Frage an das Gehirn
Warum sind wir im Frühjahr müde
Veröffentlicht: 27.03.2022
Ich habe den Eindruck, dass ich im Frühjahr oft besonders müde bin. Und der Volksmund spricht ja auch von Frühjahrsmüdigkeit. Was ist da dran?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Dr. Hans Günter Weeß, Leiter des Interdisziplinären Schlafzentrums am Pfalzklinikum Klingenmünster: Das Phänomen „Frühjahrsmüdigkeit“ wird kontrovers diskutiert und ist wissenschaftlich nicht gut untersucht. Auffällig – und für mich plausibel – ist, dass das Phänomen vor allem in Regionen vorkommt, in denen Licht und Wetter mit den Jahreszeiten stark variieren. Lange Tage und laue Nächte locken uns nach draußen, wir sind im Sommer in der Regel körperlich viel aktiver als während der dunklen Jahreszeit.
Im Winter fahren wir unsere Aktivität und unseren Stoffwechsel eher zurück und schlafen etwas mehr. Das liegt unter anderem daran, dass unser Körper mehr Melatonin produziert, ein Hormon, dass uns müde macht und auf die Stimmung drücken kann. Nicht umsonst spricht man vom „Winterblues“. Manche Menschen entwickeln sogar eine ernsthafte Winterdepression. Studien belegen, dass sich die Melatonin-Konzentration durch die Lichtverhältnisse beeinflussen lässt: So produzierten Personen, die abends fünf Stunden lang auf einen LED-beleuchteten Bildschirm geschaut hatten, weniger Melatonin. Sie fühlten sich wacher und schliefen anschließend später ein als Menschen, die ohne LED-Beleuchtung gelesen hatten. Wenn wir abends lange hellem Licht ausgesetzt sind, werden wir also weniger müde.
Daran muss sich der Körper im Frühjahr aber erst mal wieder gewöhnen: Er stellt weniger Melatonin und dafür mehr Serotonin her, das unsere Stimmung hebt. Solche Umstellungsprozesse kosten Energie. Wenn die Sonne scheint und es wärmer wird, gehen wir zudem wieder mehr nach draußen und bewegen uns mehr. Auch das kann müde machen – wir sind es schlicht nicht mehr gewohnt. Hinzu kommt, dass sich die Blutgefäße weiten, wenn es wärmer wird. Folglich sinkt der Blutdruck, auch das kann zu einem Gefühl der Schlappheit oder sogar Kreislaufproblemen beitragen. Auch ein Mangel an Vitamin D kann eine Rolle spielen. Viele Menschen haben über die Wintermonate zu wenig von dem Stoff, den der Körper nur mit Hilfe von Sonnenlicht bilden kann. In solchen Fällen ist die Müdigkeit aber meist kein temporäres Phänomen, sondern dauert länger an.
Weniger ausgeprägt ist die Frühjahrsmüdigkeit übrigens bei Menschen, die auch im Winter körperlich aktiv sind und sich viel im Freien aufhalten. Das ist also ein gutes Mittel, um der Müdigkeit vorzubeugen. Ist sie bereits da, empfehle ich ebenfalls viel Bewegung an der frischen Luft. Wechselwarme Duschen, Kneipp-Anwendungen und Saunagänge bringen das Herz-Kreislauf-System in Schwung und können dabei helfen, den Körper schneller umzustellen. Zudem sollte man – wie immer – auf eine gesunde, vitaminreiche Ernährung sowie genügend Schlaf achten.
Protokoll: Annika Röcker
Melatonin
Melatonin/-/melatonin
Melatonin ist ein Hormon, das bei Dunkelheit von der Zirbeldrüse im Gehirn freigesetzt wird. Die Melatoninkonzentration ist in der Nacht am höchsten und nimmt dann im Laufe des Tages ab. Damit ist es ein wichtiger Botenstoff der „inneren Uhr“ und scheint besonders an der Steuerung des Schlafes beteiligt zu sein.
Serotonin
Serotonin/-/serotonin
Ein Neurotransmitter, der bei der Informationsübertragung zwischen Neuronen an deren Synapsen als Botenstoff dient. Er wird primär in den Raphé-Kernen des Mesencephalons produziert und spielt eine maßgebliche Rolle bei Schlaf und Wachsamkeit, sowie der emotionalen Befindlichkeit.