Der Gesichtsversteher
Ein halbes Jahrhundert lang hat Paul Ekman Gefühle und ihren Ausdruck analysiert – und die Emotionsforschung entscheidend geprägt. Als menschlicher Lügendetektor ist er auch fernab der Wissenschaft populär geworden. Jetzt sucht er das Glück.
Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Frank Schneider
Veröffentlicht: 31.08.2011
Niveau: mittel
- Paul Ekman, 1934 geboren, ist einer der einflussreichsten Emotionsforscher des 20. Jahrhunderts.
- Er entdeckte sechs Basisemotionen, die universell gefühlt und erkannt werden, und studierte die Mikromimik von Menschen, feinste Gesichtsregungen, die unbewusst Gefühle transportieren.
- Mit dem Facial Action Coding System (FACS) entwickelte Ekman ein Programm, das anhand kleinster Muskelbewegungen Gesichtsausdrücke dechiffrieren und Emotionen zuordnen soll.
- Das jüngste Projekt des emeritierten Wissenschaftlers: Der Weg zu einem besseren Leben durch emotionale Achtsamkeit – in Zusammenarbeit mit dem Dalai Lama.
Emotionen
Emotionen/-/emotions
Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.
AU 1 – 6 – 45 – 12: So sieht ein typischer Gesichtsausdruck von Paul Ekman aus, wenn er ansetzt, eine Frage zu beantworten. In Worten: Heben der inneren Augenbrauen, starkes Anheben der Wangen, Blinzeln, die Mundwinkel ziehen nach oben. Übersetzt heißt das: Ekman schaut leicht amüsiert drein. AU, das steht für Action Units, für insgesamt 44 verschiedene kleine Bewegungseinheiten im Gesicht, bestehend aus einzelnen oder mehreren Muskelbewegungen. Der Psychologe Paul Ekman hat sie erfasst und daraus das Facial Action Coding System (FACS) entwickelt, mit dem sich tausende Gesichtsausdrücke beschreiben lassen. Das FACS hat Paul Ekman weltweit bekannt gemacht.
Betrachtet man Videoaufnahmen von Ekman, etwa bei einem Vortrag vor Psychologie-Studenten, erlebt man einen unaufgeregten Mann mit grauen Haaren und bunt gemustertem Hemd. Einen Mann, der mit der typisch amerikanischen Lockerheit und einer kräftigen Prise Humor von komplexen wissenschaftlichen Zusammenhängen erzählt. Er wirkt sehr umgänglich. Doch sein Lebensweg zeigt, dass er auch über ein gewisses Maß an Sturheit verfügen muss. Sonst wäre er nicht zu dem geworden, der er heute ist.
„Ich fühlte mich verpflichtet, die Welt zu verbessern.“
Ekman, 1934 geboren, wächst in Newark in New Jersey, in Washington und Südkalifornien auf. Seine Eltern gehen mit ihm in die Oper, zu Hause läuft Tschaikowsky. Der Vater, ein Arzt bei der US-Army, sitzt noch spätabends am Küchentisch und liest die neuesten Fachveröffentlichungen. Diese Leidenschaft für die Arbeit geht auch Paul in Fleisch und Blut über. Doch noch stärker prägen ihn die Schattenseiten seiner Kindheit: Ekmans Vater ist gewalttätig, neigt zu Wutausbrüchen. Seine Mutter begeht Selbstmord, als Paul 14 Jahre alt ist. Der Junge kämpft mit Schuldgefühlen und mit dem Hass auf seinen Vater, den er für ihren Selbstmord verantwortlich macht. Er rebelliert gegen die Lehrer, fliegt von der High School.
Dann aber kommt die Wende. Mit 15 Jahren besteht Paul Ekman die Zulassungsprüfung für Psychologie an der Universität Chicago. Er beschäftigt sich intensiv mit Freud, beschließt, Therapeut zu werden. „Ich fühlte mich verpflichtet, die Welt zu verbessern, Gutes zu tun. Und ich dachte, Psychotherapie sei der Weg, die Probleme in der Welt zu lösen. Das dachte ich wirklich“, erzählt er in einem Interview mit Harry Kreisler von der University of California in Berkeley – und zeigt dabei wieder den oben erwähnten Gesichtsausdruck.
Er beobachtet Psychotherapie-Sitzungen und stellt fest, wie viele Informationen dabei nonverbal geäußert werden, durch Körperbewegungen und Gesichtsausdrücke. Diesem Thema widmete er seine Masterarbeit 1955 und seine erste Publikation 1957. Es sollte ihn über seine gesamte Karriere nicht mehr loslassen – und ihn von der Psychotherapie fort und in die Forschung führen.
