Tierisch bewusst
Trauernde Kühe, plaudernde Papageien und zweifelnde Delfine – Tiere sind keine tumben Wesen. Doch verfügen sie wirklich über Bewusstsein und wenn ja, in welchem Maße? Neurowissenschaftler suchen nach Antworten auf eine philosophische Frage.
Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Gerhard Roth
Veröffentlicht: 27.08.2013
Niveau: mittel
- Tiere können nicht darüber berichten, was sie bewusst erleben und ob sie sich selbst erkennen. Sprachfähigkeit darf aber nicht das einzige Kriterium für Bewusstsein sein.
- Wer im Spiegel einen Fleck im Gesicht entdeckt und am eigenen Körper wegwischt, erkennt sich selbst. Doch der „Rouge-Test“ hat Grenzen: Rhesusaffen reagieren nur nach gravierenden Veränderungen auf ihr Spiegelbild. Farbkleckse lassen sie kalt.
- Beim Menschen gelten weitläufige Gehirnaktivitäten und unsynchronisierte, schnelle elektrische Signale im thalamocortikalen System als Signatur für Bewusstsein.
- Bewusstes Erleben geht außerdem mit einem zweigeteilten Aktivitätsmuster einher: Nach einem optischen Reiz reagiert zunächst der visuelle und mit etwas Verzögerung der präfrontale Cortex Dieses Muster lässt sich auch bei Babys nachweisen – und könnte ein Kriterium für Bewusstsein bei Tieren sein.
Präfrontaler Cortex
Präfrontaler Cortex/-/prefrontal cortex
Der vordere Teil des Frontallappens, kurz PFC ist ein wichtiges Integrationszentrum des Cortex (Großhirnrinde): Hier laufen sensorische Informationen zusammen, werden entsprechende Reaktionen entworfen und Emotionen reguliert. Der PFC gilt als Sitz der exekutiven Funktionen (die das eigene Verhalten unter Berücksichtigung der Bedingungen der Umwelt steuern) und des Arbeitsgedächtnisses. Auch spielt er bei der Bewertung des Schmerzreizes eine entscheidende Rolle.
Das eigene Können einzuschätzen, erfordert ein hohes Maß an Selbstreflexion: Es gilt dafür, über sich selbst und seine Fähigkeiten nachzudenken und diese in einen größeren Kontext einzuordnen. Lange Zeit dachte man, diese so genannte Metakognition sei allein Menschen vorbehalten. 2003 allerdings zeigten Wissenschaftler um John David Smith von der Universität Buffalo, dass zumindest Rhesusaffen und Delfine durchaus wissen, wo die Grenzen ihrer eigenen Fähigkeiten sind.
Die Forscher ließen ihre Versuchstiere eine Reihe von Wahrnehmungs- und Gedächtnistests mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad absolvieren. Gelang ihnen die Aufgabe, wartete eine Belohnung. Scheiterten sie dagegen, mussten sie zur Strafe eine Weile aussetzen, und die nächste Belohnung ließ auf sich warten. Die frustrierende Warteschleife ließ sich aber umgehen, indem die Tiere die Aufgabe verweigerten.
Schnell hatten sowohl Affen als auch Delfine den Bogen raus und ließen die Aufgabe aus, wenn sie sich nicht sicher waren, ob sie sie lösen konnten. Demnach waren sie in der Lage, ihre eigenen Fähigkeiten zu beurteilen – und somit auch in gewissem Maße, über sich selbst nachzudenken. Tauben und Ratten gelang diese Art der Selbsteinschätzung in den Experimenten der US-Forscher übrigens nicht (zum Abstract).
Es ist eine verbotene Liebe. Joey ist nur Dritter in der Rangfolge seiner Affenhorde – Sex steht ihm nicht zu. Doch das hält ihn nicht davon ab, sich heimlich mit der Affendame Honey zu vergnügen. Die beiden Stummelschwanzmakaken kommen zur Sache und Joey zum Höhepunkt. Doch als er anhebt, seinem Vergnügen in typischer Makakenmanier mit lustvollem Grunzen Ausdruck zu verleihen, dreht sich Honey um und schaut Joey drohend an, woraufhin dieser sofort verstummt.
