Norbert Bischof: Ignoramus – et ignorabimus!

Veröffentlicht: 19.12.2013

Wie Geist und Materie zusammenhängen, wissen wir nicht, und werden es nie wissen. Das erklärt in einem Vortrag für den Turm der Sinne Norbert Bischof vor historischem Hintergrund und mit fundierter Kritik an Aussagen der modernen Hirnforschung.

Das Video zeigt einen Ausschnitt aus dem Vortrag „Ignoramus – et ignorabimus!“ von Prof. Norbert Bischof beim Symposium turmdersinne 2013 mit dem Thema „Bewusstsein“, veranstaltet von der gemeinnützigen turmdersinne GmbH, Programmgestaltung durch Dr. Rainer Rosenzweig und Helmut Fink. Eine DVD mit dem kompletten Vortrag ist dort verfügbar.

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Helmut Glünder 14.03.2014
Das Ich und das Übrige

Anmerkungen als offener Brief

Lieber Herr Bischof,

in Ihrem Vortrag beim Symposium „turm der sinne“ (2013) nehmen Sie zu sechs Themen oder deren Verfehlungen Stellung, die, so legt der Untertitel nahe, Ihrer Meinung nach hinsichtlich des Leib/Seele-Problems eine Rolle spielen.

Im ersten Viertel behandeln Sie die Themen „Interaktion“ und „Reflexion“. Dabei zeigen Sie unter anderem die schematische Abbildung eines Kopfes mit Hirn, beide als physisch bezeichnet, und darüber eine als psychisch charakterisierte Ebene, die die Attribute „seelisch“ und „leiblich“ enthält. Aufgrund vorangegangener Ausführungen ist anzunehmen, daß diese Ebene die Welt- und Selbsterfahrung des Individuums umfaßt oder repräsentiert, zu dem das Hirn gehört. Nun fragt sich, welche Bedeutung dem als physisch bezeichneten Hirn oder dem gesamten Körper für das Individuum zukommt, wo ihm doch allein seine in der psychischen Ebene als leiblich bezeichnete Erfahrung und Wahrnehmung zugänglich ist? – Wohl keine, und im Rahmen des Themas „Reflexion“ bezeichnen Sie die Wahrnehmungswelt dann auch als die Wirklichkeit schlechthin. Unklar bleibt dagegen, weshalb auf der psychischen Ebene zwischen seelisch und leiblich (unter Berücksichtigung von Wechselwirkungen) unterschieden wird? Nicht nur, daß psychisch und seelisch gleichbedeutend ist, sondern beides fällt auf dieser Ebene auch untrennbar im phänomenalen Ich zusammen (Glünder 2006), und zwar unabhängig davon, ob das Individuum zur (Selbst)Reflexion fähig ist. Ihrer Darstellung gemäß ist das Ich allerdings die Vorstellung der individuellen Wirklichkeit im Sinn ihrer Reflexion und nicht sie selbst. Doch würde diese Unterscheidung etwas an besagter Einheit der phänomenalen Erfahrung ändern? – Wohl kaum.

Interessanterweise spielt die Physis bei diesen Betrachtungen keine Rolle: Das von Ihnen als physisch bezeichnete Hirn oder der gesamte Körper des Individuums ist für das Ich außen vor. Auch die Körperwirklichkeit schlechthin ist, wie festgestellt, lediglich die psychische Erfahrung oder das Erleben des Leibs, nicht der physische Leib. Mithin ist das Leib/Seele-Problem vom Tisch. Es wird vielmehr durch „Fremd“-Erfahrung evoziert, und zwar überwiegend aufgrund von Wahrnehmungen der Körperlichkeit anderer aus der Außenperspektive,^1 weil deren Ich bestenfalls oberflächlich, im Grunde jedoch un-zugänglich ist.^2 Die Erfahrung fremder Körperlichkeit wird gemeinhin als physisch bezeichnet, die gelegentlich kognitiv-analytische der eigenen, im Gegensatz zur unmittelbar phänomenalen, freilich ebenfalls. Der Einheit phänomenaler Erfahrung entsprechend, bestehen von dieser jedoch keine Korrespondenzen zu den kognitiven Konstrukten „eigener physischer Leib“ bzw. „eigene Seele“, sonst wäre sie keine Einheit (Glünder 2006).

Daß die phänomenale Erfahrung keinen wesentlichen Unterschied zwischen Leib und Seele kennt, weil die unseres Leibs stets gleichbedeutend mit dem Ich, mithin der Seele, ist, würde ich als die Position des neutralen Monismus bezeichnen.^3 Dem hier skizzierten Wesen nach ist er weder eine Spielart des materiellen noch eine des rein geistigen Monismus, weil die phänomenale Erfahrung der sich örtlich-zeitlich distinkt zeigenden eigenen Leiblichkeit unerläßlich ist. Über die „letzten“ Ursachen dieser und anderer Erfahrungen sind Aussagen bekanntlich unmöglich. Außerdem sind diese Ursachen nicht zu verwechseln mit als physisch bezeichneten kognitiven Konstrukten, auf denen das vermeintliche Leib/Seele-Problem beruhen dürfte.

Ihre Ausführungen zu den weiteren vier Themen gäben ebenfalls Anlaß zu ergänzenden Kommentaren und Relativierungen, doch erscheinen sie mir hinsichtlich des Kernthemas weniger dringlich. Das heißt nicht, daß Fragen nach Bewußtsein und Willensfreiheit zweitrangig sind, doch könnten sie ebenfalls Ergebnis sein der Vermengung von Bereichen, die man tunlichst getrennt halten sollte, oder der Verwendung von Begriffen, die inadäquat oder irreführend sind (Glünder 2006). Schließlich sei festgestellt, daß ich in meinen Anmerkungen keine Kritik an Ihren Ausführungen erkenne, sondern eine geringfügige Fortführung, allerdings, wie ich meine, eine von erheblicher Bedeutung für das Leib/Seele-Problem. Meine Selbstzitate, die mir erlauben mich hier kurz zu fassen, bitte ich zu verzeihen. Zudem beanspruche ich nicht der erste zu sein, der derlei Ansichten äußert, doch sind sie mir anderswo in vergleichbar konsequenter Form bislang nicht begegnet.

Mit bestem Dank für Ihren stimulierenden Vortrag

Ihr

Helmut Glünder

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^1 Auch die Sicht des Vivisektionisten oder Operateurs ist diesbezüglich eine Außenperspektive

^2 Psychologie und Psychotherapie versuchen sich an der integralen Beurteilung fremder Ichs mit Hilfe kognitiver Mittel und wissenschaftlicher Verfahren. Ob diese dem Wesen psychischer Gehalte gerecht werden, sei dahingestellt

^3 Der von Bertrand Russell eingeführt Begriff bezeichnet auch frühere und teils recht unterschiedliche Positionen, nicht zuletzt die von ihm über die Jahre publizierten. Stubenberg (2005-2013) diskutiert u.a. das für eine Taxonomie der Positionen kritische Attribut „neutral“

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Glünder H. (2006) "Wie man das Leib/Seele-Problem zum Verschwinden bringt". Typoskript eines Beitrags zum »Dies academicus« des Bildungswerks des Verbandes der bayerischen Bezirke in Irsee (01.07.2006). Selbstverlag, München. – PDF-Datei:

Stubenberg L. (2005-2013) "Neutral monism". In: Zalta E.N. (Hrsg.) The Stanford Encyclopedia of Phi-losophy. – Text-URL:

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