„Ich würde Hirn-Computer-Schnittstellen nutzen“
Fremdgesteuert via Hirn-Computer-Schnittstellen? Daran glaubt die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats nicht. Im Interview fordert sie aber: Bei der Weiterentwicklung der Technik muss untersucht werden, wie sich die Persönlichkeit der Nutzer ändert.
Veröffentlicht: 27.05.2014
Niveau: mittel
- Christiane Woopen, Jahrgang 1962, ist Professorin für Ethik und Theorie der Medizin an der Universität zu Köln, Direktorin von CERES (Cologne Center for Ethics, Rights, Economics, and Social Sciences of Health) und seit 2012 Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Die Medizinerin und Philosophin forscht unter anderem zu Entscheidungsprozessen im Kontext von Pränataldiagnostik sowie zu ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten der Tiefen Hirnstimulation
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Frau Woopen, zunächst eine persönliche Frage: Wenn Sie morgen einen Schlaganfall hätten und der dazu führte, dass Sie zum Locked-In-Patienten würden, also sich nicht mehr bewegen und auch nicht mehr sprechen könnten – würden Sie sich dann wünschen, eine Hirn-Computer-Schnittstelle zu bekommen, um damit Gedanken zu äußern?
Christiane Woopen: Ich würde vermutlich eine Hirn-Computer-Schnittstelle nutzen wollen, wenn sie zum Beispiel die Kommunikation mit der Umgebung erleichtert. Etwa, indem Gedanken über ein Elektroencephalogramm, kurz EEG, als Impulse an ein Gerät weitergegeben werden und so Text entsteht (Mensch-Maschine-Kommunikation – So geht’s). Die Hirn-Computer-Schnittstelle wäre dann ein Hilfsmittel, um noch so weit wie nur möglich selbstbestimmt zu sein. Ich hätte auch nicht prinzipiell etwas gegen invasive Techniken einzuwenden, also gegen eine Sonde im Gehirn – wenn es dazu dient, Kontakt zur Umgebung aufzunehmen.
Was bedeutet denn Selbstbestimmung für Sie?
Für mich ist die Möglichkeit, sprachlich zu kommunizieren, sehr wichtig. Bei manch einem Querschnitt kann man zwar Arme und Beine nicht mehr bewegen, aber noch sprechen. Beim Locked-in-Syndrom ist selbst das nicht möglich. Die Patienten kommunizieren dann, indem sie mit den Augen klimpern oder Buchstaben fixieren. Eine Hirn-Computer-Schnittstelle kann hier also ein enormer Fortschritt sein, weil ich mich dann mit Menschen ganz anders austauschen und meine Wünsche und Gedanken zum Ausdruck bringen kann.
Schlaganfall
Schlaganfall/Apoplexia cerebri/stroke
Bei einem Schlaganfall werden das Gehirn oder Teile davon zeitweilig nicht mehr richtig mit Blut versorgt. Dadurch kommt es zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff und dem Energieträger Glukose. Häufigster Auslöser des Schlafanfalls ist eine Verengung der Arterien. Zu den häufigsten Symptomen zählen plötzliche Sehstörungen, Schwindel sowie Lähmungserscheinungen. Als Langzeitfolgen können verschiedene Arten von Gefühls– und Bewegungsstörungen auftreten. In Deutschland ging 2006 jeder dritte Todesfall auf einen Schlaganfall zurück.
Auge
Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb
Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.
Ein Betroffener könnte auf diese Weise sogar kommunizieren, dass er nicht mehr leben möchte, oder?
Man kann mit dem Locked-in-Syndrom bei entsprechender Versorgung noch sehr lange Zeit überleben. Da muss es nicht um existenzielle Fragen von Leben oder Tod gehen, sondern man kann auch kommunizieren, wohin man gefahren werden möchte oder welche Musik man gerne hören möchte. So kann man daran mitwirken, etwas Gutes für sich zu tun. Das ist etwas ganz anderes, als nur stumm dazuliegen. Man kann auch geben, statt nur zu nehmen: Mit einer Hirn-Computer-Schnittstelle kann man sich zum Beispiel seinen Kindern und seinem Partner ganz anders zuwenden.