Ein paar Tage später treffen die beiden sich zu einem erneuten Liebesabenteuer. Diesmal droht Honey schon vor Joeys erstem Grunzer und hält ihm außerdem die Hand vor den Mund. Joey hat offensichtlich verstanden und genießt schweigend. Es scheint, als hätte die Makakendame Sorge, bei ihrem verbotenen Treiben entdeckt zu werden, wie der Primatenforscher Frans de Waal in seinem Buch „Peacemaking among Primates“ schreibt. Und als hätte Joey ihre Warnung verstanden und sich ihrem kleinen Geheimnis zuliebe zurückgenommen. Wer möchte den beiden absprechen, sich ihrer selbst und ihres Handelns bewusst zu sein?
Der Krake als Orakel
Ein anderes Beispiel: Erinnern Sie sich an Krake Paul, den Vertreter der Gattung Octopus vulgaris, der im Sommer 2010 bei der Fußball-WM so zuverlässig den Ausgang der Spiele vorhersagte? Ob er wusste, dass er als Fußball-Orakel fungierte? Wohl kaum. Doch klar ist: Allein die Miesmuscheln aus den geschlossenen Plastikboxen zu angeln, ist eine beachtliche Leistung für ein Weichtier. Und tatsächlich gelten Kraken als ausgesprochen intelligent (zur Artikel). Sie besitzen ein sehr komplexes Nervensystem und eine erstaunliche Wahrnehmungs-, Problemlösungs– und Lernfähigkeit. Die unterschiedlichen Arten öffnen beispielsweise Schraubdeckelgläser, bauen Schutzhütten und nutzen sogar Werkzeug. Doch besitzen die Mollusken mit Saugnäpfen deswegen auch Bewusstsein?
Schimpansen, die schauen, bevor sie die Straße überqueren; Graupapageien, die der Situation entsprechende Bemerkungen in den Raum schleudern; Kühe, die trauern, wenn ihr Kalb gestorben ist; Krähen, die Zusammenhänge erkennen – und: Im Jahr 2005 stellten amerikanische Wissenschaftler sogar fest, dass Delfine und Rhesusaffen sich im Klaren darüber sind, wenn sie die Lösung für eine gestellte Aufgabe nicht kennen (siehe Kasten „Ich weiß, dass ich nichts weiß“). Beispiele dafür, dass Tiere nicht nur tumbe Biester sind, gibt es zuhauf. Doch wo hören Nachahmung und Instinkt auf? Wo fängt bewusstes Handeln an? Und könnte das eine oder andere Tier vielleicht sogar ein Ich-Bewusstsein besitzen?
Sprache darf nicht das einzige Kriterium sein
Die Hauptschwierigkeit bei der Beantwortung dieser Fragen ist das Fehlen von Sprache. Tiere berichten uns nicht, wie sie sich und ihre Umwelt erleben. „Das darf aber nicht als einziges Kriterium für die Existenz von Bewusstsein gelten“, sagt Anil Seth, Neurowissenschaftler an der University of Sussex, Großbritannien. Sprache und Selbstreflexion gelten als Kennzeichen eines „höheren“ Bewusstseins. Doch für einfachere bewusste Erfahrungen – optische Eindrücke, Gerüche oder Schmerz – werden sie nicht gebraucht. Auch sind menschliche Babys nicht in der Lage, sich sprachlich auszudrücken. „Dennoch würden wir ihnen das Bewusstsein nicht absprechen wollen“, argumentiert Seth. Wie aber lässt sich dann ein Bild vom (Un-)Bewusstsein anderer Lebewesen machen? Als Gold-Standard galt bislang der Rouge-Test: Ein Farbklecks im Antlitz soll dabei die Wahrheit ans Licht bringen. Ein Lebewesen, das den Fleck im Spiegel entdeckt und aus seinem eigenen Gesicht wegwischt, hat sich selbst erkannt, muss sich seiner selbst also bewusst sein. Menschenkindern gelingt das etwa im Alter von zwei Jahren (Erkenne dich selbst – im Spiegel).
