Vom Käfer in der Schachtel, den noch keiner gesehen hat
Wo ist das Bewusstsein in unserem Gehirn zu finden? Und wer ist näher dran, es zu finden – die Hirnforscher, wie aus den durchaus bedeutenden Beiträgen zum Verständnis dieses rätselhaften Phänomens zu lesen ist, oder doch die Philosophie? Klar ist inzwischen: Mit der Identifizierung von synchronen Signalströmen quer durch das Gehirn scheint man einem wesentlichen Prozess, der unserer evolutionär geprägten Bewusstheit zugrunde liegt, auf den Fersen zu sein. Und dennoch ist es angesichts der methodischen Grenzen unwahrscheinlich, dass die Kognitionsforschung das Geheimnis im Alleingang lüftet.
Veröffentlicht: 24.02.2015
Niveau: schwer
- Bewusstsein wird heute als Klasse von Prozessen betrachtet, die für den Organismus eine Funktion besitzen und im Rahmen der Evolution entstanden. Eine naturwissenschaftliche Theorie des Bewusstseins ist im Entstehen.
- An diesen Prozessen sind viele Hirnregionen beteiligt, große Mengen von Neuronen müssen flexibel koordiniert werden. Synchronisation könnte dies leisten und damit eine entscheidende Rolle für die Entstehung von Bewusstsein spielen.
- Eine umfassende Theorie kann wahrscheinlich nicht allein von den Neurowissenschaften erarbeitet werden, andere Forschungsansätze müssen einbezogen werden.
- Oft hört man die Ansicht, zum kognitiven System gehöre der gesamte Körper. Einige Forscher beziehen gar Umweltkontexte mit ein. Akzeptiert man dies, kann Bewusstsein nicht einfach mit dem Vorhandensein bestimmter Hirnzustände gleichgesetzt werden.
- Ein weiteres Problem stellen die „Qualia“ dar: subjektive Erlebnisqualitäten. Es könnte daher subjektive Aspekte von Bewusstsein geben, die eine naturwissenschaftliche Theorie nicht abbilden kann.
Der Autor studierte Medizin und Philosophie unter anderem in München und Frankfurt. Bis 2000 war er am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt tätig und leitete dort fünf Jahre als Heisenberg-Stipendiat der DFG eine Nachwuchsgruppe. Im Jahre 2002 wurde er auf den Lehrstuhl für Neurophysiologie an das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf berufen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die neuronalen Mechanismen von Wahrnehmung, Handlung, Aufmerksamkeit und Bewusstsein.
Aufmerksamkeit
Aufmerksamkeit/-/attention
Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.
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In den Bereichen der Wissenschaft, die sich mit Wahrnehmung und Bewusstsein beschäftigen, verschieben sich gegenwärtig die Fronten. Klassischerweise als Gegenstand von Geistes– und Sozialwissenschaften betrachtet, wecken mentale Prozesse zunehmend das Interesse der Naturwissenschaftler. Im Bereich der Kognitionswissenschaft (einem interdisziplinären Verbund aus Hirnforschung, Kognitionspsychologie, Philosophie, Neuroinformatik und Künstliche-Intelligenz-Forschung) gelten Denken, Vorstellen, Fühlen und bewusstes Erleben heute als empirisch erforschbar und naturwissenschaftlich erklärbar.
In den klassischen philosophischen Systemen der Neuzeit wurde das Problem des Bewusstseins mit größtem Respekt behandelt. Seit Descartes galt Bewusstsein als das charakteristische Merkmal der menschlichen Natur schlechthin. Aufgrund der vorherrschenden dualistischen Intuitionen glaubte man, dass Bewusstsein – wie Geistiges ganz allgemein – jeder naturwissenschaftlichen Erklärung unzugänglich sei. Die heute nicht mehr völlig utopisch erscheinende Idee, dass künstliche, vom Menschen konstruierte Systeme eines Tages auch eine für die Zuschreibung von Bewusstsein hinreichende Komplexität erreichen könnten, wäre als absurd empfunden worden.
