vordergrund steht die praktische Anleitung zur Selbsthilfe. Eine bekannte Methode der VT ist die Konfrontationstherapie, bei der der Patient stufenweise einem angstauslösenden Reiz ausgesetzt wird und so seine Angst zum Beispiel vor Spinnen überwinden kann.
Dieser rein behaviorale Ansatz wurde in der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) weiterentwickelt. Meinung und Denkweise des Patienten fließen in die Therapie mit ein. Der Patient lernt, dass die Situation unverändert bleibt, er seine Reaktion darauf aber selbst lenken kann. Ein Phobiker zum Beispiel stuft eine harmlose Spinne als bedrohlich ein, weshalb er panisch darauf reagiert. Solche negativen Denkmuster werden in der Therapie herausgearbeitet und durchbrochen. Dabei stehen dem Therapeuten zahlreiche Methoden zur Verfügung. Progressive Muskelentspannung und Atemtechniken sorgen für die nötige Entspannung und im Rahmen von Selbstsicherheitstraining, Verhaltens- und Vorstellungsübungen trainiert der Patient neue Denk- und Verhaltensmuster. Wie dies im Detail aussieht, hängt von der individuellen Störung ab. Patienten, die unter Depressionen leiden, lernen etwa, ihren Alltag so zu gestalten, dass sie ihn besser bewältigen können, und dabei Aktivitäten einzubauen, die ihr Wohlbefinden steigern. Bei chronischen Depressionen kommt die CBASP (Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy) in Frage. Hier liegen die Schwerpunkte auf der Situationsanalyse, dem ständigen Austausch zwischen Patient und Umwelt und dem Verhaltenstraining.
Hat sich ein Automatismus eingestellt, greift das positive Denken und Handeln auch auf die Lebenseinstellung und das Selbstbild über. Die KVT ist wie die klassische VT für die Behandlung vieler psychischer Erkrankungen geeignet und lässt sich auch auf neuere Störungen anwenden. Zum Beispiel hat ein Team um den Psychologen Dr. Klaus Wölfling von der Ambulanz für Spielsucht an der Universitätsmedizin Mainz die STICA-Therapie (short-term treatment for internet and computer game addiction) für Menschen mit einer Computerspielsucht entwickelt, deren effektive Wirkung sie in ihrer im Juli 2019 veröffentlichten Studie zeigen.
Depression
Depression/-/depression
Phasenhaft auftretende psychische Erkrankung, deren Hauptsymptome die traurige Verstimmung sowie der Verlust von Freude, Antrieb und Interesse sind.
Achtsamkeit gewinnt an Bedeutung
In aktuellen Strömungen erhalten Prinzipien der Akzeptanz und Achtsamkeit den eigenen Gedanken und Gefühlen gegenüber Einzug in die VT. Achtsamkeit bedeutet, den Fokus der Aufmerksamkeit ins Hier und Jetzt zu legen und dieses ohne Bewertung bewusst wahrzunehmen. Der eigene Körper und die eigenen Empfindungen sollen als dazugehörig akzeptiert werden, ohne sich an das Positive zu klammern oder das Negative zu verdrängen. Die psychische Störung als solche bei sich selbst zu akzeptieren und gut mit ihr zu leben, ist das Ziel achtsamkeitsbasierter Therapien wie der Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) und Acceptance and Commitment Therapy (ACT). Die MBSR bedient sich dazu einfacher Meditationsübungen, um den Fokus der Aufmerksamkeit bewusst zu lenken. Diese Methode ist zwar an sich nicht neu, gewinnt aber als Anwendung in der Psychotherapie an Bedeutung. In der ACT geht es darum, das eigene innere Erleben, vor allem auch das ungewollte, zu akzeptieren und unter Berücksichtigung dessen seine persönlichen Ziele und Werte zu verwirklichen. Beide Verfahren sind störungsübergreifend, das heißt, es sind ganzheitliche Ansätze, die nicht die Störung, sondern die Persönlichkeit, Werte und Ziele des Patienten sowie seine zwischenmenschlichen Beziehungen in den Vordergrund stellen. Gleiches gilt für die Schematherapie. Hier geht man davon aus, dass negative Erfahrungen aus der Kindheit emotionale und zwischenmenschliche Schwierigkeiten in der Gegenwart verursachen können. Diese Schemata gilt es zu ergründen und zu lösen, was dann wiederum die psychischen Symptome lindern soll. Zu den achtsamkeitsbasierten Therapieformen zählt auch die Mindfulness-Based Cognitive Therapy (MBCT) zur Prophylaxe von Rückfällen bei Depressionen.