Und auch Schimpansen, Delfine und Elefanten bestehen die Prüfung. Rhesusaffen dagegen scheitern – zumindest in der klassischen Variante des Tests. 2010 beobachteten Forscher um Luis Populin von der University of Wisconsin-Madison Erstaunliches: Sie hatten fünf Versuchstieren für elektrophysiologische Untersuchungen Elektroden ins Gehirn implantiert. Als die Tiere nach der OP wieder in ihrem Käfig waren, begutachteten sie ihre Wunden ausgiebig in einem Spiegel, der am Gitter hing. Dabei berührten sie die betreffenden Stellen –am eigenen Körper, nicht im Spiegel. Ihre Artgenossen ohne Implantat ignorierten dagegen den Spiegel. Demnach sind sich Rhesusaffen ihrer selbst durchaus bewusst – das eigene Spiegelbild wird für die Tiere jedoch erst durch eine massive Veränderung interessant. Ein Farbklecks im Gesicht scheint zu wenig relevant, um darauf zu reagieren.
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Kleckstest mit Grenzen
Diese Beobachtung wirft auch ein völlig neues Licht auf andere Testversager. Hunde und Katzen zum Beispiel lässt das eigene Spiegelbild nach anfänglichem Interesse schnell kalt. Doch bedeutet das zwingend, dass sie sich nicht erkennen? Vielleicht ist das eigene Spiegelbild für die Tiere schlicht nicht interessant? „Hunde und Katzen lassen echte Artgenossen niemals unbeachtet“, gibt der Magdeburger Neurowissenschaftler Henning Scheich zu bedenken. Die Spiegelbilder repräsentieren für sie demnach keine Artgenossen, denn dann wäre das Verhalten anders. „Damit wäre nicht entscheidbar, ob sie sich im Spiegelbild wiedererkennen oder nicht.“ Bei anderen Tieren scheint die Interpretation des Tests klarer: Viele Fische und Vögel attackieren ihr Spiegelbild oder balzen es an. Für sie repräsentiert die Reflexion demnach einen Artgenossen.
Verhaltenstests erlauben demnach nur bedingt eine Aussage über das Bewusstsein anderer Lebewesen. Besser wäre es, die Signatur des Bewusstseins direkt im Gehirn zu suchen.
In diesem Sinne erstellte Anil Seth gemeinsam mit den Bewusstseinsforschern Bernard Baars und David B. Edelmann vom Neurosciences Institute in San Diego, USA, 2003 eine Liste mit 17 Kriterien für Bewusstsein bei Menschen und anderen Säugetieren. Zentral sind dabei charakteristische Aktivitätsmuster im Gehirn, die nur im Zusammenhang mit bewussten Zuständen und bewusstem Erleben auftreten. So geht bewusste Wahrnehmung mit einer weitläufigen Gehirnaktivität einher, während unbewusste Reize – etwa unter Narkose – sich nur als sehr lokale Aktivierung bemerkbar machen. Der Kriterienkatalog, so die Überzeugung der Wissenschaftler, kann als Werkzeug dienen, um zu überprüfen, ob eine bestimmte Tierart bewusst erlebt – oder eben nicht.
Wahrnehmung
Wahrnehmung/Perceptio/perception
Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.
Bewusstseinsspuren im Gehirn
„Die verlässlichste Signatur für Bewusstsein beim Menschen ist eine schnelle, unsynchronisierte elektrische Aktivität im thalamocortikalen System“, sagt Seth. „Wenn wir die funktionelle Entsprechung bei anderen Tieren finden, würde das ein Bewusstsein nahelegen – beweiskräftig wäre es aber nicht.“
Ein anderes Charakteristikum ist ein typisches zweigeteiltes Aktivitätsmuster als Antwort auf einen Reiz. Wird etwa ein visueller Reiz präsentiert, so reagiert der visuelle Cortex umgehend. Etwa 300 Millisekunden später wird auch der präfrontale Cortex aktiv. Diese zweite Aktivität muss eine bestimmte Schwelle überschreiten, damit der Reiz bewusst wahrgenommen wird.