Gesichter-Lesen in Papua-Neuguinea
Nachdem er 1960 am Langley Porter Neuropsychiatric Institute der University of California eine Post-Doc-Stelle erhalten hat, beginnt Ekman, sich intensiver mit emotionalen Gesichtsausdrücken zu beschäftigen und entwickelt dort bereits nach wenigen Jahren eine These, die ihm den wissenschaftlichen Durchbruch bringen soll: Dass es Gefühle gibt, die nicht kulturell bedingt, sondern genetisch sind.
Die Idee hierzu kommt Ekman, als er stundenlang Videoaufnahmen von Ur-Völkern betrachtet – und ihn kein einziger Gesichtsausdruck erstaunt. „Meine Kollegen dachten, ich sei verrückt und mein Ansatz lachhaft“, erinnert er sich in „Bild der Wissenschaft“: Ekmans These steht im Gegensatz zur damals verbreiteten Lehrmeinung. Dennoch ist der junge Wissenschaftler wild entschlossen, seine These zu verifizieren. 1967 setzt er sich in ein Flugzeug gen Neuguinea, mischt sich – aufgeregt und ängstlich, wie er später schreibt – unter den völlig isoliert lebenden Stamm der Fore.
Er studiert ihre Mimik und lässt sie auf Fotos Gesichtsausdrücke von Menschen anderer Herkunft einschätzen. Und entdeckt so, dass es bestimmte Gefühle gibt, die alle Völker in gleicher Weise zum Ausdruck bringen und erkennen: Freude, Ärger, Ekel, Angst, Trauer und Überraschung, die so genannten Basisemotionen. (Globale Mimik) Wäre ihm der Beweis nicht geglückt, wäre Ekmans Karriere im Keim erstickt. So aber vergeht seinen Kollegen das Lachen – und Paul Ekman wird zu einem der bekanntesten Emotionswissenschaftler der Welt.
Emotionen
Emotionen/-/emotions
Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.
Gen
Gen/-/gene
Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.
Mimik
Mimik/-/facial expression
Fünf Muskelgruppen kontrollieren die sichtbaren Bewegungen an unserer Gesichtsoberfläche – und das gilt für alle Menschen auf der Welt. Aus diesem Grund hinterlassen die Basisemotionen Angst, Wut, Ekel, Trauer, Überraschung und Freude überall ähnliche Spuren im Gesicht, die wir in der Regel auch bei Fremden zuverlässig identifizieren können. Neurowissenschaftler vermuten, dass diese Fähigkeit dadurch zustande kommt, dass wir unbewusst den Gesichtsausdruck unseres Gegenübers nachahmen.
Basisemotionen
Basisemotionen/-/basic emotions
Einige Forscher sind der Meinung, dass alle Emotionen sich aus einigen wenigen Basisemotionen zusammensetzen lassen. Diese werden auch als Primäremotionen bezeichnet. Hierzu zählen Furcht, Wut, Freude, Trauer, Vertrauen, Ekel, Überraschung und Neugierde. Primäremotionen treten infolge eines Ereignisses sehr rasch auf. Ebeno rasch können sie wieder verschwinden und komplexeren Sekundäremotionen Platz machen.
Das Facial Action Coding System
Nach seiner Rückkehr aus Neuguinea entwickelt Ekman das Facial Action Coding System. Er fotografiert Gesichtsausdrücke, stellt sie – notfalls mit Hilfe von Akupunkturnadeln – im eigenen Gesicht nach und entdeckt dabei überrascht, dass manche Gefühle erst durch den Gesichtsausdruck entstehen. Er beobachtet feinste Gesichtsbewegungen, die so genannte Mikromimik, die oft schneller als ein Wimpernschlag über das Gesicht flackert und kodiert die dabei ablaufenden Muskelaktivitäten. Über rund 10.000 verschiedene Gesichtsausdrücke verfügt der Mensch, doch Ekman will nur jene dechiffrieren, die Emotionen transportieren. Fast acht Jahre braucht er für diese Sisyphusarbeit. Seine Forschung wird immer wieder von National Institute of Mental Health unterstützt. 1978 veröffentlicht er das FACS.
