Sehen – (k)ein selbstverständliches Wunder
Er liefert bis zu 80 Prozent der Informationen über die Außenwelt und beschäftigt ein Viertel des Gehirns – der Sehsinn ist das wichtigste Sinnessystem des Menschen und das am intensivsten erforschte. Seine Leistungen bringen selbst Experten noch zum Staunen.
Scientific support: Prof. Dr. Solon Thanos
Published: 08.12.2016
Difficulty: easy
- The visual system constructs a consistent image of the world from the huge amount of information that strikes the eyes.
- The eye itself has a complex anatomy that includes 125 million photoreceptors and comprises the first station in visual processing; initial steps are carried out in the retina.
- Information from the eyes passes into the brain along a route that runs through the CGL and on to the primary visual cortex. From there it is directed to the visual cortex.
- Along the way, visual information is continually processed by participating brain regions which filter, analyze, and sort it many times, then evaluate it.
Wir erkennen Dinge, die so gigantisch und weit entfernt sind, wie die Sterne im Universum und so winzig und nah wie eine Ameise auf unserem Unterarm. Wir können zehn Millionen Farbtöne unterscheiden und selbst ein Photon, die kleinste Lichteinheit, genügt, um im Auge eine Reaktion auszulösen. Schon das allein macht den Sehsinn bemerkenswert. Das größte Wunder aber ist, wie das visuelle System aus dem riesigen Strom von Informationen, der permanent über die Augen eintrifft, ein stimmiges Abbild der Welt in unseren Köpfen erschafft. Im Zusammenspiel mit anderen Teilen des Denkorgans werden dabei Sinnesempfindungen sortiert, gefiltert, bewertet und so geschickt mit Gedächtnisinhalten und Erfahrungen verknüpft, dass wir uns scheinbar mühelos in unserer extrem komplexen Umgebung zurechtfinden.
Den größten Teil des Lebens nehmen wir das Wunder des Sehens für selbstverständlich. Zwar fällt jedem als Kind beim Blinde-Kuh-Spielen die Bedeutung unseres wichtigsten Sinnessystems auf. Doch sofern Unfälle und Krankheiten uns verschonen, werden die meisten erst 40 oder 50 Jahre später wieder merken, wie sehr wir auf den Sehsinn angewiesen sind: Das Augenlicht lässt nach, Buchstaben verschwimmen, eine Brille wird fällig. Für so manchen ist das der Anlass, einmal darüber nachzudenken, wie die Welt eigentlich in unseren Kopf kommt.
Eine vollständig befriedigende Antwort wird man nicht finden. Zwar füllen die Erkenntnisse über den Sehsinn schon heute ganze Bibliotheken. Und unser Wissen darüber übertrifft das über die anderen Sinne bei weitem. Aber es gibt auch noch immer große Lücken in unserem Verständnis. Den Hirnforschern und Anatomen, den Psychologen und Physiologen, aber auch Informatikern, Philosophen und anderen Spezialisten, die sich damit beschäftigen, das Wunder Sehen zu enträtseln, wird die Arbeit so schnell nicht ausgehen.
Auge
Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb
Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.
Auge
Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb
Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.
Aus Lichtstrahlen wird Bedeutung destilliert
Welche Bedeutung der Sehsinn besitzt, wird daran deutlich, dass etwa ein Viertel des gesamten Gehirns und 60 Prozent der Großhirnrinde, dem Sitz höherer Hirnfunktionen, mit der Analyse der sichtbaren Welt beschäftigt ist. Wissenschaftler sprechen deshalb auch lieber vom „visuellen System“ – und meinen damit die verschiedenen komplex miteinander verschalteten Teile des zentralen Nervensystems, die allesamt am Sehen beteiligt sind und dabei jeweils spezialisierte Aufgaben übernehmen.
Auf sie strömt kontinuierlich eine Flut von Informationen über die Umgebung ein, wann immer die Augenlider geöffnet sind. Mehr Informationen als eigentlich zu verkraften sind. Deshalb wird das Sehen oft mit dem Trinken aus einem Wasserfall verglichen. Aus diesem Datenstrom filtert das visuelle System bestimmte Informationen heraus, sortiert sie, verarbeitet sie weiter und gibt ihnen eine Bedeutung. So können wir Formen, Konturen, Helligkeitsunterschiede, Bewegungen, Objekte, Personen erkennen und auch bis zu zehn Millionen verschiedene Farbtöne unterscheiden. Über die dahinterstehenden Prozesse weiß die Wissenschaft schon viel.
Erstaunlicher aber und auch weitaus weniger gut verstanden ist, wie das visuelle System Zusammenhänge herstellt. Warum weckt das verblasste Foto einer früheren Geliebten die schmerzliche Erinnerung an die gescheiterte Beziehung? Und was passiert in unserem Gehirn, wenn eine verräterische Bewegung am Rande des Gesichtsfeldes uns blitzschnell reagieren und einen Angriff abwehren lässt, noch bevor uns überhaupt bewusst wird, in welcher Gefahr wir uns befanden? Auch philosophische Fragen erwarten Forscher, die sich mit dem visuellen System beschäftigen: Was können wir wissen, über uns und die Welt, wenn unsere Augen auf simple optische Täuschungen hereinfallen?