Solche Aktivitätsmuster lassen sich bereits bei Babys beobachten, wie jüngst ein Forscherteam um Sid Kouider vom Centre national de la recherché scientifique (CNRS) in Paris im Fachmagazin Science schrieben. Mit Hilfe der Elektroenzephalografie (EEG) erfassten sie die Hirnaktivitäten von 80 Babys im Alter von 5, 12 und 15 Monaten, während sie ihren kleinen Probanden in schneller Abfolge Bilder zeigten. Die meisten Bilder bestanden nur aus Ovalen mit zufälligen Mustern, doch dazwischen blendeten die Forscher auch Gesichter ein. Auf diese reagierten die Babygehirne mit dem zweigeteilten Aktivitätsmuster – wenn auch die zweite Aktivität, die für bewusstes Wahrnehmen steht, gegenüber Erwachsenen zeitlich verzögert auftrat. Die Hirnfunktionen, die für bewusstes Wahrnehmen benötigt werden, müssen demnach erst langsam ausreifen.
Das Interessante an Kouiders Experiment: Die Methode könnte sich auch dazu eignen, nach bewusster Wahrnehmung im Tiergehirn zu fahnden, so die Überzeugung der französischen Forscher. Anil Seth wagt derweil schon mal eine ganz persönliche Prognose: „Ich würde vermuten, dass alle Säugetiere eine Form von Bewusstsein besitzen und zumindest einige andere Tiere, wie zum Beispiel manche Vögel.“ Schwieriger verhalte es sich mit dem Kraken. „Ich würde ihm gerne Bewusstsein zuschreiben, aber es gibt so wenig Beweise“, sagt der britische Forscher. „Ich denke, der Octopus ist eher ein Mahnmal dafür, wie viel wir noch nicht wissen.“
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.
Präfrontaler Cortex
Präfrontaler Cortex/-/prefrontal cortex
Der vordere Teil des Frontallappens, kurz PFC ist ein wichtiges Integrationszentrum des Cortex (Großhirnrinde): Hier laufen sensorische Informationen zusammen, werden entsprechende Reaktionen entworfen und Emotionen reguliert. Der PFC gilt als Sitz der exekutiven Funktionen (die das eigene Verhalten unter Berücksichtigung der Bedingungen der Umwelt steuern) und des Arbeitsgedächtnisses. Auch spielt er bei der Bewertung des Schmerzreizes eine entscheidende Rolle.
EEG
Elektroencephalogramm/-/electroencephalography
Bei dem Elektroencephalogramm, kurz EEG handelt es sich um eine Aufzeichnung der elektrischen Aktivität des Gehirns (Hirnströme). Die Hirnströme werden an der Kopfoberfläche oder mittels implantierter Elektroden im Gehirn selbst gemessen. Die Zeitauflösung liegt im Millisekundenbereich, die räumliche Auflösung ist hingegen sehr schlecht. Entdecker der elektrischen Hirnwellen bzw. des EEG ist der Neurologe Hans Berger (1873−1941) aus Jena.
Wahrnehmung
Wahrnehmung/Perceptio/perception
Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.
zum Weiterlesen:
- Kouider S et al: A neural marker of perceptual consciousness in infants. Science 2013 Apd 19;340(6130):376 – 80 (zum Abstract).
- Roth, Gerhard: The Long Evolution of Brains and Minds. Dordrecht 2013.
- Scheich, Henning: Bewusstseinsfrage bei Tieren. Eine Analyse aus neurobiologischer Sicht. Forschung & Lehre, 6/2005, S.294 – 296 (zum Text).
- Seth, AK et al: Criteria for conciousness in humans and other mamals. Conscious Cogn 2005 Mar;14(1):119 – 39 (zum Abstract).