Frage an das Gehirn

Gibt es verschiedene Lerntypen?

Fragesteller/in: Yvonne Grimmer aus Karlsruhe via Mail

Veröffentlicht: 31.01.2015

In pädagogischen Ratgebern ist manchmal von hirngerechtem Lernen die Rede. Je nachdem, ob man visuell, auditiv oder haptisch veranlagt sei, solle man entsprechend lernen. Ist da etwas dran?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Antwort von Nicole Becker, Professorin für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Freiburg:

Die Idee hinter den Lerntypen ist, dass Menschen über verschiedene Sinneskanäle unterschiedlich gut lernen. Diesem Ansatz zufolge können sich manche Menschen am besten Wissen aneignen, wenn sie eine Information visuell aufbereitet bekommen, andere etwa, wenn sie das zu Lernende hören. Oft behaupten Autoren, dass das Lerntypenkonzept durch die Erkenntnisse der modernen Hirnforschung bestätigt werde.

Tatsächlich gibt es aber bislang in der neurowissenschaftlichen Literatur keine empirischen Belege dafür, dass es einen visuellen, einen auditiven oder einen haptischen Lerntyp gibt. Denn Lernen wird grundsätzlich auf der neurobiologischen Ebene immer durch die gleichen Strukturen im Gehirn ermöglicht. Wenn jemand beispielsweise sagt, er könne sich am besten etwas merken, wenn er es aufschreibt – dann mag das zwar so sein. Aber wenn man sich deklaratives Wissen aneignet, also Wissen über Fakten erwirbt oder Vokabeln auswendig lernt, laufen bei der Gedächtnisbildung immer die gleichen neuronalen Prozesse ab: egal ob man nun die entsprechenden Informationen liest oder hört.

Der Hauptirrtum ist dabei die in vielen Ratgebern zum Lernen verbreitete Vorstellung, dass eine Information von den Sinnesorganen – je nach Lerntyp etwa vom Auge oder vom Ohr – direkt ins Langzeitgedächtnis überführt werde. Demzufolge könnte man also schon alleine durch die Sinnesorgane, über das Aufnehmen von Informationen, lernen.

Doch möchte man sich beispielsweise Faktenwissen aneignen, muss man sich leider die Mühe machen, sich mit dem Gegenstand intensiv zu beschäftigen. Darum kommt man beim Lernen nicht herum, ganz egal, auf welchem Weg man sich Wissen zu Gemüte führt. Man mag sich also etwa eine mathematische Formel, die man gesehen hat, besonders gut einprägen können. Das heißt aber noch nicht, dass man sie verstanden hat und sie anwenden kann.

Eine weitere Schwäche des Ansatzes ist: Jeder Autor teilt die Lerntypen anders ein. Der eine Autor unterscheidet vier, der andere sechs Lerntypen. Und auch die Tests zum Feststellen des Lerntyps eines Menschen zeitigen sehr unterschiedliche Ergebnisse. Ich habe solche Tests einmal mit meinen Studentinnen durchgeführt. Mal war eine Studentin der visuelle Typ. Mal war sie der haptische oder auditive Typ. Man kann solche Tests nicht mit standardisierten psychologischen Messverfahren wie Intelligenztests vergleichen, die verlässliche Ergebnisse liefern.

Was allerdings in der Psychologie recht gut untersucht ist, sind so genannte kognitive Stile, manchmal auch Lernstile genannt. Dabei geht es um individuelle Strategien, auf die Menschen zurückgreifen, um Probleme zu lösen oder mit Informationen umzugehen. Diese Stile scheint es zu geben. Bei den Lerntypen hingegen geht es um bevorzugte Wahrnehmungs– und Präsentationsweisen des Gehirns. Und für die gibt es eben keine Belege.

Für die Pädagogik heißt das: Lehrer sollten Schülern nicht nur Wissen über die Sinneskanäle vermitteln, die die Schüler vermeintlich bevorzugen. Sie sollten ihnen Wissen über alle Sinne näherbringen: also beispielsweise die Kinder zu einem Thema etwas lesen lassen, ihnen aber auch Bilder und Videos zeigen und sie selbst Experimente machen lassen.

Antwort aufgezeichnet von Christian Wolf

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Ohr

Ohr/Auris/ear

Das Ohr ist nicht nur das Organ des Hörens, sondern auch des Gleichgewichts. Unterschieden werden das äußere Ohr mit Ohrmuschel und äußerem Gehörgang, das Mittelohr mit Trommelfell und den Gehörknöchelchen sowie das eigentliche Hör– und Gleichgewichtsorgan, das Innenohr mit der Gehörschnecke (Cochlea) und den Bogengängen.

Langzeitgedächtnis

Langzeitgedächtnis/-/long-term memory

Ein relativ stabiles Gedächtnis über Ereignisse, die in der etwas entfernteren Vergangenheit passiert sind. Im Langzeitgedächtnis werden Inhalte zeitlich nahezu unbegrenzt gespeichert. Unterschiedliche Gedächtnisinhalte liegen in unterschiedlichen Gehirn-​Arealen. Die zelluläre Grundlage für diese Lernprozesse beruht auf einer verbesserten Kommunikation zwischen zwei Zellen und wird Langzeitpotentierung genannt.

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