Inwiefern beschäftigt sich der Deutsche Ethikrat mit dem Thema Hirn-Computer-Schnittstellen?
Der Deutsche Ethikrat hatte 2009 eine Jahrestagung zum Thema „Der steuerbare Mensch?“, und bei der Herbsttagung 2013 ging es um „Neuroimaging – Bilder vom Gehirn und das Bild des Menschen“. Wir haben uns also schon immer mal wieder mit neurowissenschaftlichen Fragen auseinandergesetzt – aber mit Hirn-Computer-Schnittstellen im Besonderen noch nicht. Es gibt eine unglaubliche Fülle an Themen, mit denen sich der Deutsche Ethikrat beschäftigen könnte und bislang ist die Wahl auf andere Fragestellungen gefallen. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass irgendwann die technischen Entwicklungen bei den Hirn-Computer-Schnittstellen Anlass sein werden, dass sich der Deutsche Ethikrat mit dem Thema ausführlicher befassen wird – oder dass die Bundesregierung oder das Parlament einen entsprechenden Auftrag erteilen werden. Momentan stehen andere Themen im Vordergrund, zum Beispiel das Thema Hirntod und Organentnahme.
Sollte man aber nicht trotzdem schon mal anfangen, über die ethischen Dimensionen von Hirn-Computer-Schnittstellen zu reden?
Darüber zu sprechen ist zweifellos wichtig. Vieles, was vor 50 Jahren für vollkommen unmöglich gehalten wurde, ist heute für uns Alltag. Insofern darf man schon vorausdenken: Wenn man schon mit einer Technik wie der Tiefen Hirnstimulation (Mit dem Hirnschrittmacher gegen Parkinson) Signale in das Gehirn hinein und auch aus dem Gehirn heraus ableiten kann, dann ergeben sich Perspektiven für Verschaltungsprozesse, mit denen grundsätzlich auch Manipulationsmöglichkeiten entstehen können.
Wird der Mensch also tatsächlich fremdgesteuert werden können?
Auch wenn dies wie ein Science-Fiction-Szenario klingen mag: Es ist zumindest nicht undenkbar, dass durch die Verbindung von Ableitungen aus dem Gehirn und Stimulationen in das Gehirn hinein Möglichkeiten entstehen, auf Bewegungsmuster, Denkleistungen, Gefühle und Verhaltensweisen Einfluss zu nehmen. Das ähnelt im Grundprinzip der gerade schon erwähnten Tiefen Hirnstimulation. Da werden Sonden ins Gehirn gesetzt, um beispielsweise bei Menschen mit Parkinson das Zittern zu kontrollieren oder um schwere und anders nicht beherrschbare Depressionen zu behandeln. Für Neurowissenschaftler dürfte es aber vermessen klingen zu sagen, dass Hirn-Computer-Schnittstellen einen Menschen fremdsteuern können. Es ist schon bei einer Tiefen Hirnstimulation schwierig, das geeignete Zielgebiet zu identifizieren, um eine Krankheit zu beeinflussen, und dann auch noch die Sonde so zu setzen, dass eine gute Wirkung erzielt wird. Je mehr man sich mit dieser Technik auskennt, desto unwahrscheinlicher mag es einem vorkommen, dass gezielte Fremdsteuerungsprozesse auf komplexe Leistungen möglich sein könnten. Dennoch sollten wir über die ethische Dimension solcher Szenarien nachdenken.
Was vermuten Sie, was denken normale Bürger über Hirn-Computer-Schnittstellen, vor allem über solche invasiven Methoden mit Sonden im Gehirn?
