Frage an das Gehirn
Pandemie durch Prionen?
Veröffentlicht: 13.06.2017
Wie groß ist die Gefahr, dass infektiöse Eiweiße ähnlich dem BSE-Erreger heute über die Nahrungskette verbreitet werden und eine Pandemie verursachen?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Antwort von PD Dr. Michael Beekes, Robert-Koch-Institut: Die Gefahr, dass von eiweißartigen Erregern – von Prionen – eine Pandemie ausgelöst werden könnte, sehe ich im Moment nicht. Bislang wurde von Prionen noch nie eine Pandemie ausgelöst, schon gar nicht im Menschen. Es gab allerdings eine BSE-Epidemie, die vor allem das Vereinigte Königreich betraf. Menschen, die sich durch die Aufnahme von BSE-Erregern aus der Nahrung infiziert haben, erkrankten im Mittel etwa 10 bis 15 Jahre später an der varianten Creutzfeld-Jakob-Krankheit (vCJK). Da waren die Fallzahlen aber deutlich kleiner als bei der BSE. Zum Vergleich: Man ging von knapp 180.000 BSE-erkrankten Rindern in Großbritannien aus. Ungefähr zwei Millionen BSE-infizierte Rinder sollen in die Nahrungskette gelangt sein. Und im Ergebnis hiervon sind bis jetzt 178 Menschen im Vereinigten Königreich an der vCJK erkrankt und weltweit 229.
Die meisten Fälle liegen inzwischen Jahre zurück. Die klassische BSE ist in Deutschland zuletzt 2009 vorgekommen. Bei der vCJK beim Menschen sieht das Bild auch recht beruhigend aus. Da ist die Mehrzahl der Fälle bis 2011 aufgetreten. 2013 und 2016 gab es jeweils noch eine Neuerkrankung im Vereinigten Königreich. Die Kurve der Erkrankungen klingt seit einigen Jahren also stark ab.
Bei Scrapie, einer anderen Prionenkrankheit, die in Schafen und Ziegen vorkommt, sind keine direkten Infektionsrisiken für den Menschen zu erkennen. Dann gibt es noch die Chronic Wasting Disease (CWD), eine Prionenkrankheit bei Hirschartigen, die in den USA und Kanada z.B. bei Weißwedelhirschen und Maultierhirschen bekannt ist. Diese Krankheit ist vor Kurzem auch in Europa aufgetaucht, bei drei Rentieren und zwei Elchen in Norwegen. Weil diese Krankheit zwischen den Tieren sehr ansteckend ist, will man dort die betroffene Rentier-Population völlig eliminieren. Über 2000 Tiere sollen abgeschossen werden. Bisher gibt es allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass Menschen sich über den Verzehr von CWD-infizierten Tieren anstecken können. Die Studien dazu sind aber noch nicht alle abgeschlossen.
Gegen die Übertragung von Prionen über die Nahrung hat man im Zuge der BSE-Krise verschiedene Schutzmaßnahmen ergriffen. Die haben offenbar sehr gut funktioniert, um die Infektionsketten zu unterbrechen. Die BSE-Krise konnte sich nur ereignen, weil sich eine sehr große Anzahl von Rindern unerkannt mit BSE infiziert hatte und zu Futtermitteln verarbeitet worden war. Die Vermehrung der Erreger in der Rinderpopulation erfolgte hauptsächlich über Futtermehle aus Rinderkadavern, die Prionen enthielten. Solche Tiermehle dürfen inzwischen nicht mehr an Wiederkäuer verfüttert werden. Und da Gehirn und Rückenmark bei befallenen Individuen besonders viele Prionen enthalten, dürfen diese Gewebe überhaupt nicht mehr zur Herstellung von Nahrungs- oder Futtermitteln verwendet werden. Ältere Rinder werden ab einem Alter von acht Jahren zudem auf BSE getestet. Findet man Prionen im Hirnstamm, gelangt so ein Tier nicht in die Nahrungskette sondern wird entsorgt.
Prionen können auch durch Blut, Blutprodukte oder chirurgische Instrumente zwischen Menschen übertragen werden. Für chirurgische Instrumente hat man inzwischen Reinigungs-, Desinfektions- und Sterilisationsmethoden entwickelt, die das weitgehend ausschließen. Und Blutspender, die zum Zeitpunkt der BSE-Krise zwischen 1980 und 1996 insgesamt länger als sechs Monate im Vereinigten Königreich gelebt haben, werden von der Blutspende ausgeschlossen. Außerdem werden Leukozyten aus Spenderblut entfernt, da Prionen sich, wenn sie denn vorhanden sind, zu einem großen Teil auf diesen Zellen konzentrieren.
Kurzum, alle denkbaren Übertragungswege von Tieren auf Menschen und von Mensch zu Mensch sind sehr sorgfältig betrachtet, analysiert und ausgeschlossen worden, soweit das machbar ist, und daher erkenne ich derzeit keine akute Gefahr für um sich greifende Prioninfektionen.
Es könnte allerdings sein, dass noch eine zweite Welle von vCJK auf uns zukommt, die auf die ursprünglichen BSE-Infektionen zurückgeht. Vom normalen Prionprotein, das bei einer Infektion mit krankhaften Prionen seine Raumstruktur verändert und selbst zum Prion wird, gibt es beim Menschen unterschiedliche Genotypen. Bis vor kurzem waren alle vCJK-Erkrankungen bei Personen mit einem bestimmten Genotyp aufgetreten, der bei ungefähr 40 Prozent der Bevölkerung vorkommt. Es könnte sein, dass die anderen 60 Prozent immun sind – oder dass bei ihnen nur die Inkubationszeit länger ist. Kürzlich wurde zum ersten Mal von einer vCJK-Erkrankung bei einer Person mit einem anderen Prionprotein-Genotyp berichtet. Ob dies nur ein Einzelfall bleibt oder aber der erste Fall einer neuen Welle ist, wissen wir nicht.
Eine zweite Welle würde mich deshalb nicht überraschen. Sie wäre aber vermutlich in der gleichen Größenordnung wie die erste, also im Bereich einiger hundert Fälle. Wir haben großes Glück gehabt, dass es offenbar eine hohe biologische Schutzschranke gegen die Übertragung zwischen Tier und Mensch gibt, die verhindert hat, dass bei mehr als zwei Millionen infizierten Rindern nicht viel mehr Opfer von vCJK zu beklagen sind.
aufgezeichnet von Nora Schultz
Rückenmark
Rückenmark/Medulla spinalis/spinal cord
Das Rückenmark ist der Teil des zentralen Nervensystems, das in der Wirbelsäule liegt. Es verfügt sowohl über die weiße Substanz der Nervenfasern, als auch über die graue Substanz der Zellkerne. Einfache Reflexe wie der Kniesehnenreflex werden bereits hier verarbeitet, da sensorische und motorische Neuronen direkt verschaltet sind. Das Rückenmark wird in Zervikal-, Thorakal-, Lumbal und Sakralmark unterteilt.