Question to the brain
Stirbt das Gehör zuletzt?
Published: 09.10.2013
„Das Gehör stirbt zuletzt“, heißt es oft. Was bekommt ein Sterbender noch mit – nur Töné oder auch die Bedeutung? Was passiert nach einem Herzstillstand? Arbeitet das Gehör noch nach dem klinischen Tod?
The editor's reply is:
Prof. Dr. med. Gerhard Schneider, Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Universität Witten/Herdecke, Helios Klinikum Wuppertal, und Sprecher des Arbeitskreises Neuroanästhesie bei der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V.:
Das Gehör dient unter anderem als Warnsystem: Wenn wir in Gefahr sind, kann uns ein Geräusch aus dem tiefen Schlaf holen, damit wir flüchten können. Das merkt man auch, wenn man jemanden sediert oder narkotisiert: Die Hör-Funktion bleibt relativ lange erhalten. Wir sprechen den Patienten zu Beginn einer Anästhesie an, dann nochmal lauter – und manchmal reagiert ein Patient dann tatsächlich noch. So wissen wir, dass wir vor der Operation die Narkose vertiefen müssen. Im klinischen Alltag reicht dieser Test auch. Aber man kann noch genauer prüfen: Dazu misst man die Hirnströme und sucht in dem EEG dann sogenannte akustisch evozierte Potenziale, kurz AEP.
Normalerweise zeigen Hirnströme eine spontane elektrische Aktivität. Evozierte Potenziale sind aber nicht spontan, sondern Reaktionen auf einen Reiz – akustisch evoziert heißt eben „durch Geräusche hervorgerufen“.
Der betäubte Patient bekommt einen Kopfhörer auf und dann wird ein akustischer Reiz vorgespielt, zum Beispiel ein Klicken. Wenn der Patient das noch hört und verarbeitet, verändern sich die Hirnströme. Aber das kann ich mit bloßem Auge nicht erkennen. Deswegen muss das Geräusch Dutzende, Hunderte Male wiederholt werden und dann werden die Hirnströme von einem Computer gemittelt. Weil die spontane elektrische Aktivität immer anders ist, geht der Mittelwert gegen Null. Dafür werden in dem EEG dann spitze Zacken und Wellen sichtbar, die in bestimmten Zeitabständen nach dem akustischen Reiz auftreten. Das sind die akustisch evozierten Potenziale. Und diese lassen sich dann bestimmten Orten zuordnen. Die frühe Komponente kommt schon nach wenigen Millisekunden und sie weist auf den Hirnstamm hin, der recht nah an den Ohren ist. Etwas später gibt es AEP-Anteile, die eher darauf deuten, dass nach und nach weitere Bereiche der Hirnrinde aktiviert sind: zuerst die Reizverarbeitung, dann die bewusste Verarbeitung der Inhalte. Wenn man solche akustisch evozierten Potenziale nicht mehr im EEG erkennt, dann hört der Mensch auch nichts mehr. Das ist bei einer Narkose so – und kann bei einem Herzstillstand passieren.
Bei einem Kreislaufstillstand, also dem „klinischen Tod“, wird das Gehirn nicht mehr mit genügend Sauerstoff versorgt und auch nicht mehr mit genügend Zucker. Dann stellen die Nervenzellen ihre Funktion ein. Die restliche Energie, die die Nervenzellen noch haben, nutzen sie, um ihr Überleben zu sichern. Und so werden komplexe Hirnfunktionen eingestellt, und man wird bewusstlos. Aber das Gehör kann noch funktionieren. Zumindest kann man etwas hören, wenn auch nicht mehr unbedingt dessen Sinn wahrnehmen. Und das auch nur für eine kurze Zeit. In dieser kurzen Zeit ist der „klinische Tod“ umkehrbar: Hier müssen die Wiederbelebungsmaßnahmen ergriffen werden. Denn nach zwei bis fünf Minuten beginnen die Nervenzellen zu sterben. Wenn man also nicht schnell erfolgreich wiederbelebt wird, dann drohen dauerhafte Hirnschäden bis hin zum Hirntod und biologischen Tod. Dabei ist das Gehör also nicht das, was zuletzt stirbt.
Aufgezeichnet von Franziska Badenschier
EEG
Elektroencephalogramm/-/electroencephalography
Bei dem Elektroencephalogramm, kurz EEG handelt es sich um eine Aufzeichnung der elektrischen Aktivität des Gehirns (Hirnströme). Die Hirnströme werden an der Kopfoberfläche oder mittels implantierter Elektroden im Gehirn selbst gemessen. Die Zeitauflösung liegt im Millisekundenbereich, die räumliche Auflösung ist hingegen sehr schlecht. Entdecker der elektrischen Hirnwellen bzw. des EEG ist der Neurologe Hans Berger (1873−1941) aus Jena.
Auge
Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb
Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.
Hirnstamm
Hirnstamm/Truncus cerebri/brainstem
Der „Stamm“ des Gehirns, an dem alle anderen Gehirnstrukturen sozusagen „aufgehängt“ sind. Er umfasst – von unten nach oben – die Medulla oblongata, die Pons und das Mesencephalon. Nach unten geht er in das Rückenmark über.
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.