Kino im Kopf

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Kino im Kopf
Author: Ulrich Kraft

Bewegungen auf der Kinoleinwand wirken realistisch wie im echten Leben. Möglich wird das aber nur durch geschicktes Ausnutzen von Eigenheiten der visuellen Wahrnehmung. Was wirklich läuft, zeigt ein Blick hinter die Kulissen …

Scientific support: Prof. Werner Sommer, Prof. Dr. Michael Bach

Published: 19.09.2017

Difficulty: serious

At a glance
  • Movies use special features of the human visual system to suggest a flow of movement that isn’t there at all – since cinemas basically just show static images in swift succession, as in a slide-show.
  • The brain uses the variation between single images to calculate a trajectory and connect what is seen in a logical sequence.
  • This is caused by the stroboscope effect: the specific means by which the visual system perceives movement.
  • The black gaps between the pictures are blanked out and don’t reach our consciousness.

… und in den Vorführraum. Ob Ben Hur oder aktueller Blockbuster, ob aufgewickelt auf großen Rollen oder bereits digitalisiert warten dort die Filme auf ihren Einsatz. Ursprünglich bestand jeder dieser Filme aus einer schier endlosen Serie von Fotografien, die durch einen dünnen schwarzen Streifen voneinander getrennt waren. Moderne digitale Kameras speichern jedes Bild separat ab, doch das Prinzip ist seit Einführung des Tonfilms das Gleiche: 24 der im Filmjargon Frames genannten Standbilder schießen die Kameras pro Sekunde, macht bei einem 90-Minüter knapp 130.000. Die 10-sekündige Einstellung eines flanierenden Liebespaares zerlegt die Kamera also in 240 Einzelbilder. Dabei ändert sich die Position aller Personen und Objekte, die sich in der Szene bewegen, von Frame zu Frame ein klein wenig.

Leinwand schwarz – und keiner merkt es

Anders als viele vielleicht annehmen, spielt der Projektor den Film nicht kontinuierlich ab. Sonst wäre der Saal auch ruck-zuck leer. Denn zu sehen gäbe es dann Bilder mit einem schwarzen Strich dazwischen, die von oben nach unten über die Leinwand laufen. Stattdessen wird jeder Frame für den Bruchteil einer Sekunde zwischen Projektorlampe und Projektorlinse angehalten. Auf diese Belichtungsphase folgt die Transportphase. Vor der Lampe schließt sich eine Blende, das Licht erlischt und im Schutz der Dunkelheit rückt der Projektor den Film zum nächsten Frame weiter. Sprich: Der Kinobesucher schaut einen Gutteil der Zeit nicht auf Batman oder James Bond, sondern nur auf eine schwarze Leinwand! Geld zurück gibt’s trotzdem nicht. Denn bemerkt werden weder die dunklen Intervalle noch das Flimmern, das durch den Wechsel zwischen Belichtungs- und Dunkelphase entsteht. Wieso das? Und wie kann es überhaupt sein, dass man eine Abfolge von stillstehenden Einzelbildern als ein einziges bewegtes Bild wahrnimmt?

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Vom Daumenkino zur laufenden Schrift

Wie leicht es ist, die Illusion fließender Bewegung zu erzeugen, weiß man seit der Erfindung des Daumenkinos – dem Ur-Ahn von Kino und Fernsehen. Welche Wahrnehmungsprozesse dahinter stecken, sorgte in Expertenkreisen jedoch für reichlich Diskussionen. „Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung" lautete der Titel der Arbeit, mit der Max Wertheimer (1880 bis 1943) im Jahre 1912 an der Uni Frankfurt habilitierte. Darin beschrieb der in Prag geborene Psychologe unter anderem das Phi-Phänomen, das in seiner einfachsten Form auftritt, wenn zwei stationäre Lichtpunkte nacheinander aufleuchten. Wird dabei ein bestimmter räumlicher und zeitlicher Abstand eingehalten, entsteht der Eindruck, dass sich ein Lichtpunkt von der ersten zur zweiten Position bewegt und auch dazwischen zu existieren scheint. Nach demselben Prinzip arbeiten die riesigen Laufschriftanzeigen und Werbetafeln, die zum Beispiel in Fußballstadien installiert sind. Zwar sieht man darauf höchst realistische Bewegungseffekte, erzeugt werden sie aber durch hunderte fest installierte LEDs, die in einer bestimmten Folge an- und ausgehen. Eine Scheinbewegung also, geschaffen von unserem Gehirn.

Nichts anderes ist auch Kino. Der Filmprojektor wirft in rascher Folge Serien von Standbildern auf die Leinwand. Das Gehirn vergleicht jeden Frame mit dem nächsten und stellt dabei kleine Unterschiede im Inhalt fest: Bond hält die Waffe etwas höher, das Bat-Mobil ist ein Stück nach links gerückt, Bogarts Lippen sind näher an denen von Ingrid Bergmann. All diese Positionsänderungen in der Bildabfolge rechnet das Gehirn automatisch in Bewegungen um. Warum, kann die Forschung bislang nur vermuten.

Flimmerfrei durch billigen Trick

Fest steht aber: Ohne den Stroboskopeffekt, wie die Bewegungswahrnehmung aufgrund von Positionsänderungen auch genannt wird, gäbe es kein Fernsehen, kein YouTube, kein Kino. Immer vorausgesetzt, dass die Einzelbilder sich nur geringfügig unterscheiden, reichen 12 bis 15 Frames pro Sekunde aus, um den Schein einer Bewegung zu erzeugen. Bleibt das Problem mit dem Flackern. Denn erst ab 50 Bildern pro Sekunde sieht der Zuschauer einen hellen Film flimmerfrei. Diese Frequenz ist zu hoch, als dass die neuronalen Netzwerke folgen könnten. In der bewussten Wahrnehmung sehen wir Abläufe, die zeitlich Tiefpass-gefiltert sind.

50 Frames pro Sekunde sind also für eine flimmerfreie Darstellung mindestens notwendig. So viele Einzelbilder aufzunehmen, ist zwar technisch machbar, aber aufwändig und kostspielig, denn Filmmaterial ist teuer. Zu Beginn des Kinos war das kein Problem, die Projektoren waren so lichtschwach, dass das 24-Hz Flackern kaum störte. Als die Projektoren heller wurden, behalf man sich mit einem sehr raffinierten Kunstgriff. Jeder Frame wird nicht nur einmal auf die Leinwand geworfen, sondern gleich dreimal oder viermal – und zwar mit Hilfe einer rotierenden Blende (Malteserkreuzblende). Eine solche Blende macht aus den 24 von der Kamera aufgenommenen Filmbildern 72 oder mehr projizierte Bilder. Dass wir Hollywoods Helden flimmerfrei sehen, gewährleistet also ein im wahrsten Sinne des Wortes billiger, aber raffinierter Trick. Doch was soll’s, solange es funktioniert… Schließlich ist Kino doch immer nur eine große Illusion.

Wahrnehmung

Wahrnehmung/Perceptio/perception

Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.

Veröffentlichung: am 03.11.2010
Aktualisierung: am 19.09.2017

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