Aufmerksamkeit
Aufmerksamkeit/-/attention
Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.
Depression
Depression/-/depression
Phasenhaft auftretende psychische Erkrankung, deren Hauptsymptome die traurige Verstimmung sowie der Verlust von Freude, Antrieb und Interesse sind.
Therapieren in der virtuellen Realität
„Der Patient steht in einem Saal vor Publikum, auf dem Tisch neben ihm ein Laptop und darauf der Vortrag, den er halten soll“, so beschreibt Daniela Schumacher eine Situation, die ein Patient mit sozialer Phobie in der virtuellen Realität (VR) erleben könnte. Die Gründerin von PsyCurio, einer Software zur Erstellung von VR für die Psychotherapie, erklärt: „Der Therapeut kann währenddessen zum Beispiel das virtuelle Publikum steuern: Er kann sie gähnen oder den Redner aufmerksam anschauen lassen.“ Die VR schafft einen sicheren Übungsraum. Der Patient weiß, dass das Erlebte nicht real ist, was die Akzeptanz erhöht, sich den Situationen zu stellen. Dass sie wirklich Angst und Stress auslösen, beweisen die parallel gemessenen physiologischen Daten, und zahlreiche Studien haben die positive Wirkung der VR bestätigt. „Die Methode gehört noch nicht zum Standardrepertoire, wir führen aber konkrete Gespräche mit den Krankenkassen bezüglich der Kostenübernahme“, so Schumacher. Die virtuellen Szenarien müssen auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten angepasst werden, um effektiv zu wirken. Den Therapeuten kann die VR übrigens nicht ersetzen, denn der überwacht den Patienten, während sich dieser in der VR aufhält.
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Pillen für die Psyche
Bei geringfügigen Störungen wie einer leichten Depression scheint die Psychotherapie laut Studienlage einer medikamentösen Therapie überlegen. Bei schweren Depressionen hingegen wirkt die Kombination aus Antidepressiva und KVT langfristig am besten.
Bei Schizophrenien und anderen Leiden, die mit Psychosen einhergehen, sind viele Patienten erst unter der Wirkung von Psychopharmaka für eine zusätzliche psychotherapeutische Behandlung bereit. „Bei Patienten, die zum Beispiel unter starken Halluzinationen und Wahnvorstellungen leiden, wäre die Psychotherapie nur eine von hundert Stimmen im Kopf“, so Mümin Tokmak, Arzt in der Neuroradiologie der Uniklinik Aachen mit langjähriger Psychiatrieerfahrung, „hier können Antipsychotika helfen, die Symptome zu lindern.“
In den Leitlinien zur Schizophrenie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) stehen denn auch Medikamente an erster Stelle. Gleich 18 verschiedene Antipsychotika werden dort genannt, und eine ähnliche Fülle von Arzneimitteln steht zum Beispiel gegen Depressionen zur Verfügung. Teils wirken sie – wie bei der Schizophrenie – unterschiedlich stark auf die verschiedenen Defizite, teils wirken sie verschieden schnell oder lange; und natürlich variieren Nebenwirkungen. Die wiederum werden bei Psychopharmaka womöglich noch intensiver diskutiert, als bei den meisten anderen Arzneimitteln. Vor allem zu Beginn einer Therapie sowie bei der individuellen Dosierung bedarf es ärztlicher Kontrolle. Wichtig ist dabei auch der Stoffwechsel des Patienten, der zum Beispiel bei Rauchern erhöht sein kann.
„Hört ein Patient plötzlich mit dem Rauchen auf, kann es zu einer Überdosis kommen, da das Medikament daraufhin viel langsamer abgebaut wird“, erklärt Tokmak. Neben den bereits genannten Antipsychotika und Antidepressiva sind Anxiolytika und Psychostimulanzien weitere Vertreter der Psychopharmaka. Aufgrund einer hohen Suchtgefahr werden die angstlösenden und beruhigenden Anxiolytika nur für eine Akutbehandlung bei massiver Beeinträchtigung verwendet. Psychostimulanzien können kurzfristig die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit steigern. Sie werden zum Beispiel bei der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) eingesetzt.
