Frage an das Gehirn

Kann Sport süchtig machen?

Fragesteller/in: Couch Potato via Internet

Veröffentlicht: 09.10.2013

Bewegung ist ja eigentlich gesund – doch manche Menschen scheinen kein Maß zu kennen und nehmen sogar Verletzungen in Kauf. Sind sie abhängig?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Prof. Dr. Oliver Stoll, Martin-​Luther-​Universität Halle-​Wittenberg, Institut für Kommunikation, Medien und Sport, Department Sportwissenschaft, Arbeitsbereich Sportpsychologie, Sportpädagogik und Sportsoziologie:

Das ist eine Frage, die sich nicht so einfach beantworten lässt. Dafür müssten die näheren Umstände bekannt sein: Nutzt die Person das Training zur Kompensation, also um ein Problem zu verdrängen? Bereitet sie sich auf einen Wettkampf vor? Treten Entzugserscheinungen auf?

Für einen Laien ist es kaum möglich, eine Diagnose zu stellen, und selbst Psychiater oder Psychologen haben Probleme damit. Das liegt zunächst daran, dass die klinischen Diagnosehandbücher den Begriff „Sportsucht“ gar nicht aufführen. Und obwohl das Störungsbild Forschungsgegenstand ist, gibt es dazu keine groß angelegten Studien wie etwa im Pharmabereich. Kein Wunder – Sportsucht ist äußerst selten.

Nur etwa ein bis vier Prozent der Bevölkerung leiden an der primären Sportsucht, die von keiner weiteren Erkrankung begleitet wird. In meiner gesamten Karriere habe ich gerade mal eine Handvoll Leute kennengelernt, die ich so diagnostizieren würde. Etwas häufiger ist die sekundäre Sportsucht, von der meist Frauen betroffen sind und die zusammen mit einer Essstörung auftritt. Etwa 15 bis 20 Prozent aller Bulimiker oder Magersüchtigen trainieren geradezu zwanghaft, um Kalorien zu verbrennen.

Wir haben einen Fragebogen entwickelt, der die Diagnose vereinfacht. Mit diesem Screening-​Instrument können wir zum Beispiel herausfinden, ob jemand das Fitnesscenter oder den Marathon als „Verdrängungsmittel“ oder zur Reduktion innerer Unruhe nutzt – solche Menschen könnten tatsächlich abhängig sein.

Davon zu unterscheiden sind Personen, die sich diszipliniert und fokussiert auf einen Wettkampf vorbereiten. Ich kenne Triathleten, die sich in der „heißen“ Trainingsphase sozial isolieren und ihr gesamtes Leben nach dem Sport ausrichten. Für Außenstehende ist das nicht nachvollziehbar. Trotzdem sind diese Athleten nicht sportsüchtig: Sobald der Wettkampf vorbei ist, verhalten sie sich sehr angepasst und lassen auch mal die Beine baumeln.

Wie Sportsucht entsteht. ist trotz zahlreicher Theorien noch nicht vollständig geklärt. Laut „Endorphintheorie“ schüttet der Körper beim Ausdauersport, zum Beispiel bei einem Marathon, Opioide aus, die dem Läufer ein Glücksgefühl bescheren, das so genannte „Runner’s High“.

Eine neuere Theorie ist die „transiente Hyperfrontalität“: Demnach fährt das Gehirn beim Sport die Aktivität des Präfrontalen Cortex herunter, unseres „Analyse– und Grübelareals“, um sich auf die automatisch ablaufenden Programme zu konzentrieren, die den äußerst komplexen Laufprozess steuern. Das passt zusammen mit den Flow-​Zuständen, die Läufer manchmal erleben, mit ihren Schilderungen des Verlusts von Zeit– und Raumwahrnehmung, des Verschwimmens der Grenzen zwischen Selbst und Umgebung. Ich persönlich halte diese Theorie für sehr schlüssig – doch es ist völlig unklar, ob das irgendetwas mit der Entstehung von Sportsucht zu tun hat.

Dass Sport süchtig machen kann, bedeutet natürlich nicht, dass man körperliche Aktivität meiden sollte. Ich selbst bin schon über 50 Marathons gelaufen, habe an Triathlons teilgenommen, 1988 war ich beim Ironman auf Hawaii und kann bestätigen: Sport ist vor allem gesund – für Körper und Psyche.

Aufgezeichnet von Claudia Christine Wolf

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

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