Frage an das Gehirn
Wie schnell arbeitet das Gehirn?
Veröffentlicht: 13.03.2022
Ist die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung im Gehirn messbar?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Prof. Dr. Michael Wibral, Campus Institut Dynamik biologischer Netzwerke, Georg-August Universität Göttingen: Wie schnell das Gehirn eine einzelne Information verarbeitet, ist so nicht messbar. Das liegt zum einen an der Methodik, zum anderen an der Arbeitsweise des Gehirns.
Mit Hilfe eines Magnetenzephalographen oder eines Elektroenzephalogramms, bei dem der Proband Elektroden auf dem Kopf platziert bekommt, lassen sich zwar Signale bis zu 600 oder 1 000 Hertz messen, dies sind jedoch keine schönen, regelmäßigen Wellen. Damit jedoch von außen auf dem Kopf Wellen messbar sind, müssen viele 10 000 oder 100 000 Zellen grob die gleiche Aktivität zeigen. Die Wellen sind somit sehr große Muster, die als Epiphänomen entstehen. Sie sind ein Nebenprodukt der Hirntätigkeit, aber nicht die Hirntätigkeit selbst. Wellen selbst stehen daher nicht direkt für neuronale Information.
Man kann sich das wie in einem Ameisenhaufen vorstellen: Die Tiere bewegen sich vielleicht auch mal in Wellen, doch die Kommunikation findet zwischen den einzelnen Ameisen statt. Übertragen auf das Gehirn heißt das: Die Geschwindigkeit der Alpha-Wellen hat nichts mit der Geschwindigkeit der Kommunikation oder der Informationsverarbeitung zu tun. Zusätzlich gibt es noch sehr viele andere Frequenzen und Wellen. Das menschliche Gehirn besteht aus etwa 80 Milliarden Nervenzellen, die alle gleichzeitig arbeiten. Das heißt, statt von einer Welle muss man eher von 80 Milliarden einzelnen Kanälen im gesamten Gehirn ausgehen, die alle Informationen transportieren. Die Zellen des Gehirns schicken sich gegenseitig einzelne elektrische Impulse.
Eine einzige Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit ist nicht sinnvoll definiert. Stattdessen muss man dafür spezifizieren, ob mit Geschwindigkeit die Latenz oder Bandbreite gemeint ist: Latenz gibt die Zeit an, die beispielsweise ein optischer Reiz benötigt, um vom Auge in den visuellen Cortex zu gelangen. Diese Zeit ist messbar und beträgt beim Menschen etwa 50 oder 60 Millisekunden.
Zusätzlich kommt es jedoch darauf an, wie viele Nervenzellen Informationen parallel senden. Da im Auge sehr viele Nervenzellen sitzen, die alle gleichzeitig durch einen visuellen Reiz aktiviert werden, schicken diese gleichzeitig, also parallel, Nervenimpulse in den Cortex, die als Bits bezeichnet werden könnten. Dadurch könnten durch 100 000 Nervenzellen zu jedem Zeitpunkt etwa 100 000 Bits im Cortex ankommen. Durch eine parallele Verarbeitung kommt somit eine hohe Informationsverarbeitsfähigkeit zustande. Diese Bandbreite gibt die Informationsmenge an. Nervenzellen können diese Informationsmenge alle paar Millisekunden losschicken, so dass alle paar Millisekunden neue Information im Cortex ankommt.
Ein Bild ist hier der Transport von Informationen in Form von Dokumenten von Berlin nach Hamburg: Die Dokumente befinden sich in einem LKW, der für die Strecke etwa 4 Stunden benötigt, die Latenz. Je nachdem, wie voll der LKW bepackt ist und in welcher Form die Dokumente vorliegen, etwa USB-Speicher oder Festplatten, können in dieser Zeit trotzdem sehr viele Informationen transportiert werden. Außerdem könnte in Berlin jede Minute ein LKW auf der gleichen Autobahn losgeschickt werden. Schicken die Berliner also jede Minute einen Lastwagen mit 100TB Information los, ist die Bandbreite 100TB/Minute, bzw. 6000 TB/Stunde. Die Latenz spielt hier tatsächlich gar keine Rolle.
Für die Leitung von Informationen durch den Sehnerv zum visuellen Cortex ergibt sich folgende Rechnung: (100 000 Nervenzellen im Sehnerv)*(elektrische Reize /Sekunde für eine Nervenzelle). Dabei kommen dann zirka 1–200 000 Bit/s (1-2mBit) heraus.
Für komplexe Denkprozesse lässt sich jedoch keine zuverlässige Informationsmenge in Form von Bits pro Sekunde angeben, da hier zu viele Variablen involviert sind. Gilt es dagegen die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit als schnellstmögliche Reaktionszeit, also beispielsweise der Zeit vom Sehen eines Reizes bis zum Drücken eines Knopfes, anzugegeben, liegt diese bei etwa 300 Millisekunden.
Aufgezeichnet von Stefanie Flunkert
Auge
Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb
Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Sehnerv
Sehnerv/Nervus opticus/optic nerve
Die Axone (lange faserartige Fortsätze) der retinalen Ganglienzellen bilden den Sehnerv, der das Auge auf der Rückseite an der Papille verlässt. Er umfasst ca. eine Million Axone und hat einen Durchmesser von ca. sieben Millimetern.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.