Frage an das Gehirn

Was ist eigentlich Cybersickness?

Fragesteller/in: SR aus Stuttgart

Veröffentlicht: 06.12.2020

Ich habe schon erlebt, dass mir in einer Computer-Simulation mit VR-Brille schwindelig wurde. Anderen wird in virtuellen Realitäten sogar richtig übel. Woran liegt das?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Professor Heinrich Bülthoff, emeritiertet Direktor des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen: Cybersickness ist ein Phänomen, das wir bei unseren Experimenten in unseren Simulatoren beobachten können. Es kann aber ebenso bei Jugendlichen auftreten, die sich bei eine Ego-Shooter-Spiel vom heimischen Schreibtisch aus durch virtuelle Welten bewegen. Betroffene empfinden Erschöpfung, Schwindel oder Übelkeit bis hin zu Erbrechen.

Einige Studien haben gezeigt, dass es sich bei Cybersickness und der Reisekrankheit um das gleiche Phänomen handelt. Wir gehen davon aus, dass bei beiden die Ursache im Prinzip in einem Konflikt zwischen zwei Sinneswahrnehmungen liegt: Wir sehen etwas anderes als unser vestibuläres System, also der Gleichgewichtssinn empfindet.

Von der Reisekrankheit sind vor allem Beifahrer betroffen – insbesondere auf den hinteren Sitzen und noch mehr, wenn sie während der Fahrt lesen, Arbeiten oder am Computer spielen. Dann fühlt der Körper eine Bewegung: Beschleunigung, Abbremsen, Kurven, sind ja alles Bewegungen, die unser vestibuläres System registriert. Was wir sehen – der Vordersitz oder die Seiten des Romans – passt aber nicht zu der wahrgenommenen Bewegung. Diese Diskrepanz verursacht wahrscheinlich die Übelkeit. Bei der Cybersickness ist es umgekehrt: Wir bewegen uns nicht, während der uns der visuelle Eindruck glauben lässt, dass wir uns fortbewegen.

Dieses Phänomen ist übrigens eine große Herausforderung für die Entwicklung autonomer Fahrzeuge. Wenn wir an in sich geschlossene Kabinen denken, die sich selbständig bewegen, während die Insassen quasi von der Außenwelt abgeschottet im Inneren Akten wälzen, besteht ein hohes Risiko für Reisekrankheit. Wir haben das mit Hilfe unserer Simulatoren untersucht und festgestellt, dass es kaum möglich ist, durch eingespielte visuelle Informationen – etwa Lichtsignale, die Fahrtsichtung und Geschwindigkeit widerspiegeln – die Reisekrankheit zu verhindern. Ich vermute, der einzige Weg wird sein, eine möglichst gute Sicht nach draußen, zu gewährleisten, insbesondere in Fahrtrichtung. Und wenn es dann von der Autobahn runter auf eine kurvige Landstraße geht, heißt es: Akten zuklappen und nach draußen schauen.

Letztlich sind aber nicht alle Menschen gleichermaßen empfindlich. Nicht jeder wird reisekrank und auch Cybersickness tritt nicht zwangsweise auf. Außerdem können wir beobachten, dass ein Gewöhnungseffekt eintritt, wenn wir uns diesen eigentlich ungewöhnlichen Situationen oft genug aussetzen. Testpiloten oder Jugendliche, die oft spielen, können die Erlebnisse in der virtuellen Realität als normal empfinden. Die Cybersickness verschwindet.

Aufgezeichnet von Stefanie Reinberger

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