Dieses Bestimmungsbuch der Gefühle wird rasch bekannt, vor allem unter Psychologen, denen es hilft, die Gemütslage von Patienten anhand ihrer Gesichtsausdrücke zu deuten, subjektive Eindrücke objektiv zu beschreiben und sie dadurch besser zu behandeln. Doch Ekman will seine Methoden auch außerhalb der Forschungswelt bekannt machen: Er schreibt populärwissenschaftliche Bücher, er entwickelt ein Trainingsprogramm, das das Erkennen von Gefühlen schult – und erhält Anfragen und Aufträge aus höchst unterschiedlichen Branchen: Von Trickfilmstudios, die ihren Animationsfiguren mit authentischen Gesichtsausdrücken Leben verleihen wollen – Ekmans Wissen wird etwa bei der Produktion des ersten komplett computeranimierten Kinofilms “Toy Story“ genutzt. Von plastischen Chirurgen, die wissen wollen, wie sie die Haut straffen können, ohne Muskeln zu schädigen. Und von Sicherheitsdiensten wie FBI und CIA, die mit Hilfe von Ekmans Erkenntnissen Kriminelle und Terroristen dingfest machen wollen.
Emotionen
Emotionen/-/emotions
Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.
Empfohlene Artikel
Ruhm und Kritik
Ekman erlangt Berühmtheit: Das Times Magazine wählt ihn 2009 zu den einhundert einflussreichsten Menschen der Welt, die American Psychological Association zu den einhundert bedeutendsten Psychologen des 20. Jahrhunderts. Sein Leben wurde sogar zur Vorlage für eine Serie: für „Lie to me“, in der der Psychologe Dr. Cal Lightman erfolgreich Lügner enttarnt – Ekman, der selbst oft als „menschlicher Lügendetektor“ bezeichnet wird, hat am Set beraten. Er selbst relativiert seine Fähigkeiten: Zwar könne er die Gefühle seines Gegenübers erkennen, nicht aber ihre Ursachen – geschweige denn Gedanken lesen.
Die Aktivitäten des umtriebigen Psychologen stoßen allerdings auch auf Kritik: Weil er Flughafenpersonal in der Wahrnehmung der Mikroexpressionen von Passagieren schult, damit sie auffällige Passagiere am Flughafen heraussuchen können, klagen Menschenrechtsorganisationen über mögliche Diskriminierung. Kollegen aus der Wissenschaft bezweifeln in einem Nature-News-Artikel aus dem Jahr 2010 sogar, dass das Konzept in der Praxis funktioniert. Zudem habe Ekman seit Jahrzehnten keine seiner Studien per Peer-Review überprüfen lassen.
Ekman hält dagegen, dass die Arbeit der Gerechtigkeit diene: „Ich will vor Fehlurteilen schützen, verhindern, dass schuldige Personen freikommen und unschuldige Menschen inhaftiert werden“, betont er im Interview mit Harry Kreisler. Außerdem würden Peer-Review-Artikel auch von Wissenschaftlern in Syrien oder Iran verfolgt – Länder, welche die USA als potentielle Bedrohung ansähen.
Wahrnehmung
Wahrnehmung/Perceptio/perception
Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.
Mikroexpressionen
Mikroexpressionen/-/microexpressions
Mikroexpressionen sind Gesichtsausdrücke, die nur wenige Sekundenbruchteile andauern. Sie können nicht bewusst gesteuert werden und werden von anderen nur selten bewusst wahrgenommen.
Im Ruhestand auf neue Wege
Inzwischen ist Ekman 77 Jahre alt, seit 2004 ist er emeritiert. Doch zur Ruhe gesetzt hat er sich noch lange nicht. Über seine Firma, die Paul Ekman Group, bietet er international Schulungen zur Gesichtserkennung an. Und er hat eine neue Suche begonnen – nach einer Antwort auf die Frage, wie Menschen zu einem glücklicheren Leben gelangen können.
Diese Suche hat Ekman zu einem ungewöhnlichen Gesprächspartner geführt: Zum Dalai Lama. Insgesamt 40 Stunden haben sich der spirituelle, buddhistische Führer und der amerikanische, nicht-religiöse Wissenschaftler unterhalten. Als „Wendepunkt in meinem Leben“ bezeichnet Ekman gegenüber Kreisler rückblickend diese Begegnung. Aus einer asiatisch-buddhistischen und aus einer westlich-wissenschaftlichen Perspektive haben sie darüber gesprochen, wie sich Menschen ihrer eigenen Gefühle bewusster werden können – was beide als Schlüssel für ein besseres Leben ansehen.