Frage an das Gehirn
Warum zuckt man beim Einschlafen?
Veröffentlicht: 31.01.2021
Beim Einschlafen zucke ich manchmal plötzlich mit dem ganzen Körper zusammen. Woher kommt das? Und ist das normal?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Privatdozent Pascal Grosse, Oberarzt und Leiter der Neurologischen Schlafmedizin an der Charité in Berlin: Diese Art des Zuckens wird Einschlafmyoklonie genannt, wobei „Myoklonie“ ganz allgemein Zuckung bedeutet. Das soll rund 70–80 Prozent der Bevölkerung betreffen. Diese Zahl geht zurück auf eine Studie des englischen Psychiaters Oswald aus den 1950er Jahren. Er hat in seinem Bekanntenkreis eine entsprechende Umfrage durchgeführt. Von den 50 befragten Personen kannten nur 7 diese Zuckungen nicht. Eine ähnliche Untersuchung wurde seitdem nicht mehr durchgeführt.
Die Zuckungen treten beim Übergang vom Wachen zum Schlafen auf. E s kann passieren, dass man den Eindruck hat „ich schlafe gerade ein“ – und in dem Moment tritt ein Gefühl des Fallens ein, beziehungsweise man hat eine kurze Traumsequenz, begleitet von einem Zucken. Meist kommt ein Gefühl des Erschreckens hinzu , teilweise mit dem Gefühl von Angst, so dass die Meisten dann hellwach sind.
Dann gibt es noch eine zweite Variante: I n dieser wird der oben beschriebene Ablauf noch durch ein lautes Geräusch begleitet, also von einer akustischen Halluzination. Diese Variante ist in der Regel pathologisch. Bei Menschen mit diesem Phänomen tritt das mehrfach hintereinander in einer Nacht auf, immer in der Phase des Einschlafens. Das wird dann „Exploding Head Syndrome“ oder „Acoustic Sleep Starts“ genannt und wurde lange den Kopfschmerzen zugerechnet. Es kann 10, 15, 20 Mal hintereinander auftreten, die betroffenen Menschen schlafen erst nach Stunden ein. Diese Form ist dann behandlungsbedürftig.
Hintergrund für das Phänomen der Einschlafmyoklonien ist, dass sich das Gehirn beim Übergang vom Wachen zum Schlafen und zwischen verschiedenen Schlafstadien umorganisiert. Leichter Schlaf ist zum Beispiel etwas anderes als Tiefschlaf. Die unterschiedlichen Hirnareale arbeiten dabei jeweils unterschiedlich. Wir durchlaufen innerhalb eines Schlafzyklus immer wieder verschiedene Schlafstadien. Das alles hat zur Folge, dass der Übergang vom Wachen zum Schlafen besonders anfällig ist für diese Zuckungen.
Eine Hypothese für das Auftreten der Zuckungen könnte sein, dass diese einer Schreckreaktion entspräche und eine vergleichbare motorische Reaktion automatisch ausgelöst wird, so dass das „Hellwach-Sein“ von einer Abwehrbereitschaft begleitet wird, was dann evolutionär begründet wäre.
Eine weitere Hypothese ist, dass das Gefühl des Fallens aus dem Bereich des Gleichgewichtssystems kommt. Bewiesen ist das nicht, würde aber physiologisch betrachtet Sinn ergeben. Für die Einschlafmyoklonien relevant sind die Zuckungen, die in einem Teil des Hirnstamms entstehen, der sogenannten Formatio reticularis. Dementsprechend heißen sie „retikuläre Myoklonien“. Die dortigen Nervenzellverbände stehen im Zusammenhang mit vielen verschiedenen Funktionen einschließlich des Wachheitssystems und der Motorik. Daher gibt es die Hypothese, dass die Einschlafmyoklonien eine Verbindung über die Formatio reticularis hin zu Nervenzellen haben, die bei der Schreckreaktion beteiligt sind. Es muss auf jeden Fall über ein Hirnareal laufen, das mit ganz vielen anderen Arealen in Verbindung steht, darunter auch zum limbischen System, wo auch die Emotionen verortet sind.
Aufgezeichnet von: Anke Lorenz-Hoppe für dasgehirn.info / Stand: 20.01.2021