Selbst bei den materialistisch denkenden Urvätern der modernen Medizin wurden Bewusstsein und subjektives Erleben daher als naturwissenschaftlich unerklärbar ausgeklammert. Bekanntes Beispiel hierfür ist Emil Du Bois-Reymond, Mediziner und Mitbegründer der modernen Elektrophysiologie, der diese Auffassung in einem 1872 gehaltenen Vortrag über die Grenzen der naturwissenschaftlichen Erkenntnis vertrat. Bewusstsein, so argumentierte er, sei nie vollständig aus seinen materiellen Bedingungen erklärbar. Seinen Vortrag schloss er mit einem lateinischen Wort: „Ignorabimus“ – „wir werden es nicht wissen“.
Die heutigen Vertreter der Kognitionswissenschaft beurteilen die Lage wesentlich optimistischer. Sie stufen Bewusstsein und die ihm assoziierten Phänomene als wissenschaftlich relevanten Erkenntnisgegenstand und als prinzipiell empirisch erklärbar ein. Dieser Überzeugung folgend, entschloss sich vor recht genau 20 Jahren eine Gruppe von Psychologen, Philosophen und Neurowissenschaftlern, eine internationale Fachgesellschaft zur wissenschaftlichen Erforschung des Bewusstseins – die „ASSC“ – zu gründen, die inzwischen jährlich große Konferenzen veranstaltet und sehr erfolgreich arbeitet.
Anfang der 1990er Jahre formulierten der Nobelpreisträger Francis Crick und der Neuroinformatiker Christof Koch in einer gemeinsamen Arbeit sehr pointiert den Standpunkt, dass den Neurowissenschaften bei der Erforschung des Bewusstseins ein Primat zukomme – nur die Hirnforschung sei langfristig in der Lage, wirklich überzeugende Erklärungsansätze zu liefern. Solche Äußerungen aus der Hirnforschung hatten naturgemäß eine provozierende Wirkung in anderen Wissenschaftsbereichen, die die Fortschritte der Hirnforschung seitdem mit einiger Skepsis beobachten.
Wie lässt sich nun – 25 Jahre später – diese Ankündigung von Crick und Koch bewerten? Wie erfolgreich ist die Hirnforschung in diesem Bereich? Und kann sie die prinzipiellen Hindernisse, von denen Du Bois-Reymond sprach, aus dem Weg räumen?
Die seit den frühen neunziger Jahren entwickelten Ideen unterscheiden sich grundlegend von klassischen Anschauungen. Bewusstsein wird nun als eine Klasse von Prozessen betrachtet, die eine Funktion für die mit ihm ausgestatteten Organismen besitzen und im Rahmen der biologischen Evolution entstehen. Darüber hinaus werden Geist und Bewusstsein nun nicht mehr als Leistungen aufgefasst, die den Menschen von anderen Lebewesen fundamental unterscheiden, sondern es wird zunehmend die evolutionäre Kontinuität betont. Der wichtigste Unterschied besteht aber darin, dass nun nach den biologischen Wurzeln mentaler Vorgänge gesucht wird und sich damit eine naturwissenschaftliche Theorie des Bewusstseins zu entwickeln beginnt.
Eine sehr erfolgreiche Strategie der Kognitionswissenschaft besteht darin, Bewusstsein in verschiedene Teilfunktionen zu zerlegen – diese können dann gezielt untersucht werden. Es besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass für das Auftreten von Bewusstsein bestimmte Teilfunktionen vorhanden sein müssen. Beispielsweise ist für Bewusstsein ein gewisser Grad an Wachheit erforderlich – das Gehirn muss ein hinreichendes Aktivierungsniveau aufweisen und darf sich nicht im Tiefschlaf oder anderen Zuständen geringer Aktivierbarkeit befinden.
Da bewusste geistige Zustände meist einen strukturierten Inhalt haben, muss es zudem Prozesse geben, die von den Sinnesorganen gelieferte Informationen in gestalthafte Kontexte einbetten und mit Bedeutung versehen. Ohne eine solche Strukturierung bliebe unsere Wahrnehmungswelt eine Anhäufung bedeutungsloser Farbflecken, Geräusche und Gerüche, ein unübersichtlicher Wirrwarr von Sinneseindrücken – dem vergleichbar, was man beim Blick in ein Kaleidoskop sieht.
