Frage an das Gehirn
Gibt es Menschen ohne Rhythmusgefühl?
Veröffentlicht: 17.03.2012
Manche Menschen können keinen Rhythmus halten und stolpern auf der Tanzfläche völlig neben dem Takt. Gibt es Personen ohne Rhythmusgefühl, die sich nicht intuitiv zur Musik bewegen können?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Peter Keller, Psychologe am Max-Planck-Institut für Kognitions– und Neurowissenschaften in Leipzig: Es gibt tatsächlich Menschen, die massive Schwierigkeiten damit haben, Musik zu verarbeiten, also Töné zu unterscheiden, Melodien zu lernen oder eben Rhythmen zu erkennen. Ursache können Schäden und Veränderungen im auditorischen System sein, die teilweise sogar mit anatomischen Anomalien einhergehen. Sie sind genetisch bedingt – man spricht dann von kongenitaler oder angeborener Amusie – oder die Folge einer Verletzung. Einige Studien gehen davon aus, dass rund vier Prozent aller Menschen von einer solchen Amusie betroffen sind. Manche Kollegen kritisieren jedoch das methodische Vorgehen dieser Untersuchungen und schätzen die Zahl der Betroffenen niedriger ein.
Menschen ohne offensichtliche Hirnschädigung, denen jegliches Rhythmusgefühl fehlt, sind selten. Es gibt sie aber. Das Team um die Neurowissenschaftlerin Isabelle Peretz von der Université de Montréal in Kanada hat sich 2011 in der Region Montréal auf die Suche gemacht und wurde fündig: ein Mann, der nicht einmal im Rhythmus eines Musikstücks in den Knien federn kann. Gibt ein Metronom den Takt vor, gelingt ihm aber die Bewegung im vorgegebenen Beat. Demnach ist er außer Stande, den Rhythmus aus der Musik herauszufiltern und so zu verarbeiten, dass er seine Bewegungen darauf abstimmt.
Was genau im Hirn des unmusikalischen Kanadiers schiefläuft, ist noch nicht bekannt. Denkbar ist, dass er Probleme hat, den Rhythmus in einem komplexen Musikstück zu erkennen. Oder aber sein Denkorgan schafft es nicht, die beiden Anforderungen „Rhythmus erkennen“ und „passende Körperbewegung“ zu verknüpfen.
Natürlich ist der Mann aus Montréal ein Einzelfall. Aber sehr wahrscheinlich gibt es noch mehr solcher Kandidaten. Wenn wir allerdings im Alltag einem allzu untalentierten Tänzer begegnen, der immer einen Tick am Takt vorbeistolpert, so ist dies möglicherweise auch ein Ausdruck davon, dass er sich unwohl fühlt in seiner Haut. Oder er kann seine Körperbewegungen nicht so gut koordinieren wie die geübteren Tänzer um ihn herum.
Überhaupt ist Übung ein wichtiges Stichwort. In unseren eigenen Studien haben wir festgestellt: Menschen, die regelmäßig in einem Ensemble musizieren, fällt es besonders leicht, sich im Takt zu bewegen. Rhythmusgefühl ist demnach bis zu einem gewissen Grad erlernbar.
Das spiegelt sich auch in der Beobachtung wider, dass etwa Afrikaner, Araber oder Südamerikaner sich oft müheloser zur Musik bewegen als der durchschnittliche Mitteleuropäer. Sie sind meist in einer Umgebung aufgewachsen, in der Musik im Alltag eine wichtige Rolle spielt. Sebastian Kirschner vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat vor diesem Hintergrund deutsche und brasilianische Kinder verglichen und festgestellt: Kleinen Südamerikanern, die von Geburt an viel mit Musik in Berührung kamen, fiel es leicht, im Takt zu trommeln. Anders die deutschen Kinder: Konnten sie im Experiment ihren Mitspieler nicht beobachten und waren ganz auf ihr Gehör und das eigene Rhythmusgefühl gestellt, so hauten sie schnell mal daneben.
Aufgezeichnet von Stefanie Reinberger
Gen
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Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.