Auge
Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb
Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.
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Stäbchen und Zapfen, Nervenbündel und Schaltstationen
Erste Station des visuellen Systems ist das Auge. Das Auge – Digicam mit raffinierten Funktionen Einfallendes Licht wird hier von der Hornhaut (Cornea) und der Linse gebrochen und auf die Netzhaut (Retina) fokussiert. So entsteht dort wie in einem Fotoapparat ein auf dem Kopf stehendes Abbild der Außenwelt. In der Netzhaut findet dann der Schritt statt, der dem gesamten Sehprozess zu Grunde liegt – die Übersetzung von Lichtreizen in die Sprache der Nervenzellen. Das übernehmen Zellen, die darauf spezialisiert sind, Lichtenergie in neuronale Aktivität umzuwandeln. 125 Millionen dieser Photorezeptoren gibt es in der Netzhaut. Sechs Millionen davon sind farbfähige Zapfen, die übrigen knapp 120 Millionen stellen die wesentlich lichtempfindlicheren Stäbchen. Von Stäbchen und Zapfen
Wegen dieser unterschiedlichen Zuständigkeitsbereiche hat die Netzhaut also gewissermaßen zwei überlappende Systeme: Eines für Sehen in Dämmerung und Nacht, und eines für die farbige Welt am Tage. Bei Tag wie bei Nacht Damit nicht genug. Die Retina, die übrigens ein Teil des Gehirns ist, führt noch eine erste Bildbearbeitung durch, bevor die visuellen Signale dann weitergeleitet werden. Hauchdünner Hochleistungsrechner
Das erfolgt über ein dickes Bündel von etwa einer Million Nervenfortsätzen. Sie bilden den Sehnerv, die Datenautobahn vom Auge ins Gehirn. Die Sehbahn – Hochgeschwindigkeitsleitung ins Gehirn Eine hinter den Augen gelegene Kreuzung des linken und rechten Sehnervs, das Chiasma opticum, ist so angelegt, dass beide Hälften des Gehirns Signale aus beiden Augen erhalten. Das ist beim räumlichen Sehen von Bedeutung. Die wichtigste Schaltstation zwischen Netzhaut und Hirnrinde ist der „äußere Kniehöcker“, von Forschern Corpus geniculatum laterale (CGL) genannt. Zahlreiche eingehende Nervenfasern aus dem Hirnstamm und aus höheren Hirnregionen machen deutlich, dass die visuellen Informationen im CGL beeinflusst werden. Das heißt abgeschwächt oder verstärkt — je nachdem wie unser Denkorgan die Signale von den Augen im Vergleich zu anderen Umweltreizen oder körperlichen Bedürfnissen einstuft.
Auge
Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb
Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.
Hornhaut
Hornhaut/Cornea/cornea
Die Hornhaut ist der vordere transparente Teil der äußeren Augenhaut. Sie ist bereits an der Lichtbrechung beteiligt, sorgt also dafür, dass das Abbild eines entfernten Objektes auf den Punkt des schärfsten Sehens der Netzhaut fällt.
Linse
Linse/Lens crysstallina/lense
Die Augenlinse ist eine transparente, flexible Struktur, die durch ihren unterschiedlichen Krümmungsgrad (siehe dazu Ziliarmuskel und Zonulafasern) den Prozess der Akkomodation (das Fokussieren) und damit scharfes Sehen im Nahbereich ermöglicht.
Netzhaut
Netzhaut/Retina/retina
Die Netzhaut oder Retina ist die innere mit Pigmentepithel besetzte Augenhaut. Die Retina zeichnet sich durch eine inverse (umgekehrte) Anordnung aus: Licht muss erst mehrere Schichten durchdringen, bevor es auf die Fotorezeptoren (Zapfen und Stäbchen) trifft. Die Signale der Fotorezeptoren werden über den Sehnerv in verarbeitende Areale des Gehirns weitergeleitet. Grund für die inverse Anordnung ist die entwicklungsgeschichtliche Entstehung der Netzhaut, es handelt sich um eine Ausstülpung des Gehirns.
Die Netzhaut ist ca 0,2 bis 0,5 mm dick.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Stäbchen
Stäbchen/-/rod cells
Die Stäbchen sind Lichtsinneszellen mit hoher Lichtempfindlichkeit. Sie reagieren schon auf schwaches Licht und sind so für das skotopische Sehen, das Schwarz-Weiß-Sehen und das Sehen in der Dämmerung zuständig. Die Stäbchen liegen gehäuft in den äußeren Bereichen der Netzhaut und vermitteln daher keine große Sehschärfe.
Zapfen
Zapfen/-/retinal cones
Die Zapfen sind eine Art von Fotorezeptoren der Netzhaut. Die drei unterschiedlichen S-, M– und L-Zapfen sind jeweils durch kurz-, mittel und langwellige Frequenzen des sichtbaren Lichts erregbar und ermöglichen so Farbsehen.