Ferner ist für Bewusstsein eine Selektion von Inhalten erforderlich: Zum Beispiel muss eine Auswahl besonders relevanter sensorischer Daten stattfinden. Schon unsere Alltagserfahrung lehrt, dass nicht alle Signale, die aus der Umwelt auf uns einströmen, das Bewusstsein erreichen. Diese Selektion, die unter anderem durch Aufmerksamkeitsprozesse vermittelt wird, führt dazu, dass bestimmte Teilmengen von Signalen besonders effizient im Gehirn weiterverbreitet und analysiert werden. Die bewusste Verarbeitung weniger relevanter Informationen wird dagegen blockiert.
Des Weiteren ist für das Auftreten bewusster mentaler Zustände wahrscheinlich ein funktionierendes Arbeitsgedächtnis unabdingbar, das die Kurzzeitspeicherung von Erlebnisinhalten ermöglicht. Schließlich postulieren viele Bewusstseinstheorien, dass auch Motivation und Emotionen entscheidende Beiträge zur Entstehung von Bewusstsein liefern.
Bei der Untersuchung dieser Teilfunktionen waren die Neurowissenschaften in den vergangenen Jahrzehnten außerordentlich erfolgreich. Aufgrund des rapiden Fortschritts in der Entwicklung zellbiologischer, neurophysiologischer und bildgebender Methoden kennen wir heute recht gut die Struktur und Arbeitsweise der Hirnbereiche, die für Wachheit, sensorische Verarbeitung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Emotionen sowie weitere für Bewusstsein wesentliche Funktionen zuständig sind. Weniger verstanden ist derzeit allerdings noch, wie all diese Teilfunktionen ineinandergreifen, um zum Gesamtprozess des Bewusstseins beizutragen.
In der Tat rückt in der Hirnforschung zunehmend die Annahme in den Mittelpunkt, dass Bewusstsein als ein integrativer Prozess betrachtet werden muss. An den Prozessen, die zum Bewusstsein beitragen, sind sehr viele verschiedene Hirnregionen beteiligt. Offensichtlich muss eine enorme Anzahl von Nervenzellen, die sich in diesen Regionen befinden, in flexibler Weise koordiniert werden. Da die beteiligten Areale teilweise weit auseinanderliegen, sind großräumige funktionelle Kopplungen für die Kooperation der Neurone erforderlich. Diese dynamische Koordination muss erklärt werden, um zu verstehen, wie gestalthaft organisierte Wahrnehmungseindrücke und letztlich auch die Einheit des Bewusstseins zustande kommen.
Auch in dieser Frage hat die Hirnforschung substantielle Fortschritte vorzuweisen. Inzwischen wissen wir, dass eine zeitliche Synchronisation der Aktivitäten verschiedener Nervenzellen dazu dient, diese zu effektiv kooperierenden „Teams“ zusammenzuschließen. Sehr wahrscheinlich ist ein gemeinsamer Rhythmus in der Aktivität der Nervenzellen die Ursache für die ganzheitliche Natur unserer Wahrnehmungseindrücke.
Crick und Koch waren die ersten, die vorschlugen, dass die Synchronisation von Nervenzellen eine entscheidende Rolle für die Entstehung von Bewusstsein spielen könnte. Sie postulierten einen engen Zusammenhang zwischen der Synchronisation und dem Beitrag, den neuronale Signale zum Bewusstsein liefern. Ihrer Hypothese zufolge sollten nur die Signale von hinreichend synchronisierten neuronalen „Teams“ genügend Durchschlagskraft besitzen, um über den Weg des Arbeitsgedächtnisses das Bewusstsein zu erreichen. Mittlerweile deuten eine ganze Reihe von Forschungsarbeiten darauf hin, dass Crick und Koch mit ihrer Vermutung möglicherweise richtig lagen.
