Ein Schaltkreis im Gehirn, der uns den Appetit verdirbt

© MPI für biologische Intelligenz / Julia Kuhl
Spezialisierte Nervenzellen in der Amygdala werden bei Übelkeit aktiviert und übermitteln appetithemmende Signale.

Appetitlosigkeit kann mehrere Ursachen haben: Sättigung, Übelkeit oder Angst. Die Nahrungsaufnahme hintanzustellen, ist ein kluger Schachzug des Körpers, um Zeit zum Regenerieren zu gewinnen. Forschende am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz haben im Gehirn einen Schaltkreis identifiziert, der bei Übelkeit Mäuse vom Fressen abhält. Die zentrale Rolle spielen spezielle Nervenzellen in der Amygdala – eine wichtige Hirnregion, wenn Emotionen im Spiel sind. Die Zellen werden bei Übelkeit aktiviert und übermitteln appetithemmende Signale. Das zeigt, welch komplexer Regulation das Essverhalten unterliegt: Appetitlosigkeit bei Übelkeit wird über andere Schaltkreise gesteuert als bei Sättigung.

Quelle: Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz

Veröffentlicht: 28.03.2024

Eine bevorstehende Prüfung, eine Schiffsfahrt auf hoher See oder der nächste Kita-Keim haben alle etwas gemeinsam: Sie können uns ziemlich auf den Magen schlagen. Denn Stress, die Reisekrankheit oder bestimmte Infektionen führen mitunter auch dazu, dass uns übel wird. Eigentlich logisch, dass wir in solchen Situationen erst einmal nichts essen und abwarten, bis sich die Lage bessert. Und so gehen Übelkeit und Appetitlosigkeit meist Hand in Hand. Oder war Ihnen schon mal schlecht und gleichzeitig hatten Sie richtig Lust zu essen?

Was logisch erscheint, ist ein gesunder Schutzmechanismus unseres Körpers. Doch dieser muss erst einmal aktiviert werden. Dass das Gehirn dabei eine zentrale Rolle spielt, liegt auf der Hand: Es ist die Schaltzentrale für den Energiehaushalt des Körpers und regelt das Essverhalten.

Wie verhindert also das Gehirn, dass wir essen, wenn uns schlecht ist? Forschende in der Abteilung von Rüdiger Klein haben dazu in Mäusen neue Erkenntnisse geliefert. Sie konzentrierten sich auf eine Gehirnregion, die bei Emotionen auch rund ums Essen mitwirkt: die Amygdala. Dort befinden sich Nervenzellen, die das Essen fördern und solche, die den Appetit zügeln. Ein bekannter, hemmender Zelltyp wird zum Beispiel bei Sättigung aktiviert – doch wie das ganze bei Übelkeit aussieht, war bisher nur unzureichend geklärt.

Wenyu Ding, Erstautorin der neuen Studie, entdeckte in der Amygdala nun eine weitere Zellgruppe mit negativem Einfluss auf den Appetit. Anders als bei dem bereits bekannten Zelltyp werden diese Zellen nicht bei Sättigung, sondern durch Übelkeit aktiviert. Schalteten die Forschenden die Zellen künstlich an, hörten selbst hungrige Mäuse auf zu essen. Im Gegenzug führte das Ausschalten der Zellen dazu, dass die Mäuse sogar aßen, wenn ihnen übel war.

Um besser zu verstehen, wie dieser Zelltyp seine appetithemmende Funktion ausübt, analysierten die Forschenden den dazugehörigen Schaltkreis: von wo erhalten die Zellen ihre Informationen und wohin erstrecken sich ihre Ausläufer? So ergab sich folgendes Bild: Ist der Maus schlecht, erreicht diese Information das Gehirn und schließlich die Amygdala. Dort wird der neue Zelltyp aktiviert und sendet seine hemmenden Signale in weit entfernte Gehirnregionen, unter anderem den sogenannten parabrachialen Nucleus, eine Hirnstammregion, wo viele Informationen über den aktuellen Zustand des Körpers zusammenlaufen.

Dies steht im Gegensatz zu dem Schaltkreis des zuvor bekannten Zelltyps, der hauptsächlich benachbarte Zellen innerhalb der Amygdala ansteuert. Damit wird klar: Appetitlosigkeit bei Sättigung ist nicht gleich Appetitlosigkeit bei Übelkeit. Im Gehirn sind dafür unterschiedliche Zellen und Schaltkreise verantwortlich – eine komplizierte Sache also und vielleicht ein kleiner Trost, wenn uns das nächste Mal schlecht ist.

Vor allem aber liefert die neue Studie wichtige Erkenntnisse, wie das Essverhalten im Gehirn und speziell in der Amygdala reguliert wird. Das ist die Voraussetzung, um zukünftig die zahlreichen Krankheiten in Verbindung mit fehlgeleitetem Essverhalten im Menschen besser zu verstehen.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt.

Originalpublikation

Wenyu Ding, Helena Weltzien, Christian Peters, Ruediger Klein; Nausea-induced suppression of feeding is mediated by central amygdala Dlk1-expressing neurons; Cell Reports, online March 27, 2024
DOI

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