Bestimmte Techniken finden wir ganz intuitiv gruselig oder abschreckend, aber sobald wir uns näher damit befassen, kommt manch einer vielleicht zu dem Schluss, dass diese Technik gar nicht so schrecklich ist. Bei der Tiefen Hirnstimulation kennen wir solche so genannten intuitiven Barrieren, zum Beispiel gegenüber einem dauerhaft im Gehirn sitzenden Fremdkörper, der andauernd elektrische Impulse abgibt. Ein solch intuitives Unbehagen ist dann aber auf den ethischen Gehalt hin zu untersuchen: Eine emotionale Abwehr ist noch nicht automatisch ein ethisches Argument, und sie lässt sich mitunter überwinden. Bei einer invasiven Hirn-Computer-Schnittstelle ist - wie bei der Tiefen Hirnstimulation - ein chirurgischer Eingriff nötig. Bei einer transkraniellen Magnetstimulation wie auch bei einer nicht-invasiven Hirn-Computer-Schnittstelle ist keine Operation nötig, so dass diese Methoden vielleicht eher akzeptiert werden. Zudem macht es durchaus einen relevanten Unterschied, ob ein „Schrittmacher“ ins Herz oder ins Gehirn eingesetzt wird. Das Gehirn ist ja ein besonderes Organ für unser Selbstverständnis, unsere Wahrnehmung, unser Selbstbewusstsein und die Kommunikation.
Depression
Depression/-/depression
Phasenhaft auftretende psychische Erkrankung, deren Hauptsymptome die traurige Verstimmung sowie der Verlust von Freude, Antrieb und Interesse sind.
Welche solcher intuitiven Barrieren oder emotionalen Abwehrreaktionen spielen noch eine Rolle, wenn wir uns früher oder später überlegen, ob Sie oder ich nach einem schweren Unfall selbst eine Hirn-Computer-Schnittstelle haben möchten oder brauchen?
Es kommt noch eine intuitive Barriere hinzu, die es bei der Tiefen Hirnstimulation nicht gibt: Der Vorgang ist nicht mehr nur auf den eigenen Körper beschränkt. Ethisch relevant wird hier in besonderen Maße eine immer wiederkehrende Frage: Ersetzt diese Art technischer Vermittlung eine fehlende oder gestörte Funktion, die natürlicherweise im Normalfall vorhanden ist – oder wird eine Funktion ergänzt, über die der Mensch als Mitglied seiner Gattung üblicherweise gar nicht verfügt? Wird also etwas zu medizinisch-therapeutischen Zwecken eingesetzt oder zur Leistungsverbesserung oder gar zur Übersteigung? Das ist etwas anderes als die ohnehin bei jeder Intervention zu stellende Frage, ob die Aussicht auf einen Nutzen größer ist als die Wahrscheinlichkeit für einen Schaden, der damit produziert werden kann. Und damit kommen wir zu einer spannenden Frage, die sich im Zusammenhang mit Neurowissenschaften immer wieder stellt: Was für ein Verhältnis hat der Mensch zu sich selbst; wie will er sich gestalten?
Sie meinen also, dass manch einer vielleicht sogar mit Hilfe von Hirn-Computer-Schnittstellen ein fremdgesteuerter Soldat werden möchte?
Solche Menschen mag es ja vielleicht geben. Meine Hauptfrage richtet sich jedoch auf den Einfluss von Technisierung auf die Authentizität und die Identität des Menschen. Deswegen finde ich es auch wichtig, dass man bei der Weiterentwicklung von Hirn-Computer-Schnittstellen immer begleitend untersucht, was ihr Einsatz mit der Identität des Menschen macht, wie sich die Persönlichkeit oder die sozialen Beziehungen verändern. Technische Eingriffe können das Denken und Fühlen verändern und damit auch biografische Entwicklungen. Wenn man also feststellt, dass Hirn-Computer-Schnittstellen bestimmte Wirkungen dieser Art haben, muss man die Betroffenen von vorne herein angemessen beraten und dann auch begleiten.
Frau Woopen, herzlichen Dank für das Gespräch!
Emotionen
Emotionen/-/emotions
Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.
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