Mit Hilfe von Elektro– (EEG) oder Magnetoenzephalographie (MEG) kann man bei Versuchspersonen neuronale Synchronisationsprozesse untersuchen, die im Zusammenhang mit Bewusstsein auftreten. Äußerst aufschlussreich sind hierfür Experimente mit mehrdeutigen Reizen. Dies sind Stimuli, die zwei verschiedene Interpretationen zulassen, obwohl sie sich selbst nicht verändern – wie etwa der „Necker-Würfel“, der zweidimensional gezeichnet ist, von uns aber als dreidimensional aus unterschiedlichen Perspektiven wahrgenommen wird. Trotz immer gleichen Reizmusters ereignet sich hier ein „Kippen“ der Wahrnehmung und ein Wechsel im aktuellen Inhalt des Bewusstseins. In aktuellen Studien ist es gelungen, gezielt Veränderungen der neuronalen Synchronisation bei solchen Reizen zu ermitteln und diese bestimmten Teilnetzwerken der Hirnrinde zuzuordnen.
Die funktionelle Bedeutung dieser spezifischen Synchronisationsmuster wird durch Versuche untermauert, die neuronale Synchronisation zu beeinflussen und so Veränderungen im Inhalt des Bewusstseins herbeizuführen. Dies kann man beispielsweise durch Neurostimulation mit fokalen elektrischen Wechselfeldern erreichen, die durch Elektroden auf der Kopfhaut appliziert werden. Kürzlich ist es mit diesem Ansatz erstmals gelungen, die Synchronisation zwischen unterschiedlichen Hirnarealen zu modulieren und hierdurch die Wahrnehmung eines mehrdeutigen Reizes zu verändern.
Während spezifische Synchronisation offenbar dem Aufbau bewusster mentaler Zustände dient, wird das Bewusstsein durch unspezifische und übermäßig synchrone neuronale Rhythmen blockiert. Dies konnte in Studien gezeigt werden, die Synchronisation der Nervenzellen unter Narkose analysieren. So hat sich etwa herausgestellt, dass einige häufig verwendete Narkosemittel in weiten Teilen der Hirnrinde zu einer unspezifischen und abnorm starken Synchronisation führt. Sehr wahrscheinlich verhindert dies, dass sensorische Signale gezielt im Gehirn weitergeleitet werden können. Auf diese Weise wird die bewusste Wahrnehmung blockiert – einer der intendierten Haupteffekte der Narkose.
Diese und viele weitere Ergebnisse machen es sehr wahrscheinlich, dass spezifische Synchronisationsprozesse relevant für die Entstehung von Bewusstsein sind. Die neuronale Synchronisation ist offenbar geeignet, um präzise abgestimmte Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Hirnbereichen zu vermitteln. Durch den kurzzeitigen Aufbau von systemweiter „Resonanz“ könnte möglicherweise so etwas wie ein globaler „Arbeitsraum“ entstehen, dessen Zustände die Basis für unser Bewusstsein bilden.
Diese neuen Ergebnisse der Hirnforschung und die rasche Expansion des hier entstehenden Wissens werfen die Frage nach der Reichweite der neurowissenschaftlichen Erklärungsansätze auf. Kann die Hirnforschung Bewusstsein, Selbst und Subjektivität vollständig erklären? Neuronale Prozesse sind ohne Frage für die Entstehung und Strukturierung von Bewusstsein essentiell. Aber sind für die Erklärung von Bewusstsein ausschließlich neurowissenschaftliche Ansätze relevant? Oder müssen für eine umfassende Theorie andere Forschungsansätze mit einbezogen werden?
Gegen ein rein neurowissenschaftliches Forschungsprogramm kann eingewendet werden, dass kognitive Prozesse nicht ausschließlich durch Bezug auf die subpersonale Ebene adäquat beschrieben werden können. Die Tatsache, dass kognitive Akte von Personen vollzogen werden, wird in der Neurowissenschaft oft übersehen, die gerne davon spricht, dass das Gehirn Objekte „erkenne“ und das Sehsystem Szenen „interpretiere“. Es ist eingewendet worden, dass dies einen unzulässigen Sprachgebrauch darstellt, der durch Kategorienfehler Pseudolösungen vortäuscht. Nicht das Gehirn ist „bewusst“, sondern das ganze kognitive System.