Depression
Depression/-/depression
Phasenhaft auftretende psychische Erkrankung, deren Hauptsymptome die traurige Verstimmung sowie der Verlust von Freude, Antrieb und Interesse sind.
Depression
Depression/-/depression
Phasenhaft auftretende psychische Erkrankung, deren Hauptsymptome die traurige Verstimmung sowie der Verlust von Freude, Antrieb und Interesse sind.
Psychosomatik
Psychosomatik/-/psychosomatic medicine
Die Psychosomatik untersucht die Auswirkungen von emotionalen und kognitiven Prozessen auf den Körper, insbesondere auf das subjektive Krankheitsempfinden. Hierzu zählen seelische Probleme mit physischen Folgen wie etwa Essstörungen genauso wie Hypochondrie. Nachdem Psychologen zunächst theoretische Modelle zur Erklärung psychosomatischer Phänomene herangezogen hatten, ist das Fachgebiet seit Mitte des 20. Jahrhunderts auch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Seit 2003 gibt es offiziell Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
Ist Psilocybin eine Alternative?
Auf der Suche nach wirksameren Psychopharmaka gehen manche Wissenschaftler alternative Wege. Ein neuer Hoffnungsträger ist die psychoaktive Substanz Psilocybin. Sie verändert den Bewusstseinszustand, indem sie den Zugang zu den eigenen unbewussten Gedanken und Erinnerungen erleichtert. Diese Akutwirkung dauert drei bis sechs Stunden an und wäre im Rahmen einer Therapie gut zu kontrollieren. Subakute Effekte können bis zu einem Monat anhalten. Dabei erlebt der Patient einen Zustand erhöhter und energetischer Stimmung, während negative Gefühle wie Besorgnis, Schuld und Angst reduziert bleiben. Wie dieser Effekt zustande kommt, ist noch nicht geklärt.
Wissenschaftler der Forschungsgruppe „Psychotrope Substanzen“ um Dr. Tomislav Majic, Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité, vermuten, dass die Erinnerungen an die zum Teil überwältigende Wirkung direkt nach der Einnahme von Psilocybin im Bewusstsein noch nachglühen. Studien berichten darüber hinaus, dass depressive Symptome sowie Angstzustände bis zu sechs Monate nach der Einnahme reduziert waren. „Auch nach Jahren lässt sich bei vielen Menschen noch eine veränderte Einstellung zu existenziellen Dingen des Lebens beobachten“, erklärt Dr. Majic. Nichtsdestotrotz kann Psilocybin Nebenwirkungen wie Psychosen, Angststörungen und Horrortrips auslösen. Besitz, Handel und Konsum sind in Deutschland verboten, Studien zu einem möglichen Einsatz in der Psychotherapie sind jedoch geplant. „Erste Forschungsergebnisse aus dem Ausland sind vielversprechend. Ich bin zuversichtlich, dass Psilocybin zumindest in Einzelfällen irgendwann als Medikament eingesetzt wird“, so Dr. Majic. Noch ist die Anwendung solcher Substanzen in Fachkreisen allerdings umstritten.
Zum Weiterlesen:
- Vortrag der Psychologischen Psychotherapeutin Maria Baalmann über „Die dritte Welle der Verhaltenstherapie“; URL: https://www.lwl.org/ks-download/downloads/fwb/11_2011_Vortrag_Baalmann.pdf [Stand: 30.08.2019]
- Pot-Kolder, R, Geraets, C, Veling, W, van Beilen, M, Staring, A, Gijsman, H, Delespaul, P, van der Gaag, M: Virtual-reality-based cognitive behavioural therapy versus waiting list control for paranoid ideation and social avoidance in patients with psychotic disorders: a single-blind randomised controlled trial. Lancet Psychiatry, 2018 Mar;5(3):217-226. doi: 10.1016/S2215-0366(18)30053-1
- Ross, S, Bossis, A, Guss J, Agin-Liebes, G, Malone, T, Cohen, B, Mennenga, SE, Belser, A, Kallinotzi, K, Babb, J, Su, Zhe, Corby, P, Schmidt, BL: Rapid and sustained symptom reduction following psilocybin treatment for anxiety and depression in patients with life-threatening cancer: a randomized controlled trial. Journal of Psychopharmacology, 2016 Nov, Vol. 30(12) 1165–1180. doi: 10.1177/0269881116675512