Auge
Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb
Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.
Corpus geniculatum laterale
Seitlicher Kniehöcker/Corpus geniculatum laterale/lateral geniculate body
Das Corpus geniculatum laterale (seitlicher Kniehöcker) ist derjenige Abschnitt des Thalamus (größter Teil des Zwischenhirns), in dem rund 90% der Axone des Sehnervs enden. Es zeigt eine charakteristische Schichtung in sechs Zelllagen, getrennt von den eingehenden Fasern der Sehnerven. Die Nervenzellen des Corpus geniculatum laterale senden ihre Fortsätze zur Sehrinde. Gemeinsam mit dem Corpus geniculatum mediale bildet es den Metathalamus.
Corpus geniculatum laterale
Seitlicher Kniehöcker/Corpus geniculatum laterale/lateral geniculate body
Das Corpus geniculatum laterale (seitlicher Kniehöcker) ist derjenige Abschnitt des Thalamus (größter Teil des Zwischenhirns), in dem rund 90% der Axone des Sehnervs enden. Es zeigt eine charakteristische Schichtung in sechs Zelllagen, getrennt von den eingehenden Fasern der Sehnerven. Die Nervenzellen des Corpus geniculatum laterale senden ihre Fortsätze zur Sehrinde. Gemeinsam mit dem Corpus geniculatum mediale bildet es den Metathalamus.
Hirnstamm
Hirnstamm/Truncus cerebri/brainstem
Der „Stamm“ des Gehirns, an dem alle anderen Gehirnstrukturen sozusagen „aufgehängt“ sind. Er umfasst – von unten nach oben – die Medulla oblongata, die Pons und das Mesencephalon. Nach unten geht er in das Rückenmark über.
Form + Farbe + (Bewegung und Tiefenschärfe) = Bedeutung
Auf ihrer Reise durch das Gehirn werden die visuellen Daten über die Außenwelt immer wieder umgewandelt, gefiltert, analysiert, neu sortiert und bewertet. Das beginnt bereits in der Netzhaut, passiert im CGL und wird im primären visuellen Cortex, der nächsten Station, dann fortgesetzt. Auf bestimmte Objektmerkmale wie Farbe, Form, Kontrast oder Bewegung spezialisierte Nervenzellen analysieren dort parallel die eintreffenden Informationen. Ball oder Backstein? Erkennen von Form und Kontur Von der primären Sehrinde werden diese dann an die visuellen Cortices II bis V und die so genannten visuellen Assoziationszentren weitergegeben, wo dann letztlich aus dem Sehreiz das entsteht, was wir als visuelle Wahrnehmung empfinden.
Und das geht weit über den bloßen Sinneseindruck mit all seinen verschiedenen Aspekten hinaus. Denn erst wenn diese visuellen Informationen mit anderen Infos und bereits vorhandenem Wissen verknüpft werden, erhält das Gesehene eine Bedeutung. Sind die Assoziationsfelder geschädigt, wird beispielsweise eine Kaffeetasse zwar als weißer rundlicher Gegenstand gesehen, aber eben nicht mehr als Kaffeetasse erkannt. Fachleute nennen das visuelle Agnosie, doch der Begriff „Seelenblindheit“ macht das Phänomen anschaulicher. Betroffene Patienten, die beispielsweise die Form und Farbe eines Gesichtes präzise beschreiben können, ohne dahinter ihre Ehefrau zu erkennen, mögen vielleicht als Kuriosum erscheinen. Gleichzeitig erinnern sie uns aber auf eindrucksvolle Weise daran, wie sehr die Welt, die wir sehen und kennen, von einem intakten visuellen System abhängt – mit all seinen bemerkenswerten Leistungen.
Corpus geniculatum laterale
Seitlicher Kniehöcker/Corpus geniculatum laterale/lateral geniculate body
Das Corpus geniculatum laterale (seitlicher Kniehöcker) ist derjenige Abschnitt des Thalamus (größter Teil des Zwischenhirns), in dem rund 90% der Axone des Sehnervs enden. Es zeigt eine charakteristische Schichtung in sechs Zelllagen, getrennt von den eingehenden Fasern der Sehnerven. Die Nervenzellen des Corpus geniculatum laterale senden ihre Fortsätze zur Sehrinde. Gemeinsam mit dem Corpus geniculatum mediale bildet es den Metathalamus.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Wahrnehmung
Wahrnehmung/Perceptio/perception
Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.
Veröffentlichung: am 11.11.2010
Aktualisierung: am 08.12.2016
Wir sehen uns
Technisch ist beim Sehen noch nicht so viel passiert wie beim Hören – wenn man nicht gerade auf Rücken oder Zunge sehen will, was noch nicht ganz marktreif ist. Aber immerhin, mehr Zukunft haben wir hier: https://www.dasgehirn.info/entdecken/brain-computer-interface/koerper-upgrade-993/