Dies führt zu der Frage, wie kognitive Systeme als Träger von Bewusstsein überhaupt definiert werden sollten. Inzwischen wird oft die Ansicht vertreten, dass zu einem kognitive System auch der gesamte Körper gehört, und nicht nur das Nervensystem. Diese Annahme scheint sinnvoll, weil die körperliche Verfasstheit eines Organismus (sein „Embodiment“), die bestimmte sensomotorische Fähigkeiten und Perspektiven und bestimmte Umweltinteraktionen mit sich bringt, in entscheidender Weise das kognitive Innenleben mitbestimmt. Akzeptiert man diese Überlegung, dann könnte Bewusstsein nicht einfach mit dem Vorhandensein bestimmter Hirnzustände gleichgesetzt werden.
Manche Wissenschaftler – wie die beiden Philosophen Andy Clark und David Chalmers – gehen hier sogar noch einen Schritt weiter. In ihrer Theorie des „erweiterten Geistes“ („extended mind“) beziehen sie auch Umweltkontexte in die Definition des kognitiven Systems mit ein. Nach ihrer Auffassung können Gehirn, Körper und lokale Umwelt nur gemeinsam und in ihrer wechselseitigen Kopplung als „Vehikel“ von Bewusstsein betrachtet werden. Für die Erklärung von Bewusstsein können Zustände von Körper und Umwelt ihrer Meinung nach prinzipiell die gleiche Relevanz besitzen wie Hirnzustände. Rein neurowissenschaftliche Erklärungsansätze würden also notwendigerweise zu kurz greifen.
Ein weiterer vieldiskutierter Einwand gegen den neurowissenschaftlichen Ansatz bezieht sich auf das Problem der „Qualia“ – der subjektiven Erlebnisqualitäten. Es scheint hier eine fundamentale Erklärungslücke zu geben: Nur aus der Kenntnis der Hirnzustände, die einen Schmerz begleiten, kann man nicht entnehmen, wie Schmerz sich anfühlt. Das Problem scheint aus einer unüberbrückbaren Kluft zwischen dem Objektiven und dem Subjektiven zu resultieren, aus einer mangelnden Übersetzbarkeit der Erlebnisperspektive der ersten Person in die Dritte-Person-Perspektive, mit der die Wissenschaft zwangsläufig operiert. Es könnte also irreduzibel subjektive Merkmale von Bewusstsein geben, die eine naturwissenschaftliche Theorie nicht abbilden kann. Dieses Problem würde sich allerdings nicht nur für neurowissenschaftliche Erklärungsversuche stellen, sondern für jede empirisch orientierte Bewusstseinstheorie.
Ob die Hirnforschung hier an eine prinzipielle Grenze stößt, hängt vor allem davon ab, wie man den Begriff der Qualia genau festlegt. Ein entscheidendes Merkmal von Qualia, so wird oft diskutiert, liegt in deren Privatheit – die subjektiven Qualitäten von Erlebnissen sind nur der Person bekannt, die diese Erlebnisse gerade hat. Die strikte Privatheit der Qualia kann jedoch mit guten philosophischen Argumenten bestritten werden. Eines der berühmtesten formulierte der Philosoph Ludwig Wittgenstein, der Qualia mit einem Käfer in einer Schachtel verglich, die jeder von uns mit sich führt. Wenn man sich nun niemals diese „Käfer“ gegenseitig zeigt – so Wittgenstein – ist es irrelevant, ob sich überhaupt etwas in den Schachteln befindet. Nach seiner Ansicht kann es kein sinnvolles Konzept des Bewusstseins geben, das von einer völligen Privatheit der Qualia ausgeht.
Wie immer es um die Lösbarkeit des Qualia-Problems stehen mag – tatsächlich legen bereits die anderen genannten Argumente die Vermutung nahe, dass die Hirnforschung alleine keine vollständige Theorie des Bewusstseins liefern kann. Die Neurowissenschaft untersucht wichtige strukturelle und funktionelle Komponenten von Bewusstsein, dennoch müssen hier andere Beschreibungsebenen mit einbezogen werden. Die neurobiologische Analyse muss rückgebunden bleiben an eine Beschreibung der Dynamik des „erweiterten kognitiven Systems“ in seiner Gesamtheit. Dies impliziert, dass die Neurowissenschaft keine Erklärung des Mentalen im Alleingang liefern kann, sondern die Kooperation mit anderen Wissenschaften suchen muss. Hegemonialansprüche der Hirnforschung gegenüber den Geistes– und Sozialwissenschaften wären hier kaum zu rechtfertigen.
Aus den hier angestellten Betrachtungen folgt nach Meinung des Autors jedoch keineswegs, dass Bewusstsein und Subjektivität sich wissenschaftlicher Theoriebildung grundsätzlich entzögen. Die methodischen und inhaltlichen Fortschritte der Kognitionswissenschaft lassen erwarten, dass es nicht beim „Ignorabimus“ bleiben wird. Bei der Mehrzahl der Forschenden verliert die von Du Bois-Reymond formulierte Intuition an Boden, dass es eine unüberwindbare Erklärungslücke zwischen dem Mentalen und dem Physischen gebe. Wenn Bewusstsein nichts Ungreifbar-Metaphysisches, sondern eine Klasse empirisch erforschbarer Phänomene darstellt, dann könnte es sein, dass die Wissenschaft langfristig seine Mechanismen aufklären und es – zumindest teilweise – sogar in künstlichen Systemen implementieren kann.
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Wahrnehmung
Wahrnehmung/Perceptio/perception
Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.
Arbeitsgedächtnis
Arbeitsgedächtnis/-/working memory
Eine Form des Kurzzeitgedächtnisses. Es beinhaltet gerade aufgenommene Informationen und die Gedanken darüber, also Gedächtnisinhalte aus dem Langzeitgedächtnis, die mit den neuen Informationen in Verbindung gebracht werden. Das Konzept beinhaltet nach Alan Baddeley eine zentrale Exekutive, eine phonologische Schleife und ein visuell-räumliches Notizbuch.
Motivation
Motivation/-/motivation
Ein Motiv ist ein Beweggrund. Wird dieser wirksam, spürt das Lebewesen Motivation – es strebt danach, sein Bedürfnis zu befriedigen. Zum Beispiel nach Nahrung, Schutz oder Fortpflanzung.
Emotionen
Emotionen/-/emotions
Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Arbeitsgedächtnis
Arbeitsgedächtnis/-/working memory
Eine Form des Kurzzeitgedächtnisses. Es beinhaltet gerade aufgenommene Informationen und die Gedanken darüber, also Gedächtnisinhalte aus dem Langzeitgedächtnis, die mit den neuen Informationen in Verbindung gebracht werden. Das Konzept beinhaltet nach Alan Baddeley eine zentrale Exekutive, eine phonologische Schleife und ein visuell-räumliches Notizbuch.
EEG
Elektroencephalogramm/-/electroencephalography
Bei dem Elektroencephalogramm, kurz EEG handelt es sich um eine Aufzeichnung der elektrischen Aktivität des Gehirns (Hirnströme). Die Hirnströme werden an der Kopfoberfläche oder mittels implantierter Elektroden im Gehirn selbst gemessen. Die Zeitauflösung liegt im Millisekundenbereich, die räumliche Auflösung ist hingegen sehr schlecht. Entdecker der elektrischen Hirnwellen bzw. des EEG ist der Neurologe Hans Berger (1873−1941) aus Jena.
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.
Dieser Artikel erschien erstmals am 7.01.2015 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als Teil der Vortragsreihe „Hirnforschung, was kannst du? — Potenziale und Grenzen“ von Gemeinnütziger Hertie-Stiftung und FAZ.
Hier sehen Sie das Video zum Vortrag Kann die Hirnforschung das Bewusstsein erklären?
zum Weiterlesen:
- Engel, AK., Singer, W.:Temporal binding and the neural correlates of sensory awareness. Trends in Cognitive Sciences, 2001.
- Engel, AK., Maye, A., Kurthen, M., König, P.: Where‘s the action? The pragmatic turn in cognitive science. Trends in Cognitive Sciences, 2013.(Weiter)
- Crick, F., Koch, C.:Towards a neurobiological theory of consciousness. Seminars in the Neurosciences, 1990.
- O’Regan, K., Noe, A.: What is it like to see: A sensorimotor theory of perceptual experience. Synthese, 2001.
- Clark, A., Chalmers, D.: The extended mind. Analysis, 1998.
- Wittgenstein, L.: Philosophische Untersuchungen, Frankfurt 1953.